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Rote Botschaft: In Athen erinnert ein Graffito an einen linken Rapper, der vor ein paar Wochen von einem Neonazi erstochen wurde. Foto: John Kolesidis/Reuters

© REUTERS

Griechenland: Furcht vor der „Morgenröte“

Die Führung der rechtsradikalen griechischen Partei sitzt in Untersuchungshaft. Doch die Angst der Flüchtlinge bleibt – und die Frage, was aus ihnen wird.

Eigentlich könnte Raza aufatmen. Doch der 24-jährige Pakistaner sagt: „Die Angst verlässt einen nicht.“ Sieben Mitglieder der griechischen Neonazi-Partei „Goldene Morgenröte“ sitzen in Untersuchungshaft, darunter der „Führer“ Nikos Michaloliakos und die mutmaßliche Nummer zwei Christos Pappas. Vor einigen Tagen hob das Parlament in Athen die Immunität von weiteren sechs rechtsextremen Abgeordneten auf, gegen die nun Strafverfahren beginnen. Die Schlägertrupps, die bis vor drei Wochen Jagd auf dunkelhäutige Migranten machten, scheinen abgetaucht zu sein. Aber einen gelösten Eindruck macht Raza nicht gerade.

Dabei hat er von Polizei und Behörden eigentlich nichts zu befürchten. Raza ist kein „Illegaler“. Er kam vor vier Jahren nach Griechenland, inzwischen hat er eine Aufenthaltserlaubnis, arbeitet an einer Tankstelle an der Athener Vouliagmenis-Avenue. Aber die Furcht vor den Neonazis sitzt tief, auch bei ihm. Nach Einbruch der Dunkelheit gehe er möglichst nicht aus dem Haus, sagt Raza. Und Stadtteile, in denen viele Flüchtlinge anzutreffen sind, meidet er generell – aus Angst vor den schwarz gekleideten Schlägern, die dort Migranten auflauern.

Während Tag für Tag neue, haarsträubende Einzelheiten aus den Ermittlungen gegen die „Goldene Morgenröte“ an die Öffentlichkeit gelangen, fragen Kommentatoren, wie diese Affäre wohl enden wird. Ins Rollen kamen die Ermittlungen, nachdem ein Neonazi Mitte September bei Piräus einen 34-jährigen Rap-Musiker aus der linken Szene mit mehreren Messerstichen auf offener Straße tötete – vermutlich mit Wissen und Billigung, vielleicht sogar auf Weisung der Parteiführung. Der Mord rüttelte die Politiker und die Justiz auf, die dem Treiben der „Goldenen Morgenröte“ seit Jahren eher unbeteiligt zugesehen hatten. Mit den Haftbefehlen gegen Michaloliakos und Pappas sei die Partei „enthauptet“ worden, ist in griechischen Zeitungen zu lesen.

Aber ist das wirklich der Anfang vom Ende der „Goldenen Morgenröte“, die bei der Parlamentswahl im Juni 2012 fast sieben Prozent der Wählerstimmen bekam und 18 Abgeordnete ins Parlament schickte? Lange wurde die Partei als eine Truppe rechtsradikaler Spinner belächelt. Inzwischen zeigt sich, dass ihre Pläne keineswegs harmlos sind. „Das Ziel ist die Abschaffung der Demokratie“, berichtete jetzt ein ehemaliges Parteimitglied den Ermittlern. Es habe geheißen: „Notfalls kommen wir mit Panzern ins Parlament.“ Die Fahnder interessieren sich nun auch für die Geldquellen der Partei und ihre Verbindungen zur Wirtschaft. Dabei stießen sie auf den Namen eines flüchtigen Unternehmers, der wegen Entführung und Erpressung gesucht wird. In einer Villa des Mannes entdeckte die Polizei diese Woche ein umfangreiches Waffenlager sowie eine große Sammlung von Nazi-Devotionalien, zum Beispiel Hakenkreuzfahnen, SS-Uniformen, Standarten sowie Porträts von Hitler und Himmler.

Ein Verbot von Parteien ist in der griechischen Verfassung nicht vorgesehen. Die Regierung hofft deshalb, die „Goldene Morgenröte“ als „kriminelle Vereinigung“ ausschalten zu können. Aber noch ist unklar, wie handfest die Indizien sind, auf die sich die Staatsanwaltschaft stützen kann. Drei zunächst festgenommene Abgeordnete mussten wieder auf freien Fuß gesetzt werden, weil das belastende Material für einen Haftbefehl nicht ausreichte. Und selbst wenn man der Partei beikommen könnte: Was wird aus jenen 500 000 Wählern, die der „Goldenen Morgenröte“ 2012 ihre Stimme gaben?

Die wenigsten von ihnen dürften sich für den Hitler-Kult begeistern. Die Massenarbeitslosigkeit und das Gefühl ständiger Demütigung durch die EU-Troika, das viele Griechen empfinden, treiben sie zu den Rechtsextremisten. Hinzu kommt das immer brisantere Flüchtlingsproblem. Besonders hohe Stimmenanteile erzielt die rechte Partei in Athener Stadtvierteln, die in den vergangenen Jahren zu Brennpunkten der Migration geworden sind. Dort verelenden ganze Straßenzüge, Einheimische trauen sich kaum mehr in diese von illegalen Einwanderern bevölkerten Slums, wo Drogenhandel und Prostitution blühen.

In Griechenland kommen geschätzt eine Million illegale Einwanderer auf knapp elf Millionen Einwohner. Längst ist das Problem der Regierung über den Kopf gewachsen. Es wird sich nicht in Luft auflösen. Auch dann nicht, wenn die „Goldene Morgenröte“ tatsächlich „enthauptet“ wird, weil ihre Führung vielleicht die nächsten Jahre im Gefängnis verbringen muss.

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