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Die Entscheider. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Francois Hollande (rechts) mit dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras am vergangenen Sonntag in Brüssel.

© Olivier Hoslet/dpa/EPA

Griechenland-Krise: Meinungen über Deutschland in Europa

Gute Gründe für Misstrauen gegenüber Athen oder Erpressung der Griechen? Die Meinungen in Europa über die Verhandlungslinie Angela Merkels und Wolfgang Schäubles in Brüssel gehen weit auseinander.

Deutschland hat bei den Marathon-Gesprächen in Brüssel über Griechenland eine zentrale Rolle gespielt. Und das kurze, aber inhaltsschwere Papier, das Finanzminister Wolfgang Schäuble in die Debatte einbrachte, hat dabei kräftig polarisiert. Wie wird in den europäischen Hauptstädten die Rolle Deutschlands bei der Einigung von Brüssel bewertet? Eine Übersicht.

FRANKREICH

Frankreich feierte am Dienstag seinen Nationalfeiertag, und bei diesem Anlass bekam die Bundeskanzlerin noch einmal Unterstützung von allerhöchster Stelle für ihre harte Verhandlungslinie in Brüssel. Angela Merkel habe „Gründe gehabt, misstrauisch zu sein“, erklärte Staatschef François Hollande bei seinem traditionellen Fernsehinterview zum 14. Juli. Dass Hollande die Kanzlerin in Schutz nahm, verwundert nicht – schließlich hatte er selbst im kleinen Kreis mit Merkel, dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras und EU-Ratschef Donald Tusk die Basis für die Einigung gelegt.

Jean-Luc Mélenchon, der bei der Präsidentschaftswahl 2012 als Kandidat der Linksfront angetreten war, beklagte hingegen, dass Tsipras die Einigung „mit einer Pistole an der Schläfe“ habe unterzeichnen müssen. Allerdings ging der Linkspolitiker nicht explizit auf die Rolle Deutschlands ein. Ohnehin sehen die Franzosen die Rolle Merkels insgesamt eher positiv. Nach einer jüngst veröffentlichten Umfrage trauen sie der Kanzlerin eher eine Lösung der Griechenland-Krise zu als Hollande. Albrecht Meier

GROSSBRITANNIEN

„Deutschland, Deutschland über Hellas“, schreibt ein Leser im euroskeptischen „Daily Telegraph“. Ein anderer meint: „Im letzten Jahrhundert kämpften wir unter enormen Verlusten zwei Kriege, um zu verhindern, dass Deutschland Europa beherrscht. Es scheint, Deutschland hat dieses Ziel nun ohne einen Schuss erreicht.“ Britische Reaktionen zu dem Griechenland-Deal wären vermutlich positiver gewesen, wenn man Griechenland aus dem Euro befördert hätte – wie es zumindestens Euro-Skeptiker fordern, die dem Euro keine Zukunft geben. Für sie ist die Lehre eindeutig: Länder, die im Euro sind, schreibt der „Telegraph“, müssen den Preis bezahlen, „schmerzliche Austerität und die Aufgabe von mehr als der nationalen Souveränität über die Wirtschaftspolitik“. Im „Guardian“ schreibt US-Wirtschaftsprofessor Barry Eichengreen, das „europäische Projekt wurde auf dem Altar der deutschen öffentlichen Meinung geopfert“.

Ein wenig verständnisvoller sind die Reaktionen in der Austeritätsnation Irland, wo mehr Schuldenerlass für Griechenland den Konsens für die Sparpolitik bedroht hätte und Ministerpräsident Enda Kenny die Hoffnung äußerte, dass Griechenland den Deal nun auch umsetze. Die „Irish Times“ sieht das Abkommen als Erfolg für Frankreich und Deutschland: „Hollande triumphierte, weil er den griechischen Exit verhinderte, Merkel bekam härtere Auflagen durch als das, was die Griechen im Referendum ablehnten.“ Noch mehr Verständnis für die deutsche Position hat der Finanzblogger Michael Hennigan. Für ihn wurde Deutschland mit dem Abkommen nach der Einführung des Euro über die, wie er glaubt, Köpfe des deutschen Volkes hinweg zum zweiten mal Opfer eines „französischen Coups“, weil der Euro „mit weiteren Regelbrüchen gerettet wurde“. Matthias Thibaut

ITALIEN

„Überlegt: In Griechenland wurde die Zivilisation geboren, in Deutschland die Barbarei“: Mit diesen Worten kommentierte „Jena“ in der bürgerlichen Turiner Zeitung „La Stampa“ irgendwann die deutschen Ultimaten an die griechische Regierung. „Jena“ ist ein Pseudonym; mit ihren täglichen, oft extrem zugespitzten Kürzest-Pointen trifft sie meist die Stimmung in Italien. Auch in diesem Fall.

Das Auftreten von Angela Merkel und ganz besonders von Wolfgang Schäuble gegenüber Alexis Tsipras wurde in Rom verbreitet als anmaßend und selbstgerecht empfunden. Auch Regierungschef Matteo Renzi hatte in den Verhandlungen gegen Ende „basta“ zur harten deutschen Haltung gesagt. Die Einigung begrüßte der Premier dennoch: Man habe für Griechenland eine Lösung gefunden. Jetzt brauche es aber auch noch eine für Brüssel. Denn so könne es mit der EU nicht weitergehen. Dominik Straub

SPANIEN

Nach der Einigung mit Griechenland sorgt sich Spanien, dass Deutschlands Einfluss in Europa wächst, während das iberische Gewicht eher sinkt. Diese Befürchtung spiegelt sich in der größten Tageszeitung des Landes, der sozialdemokratisch ausgerichteten „El Pais“, in dem Kommentartitel: „Ein deutsches Europa?“ Auch die bürgerliche Konkurrenz „El Mundo“ resümiert nach der Abmachung mit Athens Regierung: „Europa ist deutscher geworden.“ Und stellt dann hinsichtlich des Verhandlungsergebnisses fest: „Die deutsche Kanzlerin hat die harte Linie durchgesetzt.“

Zugleich wird beklagt, dass Spanien den Machtkampf in der Euro-Gruppe um den begehrten Vorsitz verloren hat. Spaniens Wirtschaftsminister Luis de Guindos, der sich große Hoffnungen auf den Chefsessel des wichtigen Gremiums gemacht hatte, hatte die Abstimmung gegen den bisherigen Vorsitzenden, den niederländischen Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, der für eine weitere Amtszeit bestätigt wurde, verloren. „Spanien verliert an Einfluss in Brüssel“, schrieben mehrere spanische Zeitungen.

Einige Beobachter glauben, dass diese Abfuhr für de Guindos die Quittung dafür sei, dass Spanien hinter den Kulissen eher für ein Scheitern der Gespräche mit der griechischen Syriza-Regierung gearbeitet habe. Vor allem, um den Aufstieg der spanischen Protestpartei Podemos, die auf Syrizas politischem Kurs wandelt, zu bremsen. Ralph Schulze

TSCHECHIEN und SLOWAKEI

Das stärkste Bild hat der Kommentator der slowakischen Wirtschaftszeitung „Hospodarske Noviny“ gezeichnet: „Noch am Freitag galt Tsipras vielen Medien als fähiger Politiker, der nicht nur die heimische politische Szene im Griff hat, sondern auch die europäischen Gläubiger um den Finger wickeln kann. Währenddessen saß der deutsche Pitbull still in der Ecke und wartete, bis seine Zeit kommt.“ Ähnlich ist der Tenor vieler Berichte in den slowakischen Medien – Deutschland gegen Griechenland, so werden die Hauptkontrahenten gezeichnet. Inhaltlich indes sind in der Slowakei und auch in Tschechien die meisten Politiker auf einer Linie mit der deutschen Politik, bisweilen gehen sie in ihren Forderungen noch weiter. „Tschechische Steuerzahler sollten in keinem Fall griechische Schulden bezahlen“, sagte etwa der Prager Präsident Milos Zeman. Der sozialdemokratische slowakische Ministerpräsident Robert Fico verkündete: „Die harte Position war unvermeidlich, weil Griechenland für sich selbst verantwortlich ist, niemand hat Griechenland etwas angetan, es hat sich selbst etwas angetan. Und wenn das Land trotzdem finanzielle Zusammenarbeit erwartet, muss es diese Aufgaben erfüllen.“ Kilian Kirchgeßner

RUMÄNIEN

Für den Publizisten Dan Tapalaga ist die Sache glasklar: „Griechenland ist ein korrupter, gescheiterter Staat, der einem radikalen Reformprogramm unterzogen werden muss“, schrieb er auf „Hotnews.ro“, einem der meistgelesenen Nachrichten- und Meinungsportale in Rumänien. So sei es nur richtig, wenn Berlin auf harte Wirtschaftsreformen bestehe und die „kommunistische Regierung“ in Athen zu schwächen versuche. Seit Jahren überfluten wirtschaftsliberale und streng antikommunistische Leitartikler die rumänische Öffentlichkeit mit Kommentaren, die den Sparkurs in Rumänien und überall in Europa als ökonomisch alternativlos und politisch geboten rechtfertigen. Gleichzeitig wird allerdings auch die Kritik immer lauter. So geht der linke Blogger Costi Rogozanu mit dem „antidemokratischen Diktat Wolfgang Schäubles“ hart ins Gericht. „Es ist irrwitzig, wenn wir es sein müssen, die die guten alten Werte wie Volkssouveränität und Rechtsstaatlichkeit verteidigen müssen, weil die heutigen Liberalen offensichtlich bereit sind, alles über Bord zu werfen“, schreibt er auf der kritischen Plattform „Criticatac.ro“. Silviu Mihai

UNGARN

Spätestens seit der Grundsatzrede, in der Viktor Orbán vor einem Jahr das Ende des Wohlfahrtsstaates und das Projekt einer illiberalen Demokratie ankündigte, ist es den meisten unabhängigen Kommentatoren in Ungarn klar, dass es dem Ministerpräsidenten um viel mehr geht als um den bloßen Erhalt seines korrupten Machtsystems. In den letzten Jahren betonte Orbán stets seine Absicht, das Land einer grundliegenden moralischen und politischen „Revolution“ zu unterziehen, die einerseits die „Brüsseler Bürokraten“ und ihre „liberalen Diktate“ in die Schranken weist, andererseits aber einen „arbeitsbasierten Staat“ aufbauen solle - als potentielles Modell für ganz Europa. Dementsprechend zeigen sich die konservativen Leitartikler, die mittlerweile in den meisten ungarischen Medien den Ton angeben, meistens froh, dass Ungarn den Euro nicht eingeführt hat, und die letzten Abkommen mit dem IWF längst abgeschlossen hat. Gleichzeitig betonen sie, dass die Prophezeiungen des Premiers offensichtlich in Erfüllung gehen: Europa entfernt sich immer mehr vom „linksliberalen“ Ideal einer Föderation, und wird immer klarer zu einem Kontinent, auf dem jedes Land seine „legitimen“ nationalen Interessen verfolgt, während der Sozialstaat zunehmend obsolet wird. Silviu Mihai

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