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Alexis Tsipras, Regierungschef von Griechenland, und Jean-Claude Juncker, Chef der EU-Kommission, am Freitag in Brüssel.

© AFP

Griechenland: Gemeinsam durch die Krise

Gestreckte Mittelfinger, gegenseitige Beschimpfungen und der Streit um Reparationen sorgen für einen Krieg der Worte, in dem die wichtige Frage aus dem Blick gerät: Steht Europa diese Krise durch, gemeinsam mit Griechenland? Oder stirbt es den Tod der Rechthaberei? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Antje Sirleschtov

Es gibt vieles, was man Europa vorwerfen kann. Von seinem Wasserkopf bis hin zur Unfähigkeit seiner Politiker, dieses Projekt der Völkerverständigung den Menschen so zu erklären, dass sie sich dafür begeistern können. Vielleicht muss dieses Europa erst an seine Grenzen kommen, seine Selbstverständlichkeit verlieren, damit man seinen historischen Wert begreifen kann. Ein solcher Augenblick ist zum Greifen nah und er ist sehr einfach und kurz beschrieben: Grexit. Dann scheitert Griechenland endgültig, und am Ende auch Europa.

Die Entscheidungen, die Europas Regierungen und Parlamente zu treffen haben, sind mit dem Rechenschieber nicht zu greifen. Obwohl die Euro-Länder Griechenland schon einmal vor dem Staatsbankrott bewahrt haben, steht das Volk erneut vor dem Aus. Wie dramatisch muss die Lage sein, wenn eine Linksregierung in ihrer Not die Rentner anpumpen muss, um Kreditzinsen bezahlen zu können? Die Regierung Tsipras steht im Kreuzfeuer zwischen den Forderungen ihrer Gläubiger nach harten Reformen und den großen Erwartungen der Menschen im Land nach Veränderungen, die ihr tägliches Leben einfacher machen. Und als ob das noch nicht schwierig genug wäre, sorgen gestreckte Mittelfinger, gegenseitige Beschimpfungen und der Streit um Reparationen für einen Krieg der Worte, in dem die eigentlich wichtige Frage aus dem Blick gerät: Steht Europa diese Krise durch, gemeinsam mit Griechenland? Oder stirbt es den Tod der Rechthaberei und des finanzpolitischen Diktats?

Abschied Griechenlands aus dem Euro-Raum erscheint vielen als ein Gebot der Fairness

Der Bankrott Griechenlands und damit sein Abschied aus dem Euro-Raum erscheinen vielen als ein Gebot von Anständigkeit und Fairness. Wer seine Milliardäre schützt, wer Flughäfen nicht privatisieren und Verwaltungen nicht modernisieren will, der soll den Preis nicht die anderen zahlen lassen. Das sagt der gesunde Menschenverstand. Warum sollen Spanier und Portugiesen unter Reformen ächzen, wenn die Griechen Finanzhilfen auch ohne sie bekommen?

All das ist ja wahr. Fehler sind zuhauf gemacht worden. In Athen, Berlin und Brüssel. Vor nicht einmal zwei Monaten haben sich die Griechen demokratisch eine Regierung gewählt, von der sie erhoffen, dass sie das Land in eine bessere Zukunft führen wird. Europa ist ein Projekt der Demokratie und Freiheit. Die neue griechische Regierung wird nun beschreiben müssen, wie sie für die Zukunft des Landes selbst sorgen will. Das ist die Voraussetzung für weitere Hilfen. Dafür braucht Griechenland aber nicht nur Zeit, sondern auch das Vertrauen seiner europäischen Partner.

Soll niemand kleinreden, was kommt, wenn die Europäer keinen Kompromiss finden: ein Drachme-Athen, aus dem die Investoren flüchten, soziale Probleme mit unabsehbaren Folgen – humanitären und auch politischen. Neue Verwerfungen auf den Finanzmärkten, neue Hilfen für schwache Euro-Länder. Und am Ende ein Europa, dem niemand mehr zutraut, dass es als einige Kraft in den Konflikten der Welt eine Rolle spielen kann. Man kann jetzt ausrechnen, ob Athen jemals einen Euro zurückzahlen wird und ob man mit einem dritten Hilfspaket gutes Geld schlechtem hinterherwirft. Man kann aber auch einen Augenblick lang in die kriegerische Geschichte dieses Kontinents zurückblicken. Die Lehre daraus ist eigentlich ganz einfach. Europa, seine Idee und seine Währung, sind ohne Griechenland nicht vorstellbar.

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