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Politik: Gregor Gysi: Normalität und schweißnasse Hände

"Einfach Normalität", das ist es, was sich Gregor Gysi zum Abschied wünscht. Er bezieht das auf die demokratische Kultur im Parlament - aber klar ist, dass für ihn selbst dieser Tag alles andere als normal ist.

Von Matthias Meisner

"Einfach Normalität", das ist es, was sich Gregor Gysi zum Abschied wünscht. Er bezieht das auf die demokratische Kultur im Parlament - aber klar ist, dass für ihn selbst dieser Tag alles andere als normal ist. Seine Rede am Freitag im Bundestag in der Debatte zum zehnten Jahrestag der Einheit ist seine letzte als Fraktionschef der PDS. Seit Tagen hat er am Text gefeilt, entgegen seiner Gewohnheit kommt er, der sonst gern frei spricht, mit einem eng getippten Manuskript auf DIN-A-4-Blättern ins Parlament. Als sein Vorredner Werner Schulz ans Pult tritt, verlässt der populärste Politiker der PDS noch einmal das Plenum, um sich die schweißnassen Hände zu trocknen. Immer wieder überfliegt er seinen Redetext, fügt da und dort handschriftlich etwas ein.

Es wird dann ein sehr getragener Auftritt, in der Gysi die Einheit als "wahrhaft welthistorisches Ereignis" würdigt. Flapsigkeiten erspart er sich, dafür hebt er einmal sogar zu einem Lob für Helmut Kohl an: Der habe, ähnlich wie Wolfgang Schäuble, "die deutsche und die europäische Vereinigung immer als Einheit gesehen". Mögen sich die Christdemokraten auch heute erinnern, dass Kohl in diesem Punkt "immer wieder anders" gedacht habe. Ein wenig verdutzt schauen die Unionsführer Angela Merkel und Friedrich Merz, die in ersten Reihe des Plenums sitzen.

Kohl verfolgt die Rede von seinem Platz in der fünften Reihe aus, er lächelt selbstzufrieden. Noch bei manchem der Vorredner aus den Reihen von SPD und Grünen hat er immer wieder den Kopf geschüttelt. Aber der Altkanzler und der PDS-Fraktionschef haben ihr Verhältnis in den vergangenen Monaten "normalisiert", wie Gysi das nennen würde: Mehrfach haben sich die beiden Politiker zu längeren Gesprächen getroffen. Respekt, den Gysi von anderen fordert, Kohl gesteht er ihn zu.

Tatsächlich unternimmt der PDS-Mann an diesem Tag, vielleicht zum letzten Mal, den Versuch, das Hohe Haus für sich einzunehmen. Als erster aus den Reihen der SPD-Fraktion applaudiert der letzte DDR-Außenminister Markus Meckel, als der scheidende PDS-Fraktionschef sagt: "Der Beitritt ist zu wenig genutzt worden, um verkrustete Strukturen im Westen zu überwinden." Ein paar Redepassagen später bringt der Gysi dann Gerhard Schröder zum Lachen, als er sagt: "Vielleicht gab es im DDR-Sport mehr als nur Doping." Der Kanzler hat seine Unterlagen rasch beiseite gelegt, nachdem der PDS-Mann zu reden begonnen hat. Auch von den Unionsabgeordneten verlässt keiner demonstrativ den Saal.

In solchen Momenten wird klar, was Gysi in den vergangenen zehn Jahren für seine Partei geleistet hat. Wie kein anderer hat er er vermocht, sie zu öffnen, um Akzeptanz in der Gesellschaft zu werben. Seine Parteifreunde verbreiten seit Wochen, Gysis Rückzug aus dem Amt des Fraktionsvorsitzenden werde nicht das Ende seines Engagements für die PDS bedeuten. "Hin- und hergerissen" wirke Gysi auf sie, sagt die stellvertretende Fraktionschefin Heidi Knake-Werner. Und immer steckt in solchen Bemerkungen ein Stück Hoffnung: Gysi möge ohne die Last der Gremien eher mehr als weniger bewirken - ob nun als einfacher Abgeordneter oder im Fernsehgeschäft, in das er einsteigen will.

An diesem Montag will die Fraktion ihren Vorsitzenden bei einem Fest in der Berliner Kulturbrauerei verabschieden. Das solle nicht als Abschied, sondern als Dankeschön begriffen werden, erklärt die Berliner PDS-Chefin Petra Pau. Sie hoffe, dass Gysi seine gewonnene Freiheit nutze, "um pointierter in die Gesellschaft als auch in die PDS hinein zu provozieren". Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Medien erwartet die Partei, etwa Luc Jochimsen, Lea Rosh und Sabine Christiansen. Rezzo Schlauch will kommen, und Guido Westerwelle sogar ein paar persönliche Worte sprechen. Ein paar schöne Stunden sollen glauben machen, dass die PDS unter Gysi eine ganz normale Partei in der Bundesrepublik geworden ist.

Ist sie natürlich nicht, bisher jedenfalls. Zu der Abschiedsfete in der Kulturbrauerei haben keine Politiker der CDU zugesagt. Und Gysi mischt in seiner Abschiedsrede im Bundestag Kritik und Selbstkritik: "So sehr wir uns mühen, so sehr ich mich auch selbst bemüht habe: Es fällt schwer, sich von einmal erworbenen Vorurteilen zu verabschieden."

Zum Schluss bedankt sich Gysi. Dafür, dass er in den letzten zehn Jahren "mehr Freiheit leben konnte und mehr gelernt habe als in vielen früheren Jahrzehnten meines Lebens". Da nickt auch Angela Merkel, Helmut Kohl klatscht. Gleich nach der grünen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer erhebt sich Kanzler Schröder vom Platz, um Gysi die Hand zu drücken. Und es scheint, als gönnen alle dem PDS-Mann zum Abschied etwas Normalität.

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