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Politik: Grenzen der Allmacht

AUSWEITUNG DES KRIEGS?

Von Christoph von Marschall

Die Deutschen hatten von Anfang an ein böses Gefühl bei diesem Krieg. Und behalten sie nicht Recht? Der Vormarsch auf Bagdad ist ins Stocken geraten, die Aufstände der Schiiten und anderer Regimegegner bleiben aus, fast jeder Tag bringt neue Bilder ziviler Opfer: gestern mindestens sieben Frauen und Kinder, weil ihr Auto an einer Straßenkontrolle nicht hielt; die USSoldaten fürchteten einen Selbstmordanschlag – und feuerten. Bei vielen Menschen verstärkt sich der Eindruck, da bahne sich ein Desaster an.

Jetzt kommt eine weitere Sorge hinzu: dass der Krieg auf die Nachbarstaaten Syrien und Iran übergreifen könnte. Amerika wirft ihnen vor, Saddam Waffen zu liefern und Terroranschläge zu unterstützen – und warnt, das werde Konsequenzen haben. Droht nun die ganze Region in Brand zu geraten? Davor hat Außenminister Fischer immer gewarnt. Und düster angedeutet, in Amerika träume mancher davon, den ganzen Mittleren Osten neu zu ordnen: heute Irak, morgen Syrien, übermorgen Iran… Wie Dominosteine sollten die Diktaturen fallen.

Die Erfahrungen im Irak bestätigen die alte Wahrheit: Kriege lassen sich nur begrenzt planen. Und haben oft ganz andere Ergebnisse, als die Strategen dachten. Wir wissen nicht, ob Präsident Bush den Irak tatsächlich zu einem Modell machen wollte, wie Amerika Diktaturen, die nach Massenvernichtungswaffen streben und Terror unterstützen, durch Kriege stürzt. Weder er noch seine Minister haben solche Pläne öffentlich geäußert. Falls es sie gab, hat sie der Kriegsverlauf als Allmachtsfantasien entlarvt. Von einem leichten Sieg binnen weniger Tage kann keine Rede sein. Und wenn Amerika ihn nach Wochen unter Opfern und hohen Kosten erzielt, ist das Ziel noch lange nicht erreicht. Dann muss das erschöpfte Land mit seinen vielen Völkern, Religionen und Konfessionen stabilisiert und wieder aufgebaut werden. Die Hauptlast wird auch da auf den USA und ihren Soldaten liegen – jahrelang. Der Balkan und Afghanistan vermitteln einen Eindruck davon, wie viel Geld, Personal und politische Geduld dafür nötig sind. Die Vorstellung, dass Amerikas Bürger sich die Verantwortung und die Kosten für immer weitere Protektorate aufbürden – morgen Syrien, übermorgen Iran –, wirkt ziemlich realitätsfremd. Selbst eine Weltmacht mit den Ressourcen Amerikas stößt da an ihre Grenzen. Und mit ihr der Unilateralismus, den Europa überwinden möchte.

Was die Deutschen nicht dazu verleiten sollte, die politische Idee dieser Dominotheorie gleich mit zu verdammen. Es wäre ja nicht falsch, wenn die Diktaturen fielen. Warum sollte man den Ajatollahs, dem Assad-Regime, der nordkoreanischen Hunger-Diktatur eine Träne nachweinen? Syrien und der Iran wissen genau, warum sie Amerikas Erfolg nicht wünschen. Sie fürchten sich vor einem Nachbarland Irak ohne Diktatur – weil dieses Modell ihr eigenes Regime gefährden würde. Deshalb haben sie ein egoistisches Interesse daran, dass dieser Krieg für Amerika so bitter wie möglich wird.

Wir haben andere Interessen. Die Deutschen hätten den Krieg gerne verhindert und auf unblutige Rüstungskontrolle gesetzt. Und auf unblutigen regime change wie in Osteuropa gehofft. Nachdem der Krieg aber begonnen hat, müssen sie wünschen, dass er möglichst schnell mit einem amerikanisch-britischen Sieg endet. Das sagt Kanzler Schröder, das sagt auch Oppositionsführerin Merkel. Alle Schwierigkeiten und Irrtümer auf dem Weg dorthin sind nicht nur schlecht für Bush, sondern vor allem schlecht für das irakische Volk, das nur umso mehr leidet.

Ganz so düster, wie viele Menschen sie empfinden, ist die Lage auch nicht. Nach dreizehn Tagen Krieg kontrollieren Amerikaner und Briten den Großteil des Irak und stehen vor Bagdad. Ihr schneller Vorstoß hat Saddam vermutlich daran gehindert, Raketen auf Israel zu feuern und massenweise Ölquellen anzuzünden wie 1991. Die Offensive verlangsamt sich, aber nicht, weil das irakische Militär so stark wäre, sondern weil die Koalition auf Verstärkung wartet, um die bereits mehrere hundert Kilometer langen Nachschubwege gegen Guerilla-Angriffe zu sichern. Und weil es ihr oberstes Gebot ist, zivile Opfer zu vermeiden. Im Unterschied zu Saddam und den benachbarten Diktatoren. Darin liegt Amerikas wahre Stärke, nicht in militärischer Allmacht.

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