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© Thilo Rückeis

Gregor Gysi: „Ich denke nicht an eine Fusion mit der SPD“

Gregor Gysi über den Generationswechsel in der Linken, Regierungsbeteiligungen – und Maulkörbe

Von Matthias Meisner

Herr Gysi, haben Sie Ihre Partei im Stich gelassen?

Quatsch. Ich habe versucht, die Schwierigkeiten zu begrenzen, die dadurch entstehen, dass Oskar Lafontaine sich aus der Bundespolitik zurückzieht. Ich habe so schnell wie möglich versucht, das Vakuum in unserer Partei zu beenden und zusammen mit dem Parteivorstand und den Landesvorsitzenden einen Vorschlag für die künftige Parteiführung unterbreitet.

Aber Sie selbst haben sich der Aufgabe verweigert, die Partei zu führen.

Mich haben viele Landesvorsitzende aus Ost und West gebeten, dass ich Parteivorsitzender werde. Ich verstehe den Wunsch ja. Aber ich fand, wir sollten jetzt den Mut zum Generationswechsel beweisen. Sie hätten doch sonst geschrieben, dass der Linken nichts anderes einfällt, als den ehemaligen Vorsitzenden der PDS zu wählen, und das als Übergangslösung. Außerdem sind Oskar Lafontaine, Lothar Bisky und ich ja immer noch für die Partei da – als Fraktionschef im Saarland, als Vorsitzender unserer Europafraktion und als Vorsitzender der Bundestagsfraktion.

Sind Sie jetzt der heimliche Parteichef?

Nein, und von Heimlichkeit kann gar keine Rede sein, ich mache alles offen. Aber natürlich habe ich im Augenblick eine besondere Verantwortung.

Noch im letzten Herbst haben Sie gesagt, nur das Duo Gysi/Lafontaine könne die Vereinigung der Linkspartei hinbekommen.

Diese Verantwortung wird jetzt mehr bei mir liegen. Meine historische Aufgabe ist diesbezüglich erfüllt, wenn die Vereinigung der Partei gelungen ist.

Wie groß ist die Gefahr, dass das Projekt einer gesamtdeutschen Linkspartei noch scheitert?

Jeder neue Prozess birgt Risiken. Dass die Vereinigung von WASG und PDS so kompliziert wird, hätte ich auch nicht gedacht. Wir haben aber nur zwei Möglichkeiten. Entweder wir nehmen unsere politische Aufgabe wahr, oder wir üben uns in Selbstbeschäftigung. Ich setze darauf, dass die politische Vernunft sich durchsetzt.

Oskar Lafontaine hat als größte Schwäche der Linkspartei bezeichnet, dass sie im Westen noch nicht stabil genug sei. Wie wollen Sie das ohne Ihr prominentestes West-Zugpferd aufarbeiten?

Lafontaine ist ja noch bis Mai Vorsitzender, und er hat mir fest versprochen, im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf zu helfen. Natürlich wird es ohne Lafontaine schwieriger. Wir brauchen politische Beständigkeit und Glaubwürdigkeit. Hü und hott hat schon die SPD unglaubwürdig gemacht.

Es gibt schon jetzt Kritik an Ihrem mühsam zwischen Ost und West austarierten Vorschlag für die Parteispitze. Rechnen Sie damit, dass er bis zum Parteitag im Mai zerpflückt wird?

Ich kann nur an alle appellieren, den Vorschlag zu akzeptieren. Wenn man an einer Stelle etwas korrigiert, stimmt das ganze Gefüge nicht mehr. Wer A nicht wählen will, kann sich nicht sicher sein, dass B durchkommt. Mich haben einige Leute in unserer neuen Partei am Anfang auch gewaltig genervt. Aber die Linke hat sich für Pluralismus entschieden. Dann muss man diesen auch akzeptieren.

Zweimal waren Sie in den vergangenen Jahren daran beteiligt, den Aufstieg von Sahra Wagenknecht zu verhindern. Warum darf die Wortführerin der Kommunistischen Plattform jetzt stellvertretende Vorsitzende werden?

Sie hat sich verändert und bezieht viel realere Positionen als früher. Ich wollte einen in jeder Hinsicht ausgewogenen Vorstand. Ich wollte ja auch Halina Wawzyniak ...

... eine der Wortführerinnen des Reformerlagers in der Linken. Sollen die beiden sich neutralisieren?

Nein, aber sie bringen zum Ausdruck, wie weit der Pluralismus in unserer Partei reicht. Künftig allerdings dürfen sie wie alle anderen direkt gewählten Vorstandsmitglieder nicht mehr in ihren strömungspolitischen Strukturen arbeiten.

Sie bekommen einen Maulkorb?

Das hat nichts mit Maulkorb zu tun. Sie müssen sich nur ihrer Rolle bewusst werden. Wenn sie nur die Flügel stark machen, können sie nicht gleichzeitig die Vorsitzenden vertreten und die Gesamtpartei repräsentieren.

Wie wollen Sie das durchsetzen?

Sie haben diese Bedingung akzeptiert. Sobald unser Grundsatzprogramm steht, wird das die gemeinsame Arbeit des Vorstands ohnehin stärker definieren.

Bisher hatten Sie es mit dem Programm nicht besonders eilig.

Lothar Bisky und Oskar Lafontaine werden als Vorsitzende der Programmkommission in nicht allzu langer Zeit einen Vorschlag unterbreiten. Im Entwurf sollte möglichst kein Mist stehen, sonst wird der uns um die Ohren fliegen, eineinhalb Jahre lang bis zur endgültigen Verabschiedung. Und das werden die beiden auch verhindern.

Die Linke braucht zweieinhalb Jahre nach ihrer Gründung offenbar nicht nur nach Ost und West quotierte Vorsitzende, sondern auch zwei Bundesgeschäftsführer. Ist das Misstrauen so groß?

Vielleicht ist die Logik nicht ganz zwingend. Aber es war eben ein Kompromiss, wir haben das in einer langen Nachtsitzung so ausgehandelt. Das heißt noch lange nicht, dass wir das in zwei Jahren noch einmal machen.

Oskar Lafontaine hat zuletzt mehrfach den „Markenkern“ der Linken betont, der nicht verändert werden dürfe. Wie beweglich darf die Partei aus Ihrer Sicht sein?

Es ist ein strategisches Dilemma vor jeder Regierungsbeteiligung: Zwar erklären fast alle eine Koalition für denkbar. Aber einige wollen sie so doll, dass sie dafür alle Kompromisse der Welt machen würden. Die anderen würden am liebsten so viele Bedingungen aufstellen, dass es ganz und gar unmöglich wird. Bestimmte Punkte sind für uns wirklich unverzichtbar. Bei anderen Dingen kann man flexibel sein, wenn nur so ein Bündnis geschmiedet werden kann, um die Gesellschaft zu verändern.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Nehmen wir den Mindestlohn. Wir wollen bis 2013 zehn Euro. Die SPD ist immer noch bei sieben Euro 50. Wenn wir uns jetzt auf acht Euro 50 oder neun Euro verständigten, fände ich das vertretbar. Wir könnten doch niemandem erklären, dass die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns gescheitert ist, nur weil wir in der Höhe nicht beweglich waren.

Denken Sie zuweilen auch an eine Fusion mit der SPD?

Nein, ich finde die Konstellation gut, dass es endlich ein demokratisches Korrektiv links der Sozialdemokratie gibt. Das hilft auch der SPD.

Haben Sie schon bereut, dass Sie den langjährigen Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch zum Rückzug gedrängt haben?

Mir tun manche Reaktionen leid. Heute würde ich vielleicht einen anderen Ausdruck wählen.

Sie würden also nicht den Vorwurf wiederholen, dass Bartsch gegenüber Lafontaine nicht loyal gewesen sei?

Ich würde von einem Fehler sprechen. Im Kern würde ich aber dabei bleiben: Bartsch hatte eine Verantwortung dafür, dass das Vertrauensverhältnis zu Lafontaine so extrem gestört war. Wenn ich den Schlussstrich nicht gezogen hätte, würden wir heute in einer noch tieferen Krise stecken. Bartsch wäre die Schuld gegeben worden, dass Lafontaine nicht wieder antritt. Das wollte ich nicht zulassen.

Kann Bartsch in ein paar Jahren Parteichef werden?

Er wird seinen Weg in dieser Partei noch gehen. Bartsch ist ja ein kluger Mann und hat für die Partei sehr viel geleistet. Ich habe deshalb auch dafür gekämpft, dass er zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt wird, worauf er sich glücklicherweise eingelassen hat. Es war nicht einfach, ihn und die Fraktion zu überzeugen.

Hatten Sie die Hoffnung, dass Lafontaine sich durch Bartschs Rückzug bewegen lässt, Parteichef zu bleiben?

Nein. So kleinkariert denkt und handelt Oskar nicht.

Seit wann wussten Sie, dass Lafontaine nicht in die Bundespolitik zurückkehrt?

Bei unserem Gespräch in Saarbrücken vor dreieinhalb Wochen hatte er mir das noch nicht definitiv gesagt. Aber innerlich habe ich schon gespürt, dass er das nicht mehr machen wird.

Würden Sie Oskar Lafontaine als Freund bezeichnen – oder sind Sie mit ihm ein Zweckbündnis eingegangen?

Wir kommen sehr gut miteinander aus.

Fühlen Sie sich von Lafontaine im Stich gelassen?

Nein. Ich weiß, dass man nicht zu spät gehen darf. Er hat so viel für die Linke getan. Ohne ihn gäbe es diese Partei nicht und ohne ihn hätte sie nicht dieses politische Gewicht. Ich habe von ihm gelernt, dass man auch mal stärker zuspitzen muss. Manchmal muss man Auseinandersetzungen in der Gesellschaft provozieren – und das kann Oskar.

Das Interview führten Cordula Eubel und Matthias Meisner. Das Foto machte Thilo Rückeis.

POLITIKER

In der vergangenen Wahlperiode führte Gregor Gysi gemeinsam mit Oskar Lafontaine die Bundestagsfraktion der Linken. Als Lafontaine sich im Herbst 2009 überraschend von diesem Posten zurückzog, übernahm Gysi allein die Fraktionsführung. Inzwischen ist der 62-Jährige auch so etwas wie der „heimliche“ Parteichef der Linken – Lafontaine kandidiert im Mai auf dem Parteitag nicht erneut als Vorsitzender, ebenso wie Lothar Bisky.

ANWALT

Vor der Wende arbeitete Gysi als Rechtsanwalt in der DDR. Seit Jahren wehrt er sich juristisch gegen den Vorwurf, inoffizieller Stasi-Mitarbeiter gewesen zu sein. Seit 1967 war er Mitglied der SED, nach der Wende PDS-Vorsitzender.

VATER

Gregor Gysi stammt aus einer alten Berliner Familie mit jüdischen Wurzeln. Sein Vater Klaus war DDR-Kulturminister und Staatssekretär für Kirchenfragen. Gysi ist verheiratet und hat drei Kinder.

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