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Hilfe für einen der Arbeiter aus Bangladesch, der von seinen Kollegen gestützt werden muss.

© Reuters

Griechenland: Kugeln statt Lohn

In Griechenland eskaliert der Rassismus: Ein Landwirt lässt auf Wanderarbeiter aus Asien schießen. Sie wollten ihren Lohn einfordern - der beträgt sechs Euro am Tag.

Sie arbeiten als Erdbeerpflücker für sechs Euro am Tag. Aber selbst dieser Hungerlohn wird ihnen oft monatelang vorenthalten. Mittwochnachmittag am Rand der Kleinstadt Nea Manolada auf der griechischen Halbinsel Peloponnes: Als etwa 200 ausländische Arbeiter, überwiegend aus Bangladesch und Pakistan, ihren Lohn verlangen, lässt der Landwirt sie von drei Leibwächtern mit Jagdgewehren vertreiben. Im Kugelhagel werden 28 Menschen verletzt. Erst am Tag zuvor hatte der Europarat einen Bericht seines Menschenrechtsbeauftragten Nils Muiznieks veröffentlicht. Darin ist von Fremdenhass und zunehmender Gewalt gegen Migranten in Griechenland die Rede.

Die Gegend um Nea Manolada, gelegen zwischen Patras und Pyrgos an der Westküste der Halbinsel Peloponnes, ist Griechenlands größtes Anbaugebiet für Erdbeeren. Tonnenweise werden die roten Früchte jetzt hier jeden Tag gepflückt und verpackt. Aber die wenigsten Griechen, die in den Supermärkten rund 1,50 Euro für das Körbchen Erdbeeren zahlen, haben eine Ahnung, unter welchen Bedingungen die Früchte geerntet werden. Einheimischen ist die Arbeit auf den Erdbeerplantagen viel zu mühselig. Die Bauern von Manolada beschäftigen fast ausschließlich Migranten. Die meisten arbeiten ohne Papiere. Sie hausen in selbst gezimmerten Verschlägen oder in abbruchreifen Häusern. Die Landwirte nutzen die Notlage der meist illegalen Migranten schamlos aus: Fünf bis sechs Euro am Tag, mehr Lohn können die Arbeiter nicht erwarten. Und selbst dieses wenige Geld bleiben die Bauern oft über viele Wochen schuldig. Andere entlohnen die Arbeiter in Naturalien: Statt Geld bekommen sie Erdbeerkörbchen, die sie dann verkaufen können. In den vergangenen Jahren kam es deshalb in Manolada immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Migranten und den Bauern. 2008 traten die Arbeiter in einen mehrtägigen Streik. Im vergangenen Jahr wurden in Manolada zwei Griechen festgenommen, nachdem sie einen 30-jährigen ägyptischen Arbeiter zusammengeschlagen und hinter einem Auto einen Kilometer weit mitgeschleift hatten.

Kein Wunder, dass nun die Gewalt eskaliert. Nach den Schüssen auf die Arbeiter am Mittwoch nahm die Polizei den 57-jährigen Landwirt fest. Die drei Schützen sind auf der Flucht. Ihre Identität ist der Polizei aber bekannt. Erst am Dienstag hatte der Europarat die griechische Regierung eindringlich aufgefordert, strenger gegen Hetzkampagnen und Hassreden rechtsextremistischer Gruppen wie der Neonazi-Partei Goldene Morgenröte vorzugehen und Migranten besser vor Übergriffen zu schützen. Die Athener Regierung spielt das Problem jedoch herunter: Rassismus sei „lediglich ein Randphänomen in der griechischen Gesellschaft“.

Während immer mehr Griechen wegen der Krise ihrem Land den Rücken kehren – seit 2010 wanderten bereits rund 120 000 griechische Wissenschaftler aus –, schwillt der Strom illegaler Einwanderer wieder an. Mit einem Stahlgitterzaun, drei Meter hoch und zehn Kilometer lang, sicherte Griechenland im vergangenen Jahr einen besonders neuralgischen Abschnitt der Landgrenze zur Türkei. Nachdem dort in manchen Nächten über 400 illegale Einwanderer die Grenze überquert hatten, kommen nach der Errichtung der Sperranlagen in diesem Abschnitt fast keine Flüchtlinge mehr ins Land. Dafür hat sich der Strom verlagert. In den ersten drei Monaten dieses Jahres griff die griechische Küstenwache 880 Migranten auf, die mit Booten aus der Türkei über die Ägäis kamen – im ersten Quartal 2012 waren es nur 32.

Jetzt will die griechische Küstenwache ihre Patrouillen verstärken. In der kommenden Woche werde auch die EU-Grenzschutzagentur Frontex zusätzliche Beamte nach Griechenland schicken, um die Seegrenze zu kontrollieren, kündigte Marineminister Kostas Mousouroulis an. Ziel der Patrouillen soll sein, die Flüchtlingsboote schon vor Erreichen der griechischen Hoheitsgewässer abzufangen und die Migranten zur Rückkehr in die Türkei zu bewegen. Mehr als die Hälfte aller Migranten, die ohne gültige Papiere in die EU gelangen, kommen über Griechenland.

Das Land ist mit dem Ansturm überfordert. In vielen überfüllten Aufnahmelagern herrschen menschenunwürdige Zustände. Etwa 700 illegale Einwanderer, die im Abschiebelager Amygdaleza nordwestlich Athens in Wohncontainern untergebracht sind, befinden sich seit mehreren Tagen im Hungerstreik. Insgesamt warten in dem Lager etwa 2000 Migranten auf ihre Anerkennung als Asylanten oder die Abschiebung. Amygdaleza wurde vor einem Jahr eröffnet und gilt als das Lager mit der relativ besten Unterbringung.

Bis über Asyl oder Abschiebung der Migranten entschieden ist, kann allerdings mehr als ein Jahr vergehen. Das liegt vor allem an der äußerst schleppenden Bearbeitung der Asylanträge, was auch in der EU immer wieder auf Kritik stößt. Griechenland hat zwar seit langem eine Reform des Asylverfahrens versprochen. Dazu wird eine neue Asyl- und Flüchtlingsbehörde geschaffen, was sich aber verzögert. Sie sollte ursprünglich ihre Arbeit am 1. April aufnehmen. Jetzt ist von Anfang Juni die Rede.

Mit dem Hungerstreik protestieren die Migranten gegen die lange Dauer ihrer Lagerhaft und gegen angebliche Misshandlungen durch Polizeibeamte, die das Lager beaufsichtigen. Ein Sprecher der griechischen Polizei wies die Anschuldigungen zurück. Einige Migranten hätten sich selbst Verletzungen zugefügt, sagt die Polizei. Neue Unruhe im Lager gab es, als die Beamten die Wohncontainer für einige Stunden räumten, um sie zu durchsuchen. Nach Darstellung der Polizei hatten Lagerinsassen am Montag die Beamten mit Steinen angegriffen.

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