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Um illegale Migration zu bekämpfen, will die EU-Kommission mindestens 50 000 Flüchtlingen in den kommenden beiden Jahren die legale Einreise nach Europa zu ermöglichen.

© picture alliance, dpa/Roland Schlager

Grenzkontrollen in Europa: "Wenn Schengen stirbt, wird Europa sterben"

Deutschland und fünf weitere Länder haben ihre Grenzkontrollen verlängert. Die EU-Kommission sieht das europäische Projekt in Gefahr.

Die EU-Kommission hat Deutschland und weitere Länder vor dauerhaften Grenzkontrollen im Schengenraum gewarnt. "Wenn Schengen stirbt, wird Europa sterben", sagte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos am Freitag in Luxemburg. Alle sechs Länder mit Grenzkontrollen kündigten zum dortigen Treffen der EU-Innenminister aber die Verlängerung ihrer Kontrollen an und berufen sich auf die Terrorbedrohung. Dänemark nennt dabei ausdrücklich eine Gefahr durch möglicherweise radikalisierte Asylbewerber aus Deutschland.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verteidigte in Luxemburg die Entscheidung Deutschlands, wegen der Terrorgefahr vorerst weiter bis Mai 2018 zu kontrollieren. "Der Grund dafür ist die angespannte Sicherheitslage im europäischen Gefahrenraum im Blick auf den internationalen Terrorismus und der weiterhin mangelhafte Schutz der europäischen Außengrenzen", sagte er. Die Grenzkontrollen blieben aber eine "befristete Maßnahme" und führten nicht zum Tod von Schengen.

Im Schengenraum aus 26 Staaten gilt normalerweise Reisefreiheit. Kontrollen gibt es normalerweise nur an der Außengrenze. Neben Bürgern profitiert auch die Wirtschaft: Güter können schneller und besser planbar zu Abnehmern gebracht werden. Seit 2015 hatten mehrere Länder wieder Kontrollen eingeführt und sich dabei auf Flüchtlingskrise und Terrorgefahr berufen.

Flüchtlingskrise als Begründung für Grenzkontrollen unzureichend

Deutschland, Österreich, Dänemark, Schweden und Norwegen führten bisher die Flüchtlingskrise ins Feld. Diese Begründung akzeptiert die EU-Kommission nun nicht mehr, nachdem die Ankunftszahlen in Europa deutlich zurückgegangen sind. Sie hat solche Kontrollen nur noch bis zum 11. November genehmigt.

In Schreiben zur Information der EU über die weitere Verlängerung verweisen die fünf Länder nach AFP-Informationen nun alle auf die Terrorgefahr, die schon bisher von Frankreich angeführt wurde. Bei dieser Begründung kann die Kommission die Fortführung der Kontrollen letztlich nicht verhindern.

Dänemarks Ausländerministerin nannte in ihrem Brief zur Verlängerung "die große Zahl irregulärer Migranten und abgelehnter Asylbewerber", die in Nachbarländern wie Deutschland auf ihre Abschiebung warteten, eine "echte Sicherheitsbedrohung". Es gebe das Risiko, "dass Terrorgruppen ihre prekäre Lage ausnutzen".

Slowakei kritisiert die Verlängerung der Kontrollen

Der österreichische Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) kündigte kurz vor der Parlamentswahl am Sonntag verschärfte Kontrollen am Brenner an. Demnach sollen ab sofort auch Güterzüge an dem Übergang nach Italien angehalten und kontrolliert werden.

Schon im September hatten Deutschland, Frankreich und andere Mitgliedstaaten gefordert, die Maximaldauer von Kontrollen wegen Terrorgefahr von bisher zwei auf vier Jahre zu erhöhen. Die EU-Kommission will höchstens drei Jahre erlauben und gleichzeitig die Hürden erhöhen. So soll nach einem Jahr der Ministerrat entscheiden, ob die Kontrollen nochmals um zwei Jahre verlängert werden dürfen.

Aus der Slowakei kam grundsätzliche Kritik an den Verlängerungsplänen. Innenminister Robert Kalinak sprach von einem "sehr traurigen" Vorschlag. "Wir haben alle Angst vor Terroranschlägen, aber ich bin nicht sicher, dass diese Art von Maßnahme wirklich wirksam ist."

Uneinigkeit bei Verteilung Geflüchteter

Auch bei der angestrebten Reform des europäischen Asylsystems und der sogenannten Dublin-Regelung, wonach Flüchtlinge derzeit in dem Land Asyl beantragen müssen, in dem sie zuerst europäischen Boden betreten, herrscht weiter Uneinigkeit. „Nach wie vor ist das Thema der gemeinsamen Solidarität ein schwieriges Thema“, sagte de Maizière.

Im Vergleich zur Hochphase der Flüchtlingskrise 2015 ist die Zahl der ankommenden Menschen deutlich zurückgegangen. Gegen die dauerhafte Verteilung von Flüchtlingen in Europa gibt es aber vor allem aus den sogenannten Visegrad-Staaten Slowakei, Ungarn, Polen und Tschechien großen Widerstand. Derzeit versuchen die 28 EU-Staaten noch im Konsens eine Lösung für ein künftiges Asylmodell zu finden.

Rein rechtlich würde aber auch eine qualifizierte Mehrheit ausreichen - dabei müssten 55 Prozent der Staaten zustimmen, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Das sei das letzte Mittel, sagte de Maizière. Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten allerdings bei dem Thema schon Druck gemacht und bis Ende des Jahres Resultate gefordert. Estland, das derzeit den Vorsitz unter den EU-Staaten inne hat, will in den kommenden Wochen dazu mögliche Kompromissvorschläge darlegen.

Bekämpfung der Schlepperei durch legale Migrationsrouten

Leichte Fortschritte gab es hingegen bei der sogenannten Neuansiedlung von Schutzsuchenden aus Ländern außerhalb der EU. Um illegale Migration einzudämmen, hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, mindestens 50 000 Flüchtlingen in den kommenden beiden Jahren die legale Einreise nach Europa zu ermöglichen. Profitieren sollen davon etwa Migranten aus Niger, dem Sudan, dem Tschad oder Äthiopien. Die EU-Staaten sagten bislang bereits 25 000 Aufnahmeplätze zu, wie Avramopoulos sagte. Er sei zuversichtlich, dass sich zudem bis Ende des Monats noch einiges tun werde.

Unter einem Vorläufer-Mechanismus haben EU-Staaten seit Juli 2015 rund 23 000 Menschen aufgenommen. Ziel ist, durch legale Migrationsrouten auch das Geschäft von Schlepperbanden im Mittelmeer einzudämmen. (AFP, dpa)

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