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Erschöpft. Mit der Ausweitung der Sparmaßnahmen wächst die Wut der Griechen. Doch auch Resignation macht sich immer mehr breit.

© dpa

Griechenland: Den Bankrott vor Augen

Griechenlands Regierungschef hält die Lasten des neuen Sparprogramms für begrenzt, ohne sie drohe eine Katastrophe.

Schicksalstag in Griechenland. Wieder einmal. Am Sonntagnachmittag versammelten sich die Abgeordneten im Parlamentsgebäude am Athener Syntagmaplatz. In der Nacht zum heutigen Montag sollten die Parlamentarier über das neue Sparprogramm abstimmen. Ohne Billigung der Sparauflagen will die EU keine neuen Hilfsgelder auszahlen. Dann droht dem Land die Staatspleite. Der Auftakt der Parlamentsdebatte war von scharfen Kontroversen geprägt. Es kam zu tumultartigen Szenen, als ein Abgeordneter der Kommunistischen Partei die Druckfassung des Gesetzentwurfs in Richtung des Finanzministers, Evangelos Venizelos, warf, der am Rednerpult stand. Venizelos appellierte eindringlich an die Abgeordneten, das Spargesetz zu verabschieden: „Bevor die Finanzmärkte am Montagmorgen öffnen, müssen wir das Signal senden, dass Griechenland überleben kann und will.“

Vor dem Parlament loderten zu dieser Zeit bereits die ersten Brände auf. Vermummte Anarchisten attackierten mit Brandbomben Geschäfte, Restaurants, Bankfilialen und Kinos. Am späten Sonntagabend wurden im Stadtzentrum mindestens 17 brennende Gebäude gemeldet. An den Ausschreitungen seien etwa 1000 bis 1500 militante, mit Brandflaschen und Schlagwerkzeugen bewaffnete Demonstranten beteiligt, sagte ein Polizeisprecher. Augenzeugen berichteten von Plünderungen. Nach Angaben des Rettungsdienstes wurden mindestens 80 Menschen verletzt, darunter 30 Polizisten. Im Laufe des Abends weiteten sich die Unruhen auf weitere Landesteile aus. Schwere Ausschreitungen wurden aus Thessaloniki und der westgriechischen Hafenstadt Patras gemeldet.

Die für Mitternacht erwartete Abstimmung blieb bis zum Schluss eine Zitterpartie. Etwa 30 Abgeordnete der Regierungsparteien hatten angekündigt, gegen das Programm votieren zu wollen. Beobachter erwarteten dennoch eine Mehrheit für das Sparpaket. In einer Fernsehansprache an die Nation hatte Ministerpräsident Lucas Papademos am Samstagabend noch einmal um Unterstützung geworben. In eindringlichen Worten beschrieb er die Folgen einer drohenden Staatspleite. „Wir stehen einen Atemzug vor der Stunde null“, sagte der Premier. Griechenland hätte die jetzt von den Kreditgebern geforderten Einschnitte schon vor langer Zeit aus freien Stücken umsetzen müssen, sagte Papademos. „Das Wirtschaftsmodell, das wir bis 2009 verfolgt haben, ist am Ende“, stellte der Premier fest. Schonungslos beschrieb Papademos die Konsequenzen eines Staatsbankrotts: „Die Ersparnisse der Bürger wären in Gefahr, der Staat könnte keine Gehälter und Renten mehr zahlen, Schulen und Krankenhäuser nicht mehr finanzieren.“ Es werde Engpässe bei der Einfuhr von Lebensmitteln, Arzneien und Treibstoffen geben. Griechenland drohten ein „ökonomisches Chaos“ und eine „soziale Explosion“. „Wir schauen dem Volk in die Augen und sind uns unserer historischen Verantwortung bewusst: Die sozialen Lasten dieses Sparprogramms sind begrenzt im Vergleich zu der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Katastrophe, die uns droht, wenn wir die Maßnahmen nicht umsetzen“, sagte Papademos.

Das neue Programm verlangt für dieses Jahr Einsparungen von weiteren 3,3 Milliarden Euro – zusätzlich zu Ausgabenkürzungen von fünf Milliarden und Steuererhöhungen von 3,6 Milliarden, die bereits im Haushalt 2012 vorgesehen sind. Der Spar- und Reformkatalog, um den die Regierung wochenlang in mühsamen Marathonverhandlungen mit der Troika gerungen hatte, umfasst 30 Punkte. So sollen bei der Beschaffung von Medikamenten im staatlichen Gesundheitswesen knapp 1,1 Milliarden eingespart werden. Auf 600 Millionen belaufen sich die Kürzungen im Wehretat. 190 Millionen soll der Staat durch die Streichung von Zulagen sparen, 400 Millionen bei den öffentlichen Investitionen. Die Renten werden um bis zu 15 Prozent gekürzt, 15.000 Staatsbedienstete entlassen. Der Mindestlohn von 751 Euro wird um 22 Prozent, für Berufsanfänger sogar um 32 Prozent herabgesetzt. Dadurch soll Griechenlands Wirtschaft wettbewerbsfähiger werden. Aber viele Griechen fürchten, dass die neuen Einschnitte ihr Land nur noch tiefer ins Elend treiben. Die griechische Wirtschaft ist bereits im fünften Jahr der Rezession. Vergangenes Jahr schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt um rund sechs Prozent, 2012 könnte es sogar um sieben Prozent zurückgehen. Die Arbeitslosenquote lag im November bereits bei knapp 21 Prozent, unter den bis zu 25-Jährigen ist sogar jeder zweite ohne Job. Für viele Griechen ist die Schmerzgrenze längst überschritten. Acht von zehn Griechen, so eine vergangene Woche veröffentlichte Umfrage, sind gegen den Sparkurs, 91 Prozent sind mit der Regierung unzufrieden.

Billigt das griechische Parlament das Sparprogramm, könnten die Euro-Finanzminister am Mittwoch die Freigabe der neuen Hilfskredite von 130 Milliarden Euro beschließen. Damit würde auch der Weg geebnet für den Schuldenschnitt, der Griechenlands Schulden um rund 100 Milliarden Euro reduzieren soll. Die Zeit drängt: am 20. März steht eine Staatsanleihe von 14,5 Milliarden Euro zur Tilgung an. Ohne neue Hilfen und Schuldenschnitt wäre Griechenland dann pleite.

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