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Spiel Bouzouki! Constantins Cristopoulos, 23, verdient sich mit seiner Laute ab und zu ein bisschen Kleingeld dazu und wartet darauf, dass sich Perspektiven für sein Leben ergeben.

© Theodora Mavropoulos

Griechenland - Kultur der Krise: Der Rembetiko boomt!

Die einstigen Lieder der Armen und Unterdrückten sind zum Sound der Krisengeneration geworden. Neu gemixt – alt begründet.

Ein junger Mann sitzt auf einer Mauer mit Eisengitter, das die kleine Straße am Rande der Athener Altstadt von den antiken Gesteinen abgrenzt. Seine Arme sind tätowiert. Er trägt etwas Bart, die Haare kurz rasiert und sitzt leicht vorgeneigt, denn er ist nicht allein.

Er hat seine Bouzouki bei sich, das Instrument schlechthin für den Rembetiko, den griechischen Blues. Leise schweben melancholische Töne aus dem bauchigen Instrument, umtanzen den Musiker eine Weile und wandern dann fort in die engen Gassen, die sie weitertragen.

„San apokliros girizo“, wie ein Ausgestoßener wandle ich umher

Constantinos Christopoulos, 23, spielt Bouzouki, seit er zwölf Jahre alt ist, sein halbes Leben lang. Und seit im Land Krise ist, nimmt er die Laute immer häufiger zur Hand, nimmt sie mit raus, spielt auf den Straßen, einfach so für sich oder zusammen mit Freunden. Sie hilft ihm, mit der Situation zurechtzukommen. Die Situation: dass er einer von jenen Ungezählten ist, deren Zukunftsträume im andauernden Schuldendrama seines Landes zerplatzen. Leise stimmt er ein Lied an, „San apokliros girizo“, wie ein Ausgestoßener wandle ich umher. Es stammt von dem Bouzoukivirtuosen Vassilis Tzitzanis aus dem Jahr 1949. Es geht darin um Emigration wider Willen, um Einsamkeit in der Fremde und die Sehnsucht nach der Mutter.

Constantinos sagt: „Wenn ich Musik mache, dann vergesse ich alles um mich herum“ und lässt eine sanfte Tonfolge erklingen, wie um das Gesagte zu untermalen. Der Rembetiko, der in seiner Generation lange als uncool galt, sei heute – es gibt kaum Arbeit, viele Leute in seinem Alter leben bei ihren Eltern, ohne Aussicht darauf, dass sich das alsbald ändert – als Krisensong wieder total aktuell, sagt er, lässt den Akkord ausklingen und legt das Instrument beiseite. „Vielleicht leben wir ihn sogar mehr als irgendeine Generation vor uns, eben weil wir uns in dieser schwierigen Lage befinden.“

Es geht um Drogen, Liebe, Politik, aber es wird nicht gejammert

Und so erlebt der Rembetiko derzeit einen Boom. Neue Bands nehmen diese alten griechischen Volkslieder in ihr Repertoire auf und remixen sie. Immer mehr junge Menschen verabreden sich, um gemeinsam Musik zu machen oder zuzuhören, wenn andere spielen. In den hauptsächlich schwermütigen Texten der Rembetikolieder, die in treibender Rhythmik daherkommen, finden nun auch sie etwas, das sie betrifft. Ob es nun um Drogen, Liebe, Alltag oder Politik geht. Die alten Stücke sind mit ihrer direkten Wortwahl oftmals scharfe Skizzen eines harten Alltags, den sie heute wieder erleben. Doch kommen sie eben nicht jammernd daher, nicht mitleidheischend, sie sagen: Du bist was du bist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das sagen sie eigensinnig und kämpferisch.

Die Musik entstand in den 1920er Jahren vor allem durch die osmanischen Griechen. Die flohen aus der Türkei nach Griechenland, nachdem Griechenland 1919 einen Krieg gegen die Türkei begonnen, den aber 1922 verloren hatte, und die Türken dann zurückschlugen. In Griechenland wird diese Zeit als Kleinasiatische Katastrophe umschrieben, in der Türkei gilt sie als Befreiungskrieg. Die osmanischen Griechen konnten in Griechenland nur schwer Fuß fassen. Viele lebten von der Gesellschaft ausgegrenzt in bitterer Armut. Ihre Lebensumstände finden Ausdruck im Rembetiko, der in seinen Anfangszeiten von orientalischen Instrumenten wie Santur, Geige und Lyra dominiert wurde. Aber auch viele Griechen lebten damals in ärmlichen Verhältnissen. Sie versammelten sich mit den geflohenen Neuankömmlingen und machten Musik. Dadurch fand mit den Jahren eine immer stärkere Mischung von orientalischen und griechischen Stilen statt. Das heute für griechische Musik typische Lauteninstrument Bouzouki setzt sich nach und nach im Rembetiko durch.

Wenn das Rembetiko Forum tagt, wird es laut

Einer der Orte, in denen die Flüchtlinge eine Bleibe fanden, war der etwas außerhalb Athens liegende Ort Nea Smyrni, der extra für sie geschaffen wurde. Hier kamen die unter, die ein wenig Geld mitgebracht hatten. Sie konnten sich hier Grundstücke kaufen und Häuser bauen. Heute ist Nea Smyrni eine normale Wohngegend. Auch das Haus, in dem der 72-jährige Nikos Politis mit seiner Frau wohnt, gehörte einst Leuten, die aus Smyrna kamen.

Politis ist Mitglied im Rembetiko Forum, das sich Ende der 1990er Jahre gegründet hat. Einmal im Monat trifft sich das Forum, um gemeinsam zu musizieren. Ein Stimmengewirr schallt einem entgegen, wenn man die Taverne „Ta Brizolakia“ in der Hafenstadt Piräus betritt. Es ist kurz nach 21 Uhr – immer mehr Mitglieder des Forum Rembetiko treffen ein, halten Gitarren und Bouzoukis in den Händen, begrüßen sich. Nikos Politis sitzt bereits an einem der zusammengerückten Tische, und bald haben die knapp 30 Mitglieder Platz genommen und bestellen aus der Karte oder lassen sich etwas vom Wirt empfehlen. Dann ertönen erste Klänge.

„Oft kommt man der Musik nahe, wenn man der Heimat fern ist“

In den Ouzerien des Landes kann man zum kleinen Snack denn Rembetiko hören – und nicht selten fängt auch noch einer der Gäste an zu tanzen.
In den Ouzerien des Landes kann man zum kleinen Snack denn Rembetiko hören – und nicht selten fängt auch noch einer der Gäste an zu tanzen.

© laif

Die Instrumente werden gestimmt. Stücke werden aus dicken Liederbüchern herausgesucht oder aus Tabletcomputern, die ebenfalls auf dem Tisch liegen. Die Stimmung ist ausgelassen. Einer stimmt den Klassiker „San apokliros girizo“ an, den auch Constantinos in der Athener Altstadt gespielt hat. Nach und nach fangen alle an zu singen, Männer und Frauen, ein Chor von Rembetes, wie die Rembetikomusiker heißen, erklingt. Als das Essen kommt, werden die Instrumente zur Seite gestellt. Nikos Politis erzählt, er habe erst in der Fremde den Rembetiko so richtig für sich entdeckt, in Deutschland, wo er studierte. „Oft kommt man der Musik nahe, wenn man der Heimat fern ist“, sagt er. „So war das ja auch mit den Flüchtlingen, deren Sehnsucht nach der Heimat die Musik entstehen ließ.“

Die griechischen Diktatoren beargwöhnten die Rembetes

Damals in den 1920er Jahren habe es hier schon viele Ouzerien, kleine Kneipen, gegeben. Die waren nicht teuer, und da konnte man sich treffen, hat etwas Ouzo getrunken, eine Kleinigkeit dazu gegessen und natürlich gesungen. Und getanzt! Mit ausgebreiteten Händen kreisen hauptsächlich Männer beim Rembetikotanz um sich selbst, gehen immer wieder in die Knie, schnellen wieder nach oben, scheinen zur Seite zu kippen und sich im letzten Moment wieder zu fangen.

Die Ouzerien gibt es auch heute noch, es wird aber nicht mehr so viel getanzt darin. Was sich ja jetzt wieder ändern könnte. Politis jedenfalls freut sich, dass der Rembetiko wieder populär wird. „Die Musik war nie weg“, sagt er. Immer wurde sie von der nächsten Generation weitergetragen. Politis schenkt sich und seinem Tischnachbarn etwas Wein nach, reicht einer Sitznachbarin einen Teller mit Reis in Weinblättern. Einige aus dem Forum greifen wieder zu ihren Instrumenten.

Remetiko à la Reggea oder Swing? "Geht alles", sagt er

Das Leben als Rembetes war früher durchaus riskant. Sowohl während der Diktatur unter General Ioannis Metaxas, die von 1936 bis 1941 währte, als auch in den 1970ern während der Militärdiktatur wurden viele Texte zensiert, und es galt als verdächtig, mit einer Bouzouki gesehen zu werden. Deshalb wurde die Laute Baglama populärer in der Rembetiko-Musik. Sie ist viel kleiner als die Bouzouki und lässt sich gut unter weiten Jacken verstecken. Sogar ins Gefängnis ließ sie sich so schmuggeln. Die Rembetes trafen sich damals in Kellern und abgelegenen Schuppen, um ihre Musik zu spielen. Unterdrücken ließ die sich nämlich nicht, vielmehr hat sich sie in allen Gesellschaftsklassen durchgesetzt. Vermutlich jeder in Griechenland kennt zahlreiche Rembetikostücke auswendig.

Und das jetzt zu Elektromusik, zu Reggaerhythmen und als Swing? Ja, das ist o.k., sagt Politis – „wenn man das Original mit Respekt behandelt und dieses noch zu erkennen ist.“ Das sei ihm dann doch sehr wichtig, betont er. Die Bands Imam Baildi und Locomondo, die Rembetikolieder covern, kennt der Veteran jedenfalls. Und ihm gefällt, was sie machen. Politis greift nun auch zu seiner Bouzouki und stimmt ein in den Chor der Rembetes.

Sie stürmen damit tatsächlich die Charts

Markos Koumaris gründete die siebenköpfige Locomondo im Jahr 2004. Sie ist eine der ersten griechischen Bands, die Rembetikolieder mit anderen Musikstilen mixten. Mit Ska oder mit Reggae. 2005 covert Locomondo das Stück „Frangosyriani“, ein Lied von Rembetiko-Superstar Markos Vamvakaris, das eine Frau besingt, und erobert damit die griechischen Charts. Die Erlaubnis für die Neuaufnahme hatten sie von Vamvakaris Söhnen persönlich erhalten – was für die Nachwuchsmusiker eine „große Ehre“ war, wie sie sagen. Wie die meisten der Rembetes war auch Vamvakaris ein einfacher Arbeiter, ein Fleischer in der Hafenstadt Piräus. Und Locomondo-Frontmann Koumaris hat wie der alte Rembetes Politis in der Fremde, tatsächlich auch in Deutschland, wo er Jazzmusik studierte, die alten Lieder für sich entdeckt. Die Musik aus seinem Land habe ihm damals Halt gegeben, erinnert er sich. „Damals habe ich die Wichtigkeit dieser Musik entdeckt.“

Wie der Griechen-Blues auf den Roten Teppich von Venedig kam

Drei Männer und ein Tänzchen: Regisseur Fatih Akin (M.) mit seinen Schauspielern Adam Bousdoukos (l.) und Moritz Bleibtreu 2009 bei der Premiere von "Soul Kitchen" in Venedig. Zum Soundtrack des Films gehört ein geremixtere Rembetiko.
Drei Männer und ein Tänzchen: Regisseur Fatih Akin (M.) mit seinen Schauspielern Adam Bousdoukos (l.) und Moritz Bleibtreu 2009 bei der Premiere von "Soul Kitchen" in Venedig. Zum Soundtrack des Films gehört ein geremixtere Rembetiko.

© Reuters

Das „Frangosyriani“-Cover seiner Band wurde auch im Ausland gehört: 2009 nahm Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Fatih Akin das Lied in den Soundtrack zu seinem Film „Soul Kitchen“ auf. Bei der Weltpremiere auf den Filmfestspielen in Venedig wählt er das Stück sogar für den Gang der Schauspieler über den roten Teppich. Seitdem hat die Band noch viele weitere Rembetiko- in Reggae-Stücke umgewandelt. Und auch andere Musiker sind inzwischen dabei. Die Band Gadjo Dilo mixt die alten Lieder mit Gypsi-Swing, und die Gruppe Imam Baildi nimmt Elektromusik und Hip-Hop-Beats für ihre Cover. Es funktioniert. Die Stücke sind täglich im griechischen Radio zu hören. Oft kommen die jungen Leute über diese „cooleren“ Remixe erst auf die alten Lieder, wenn sie anfangen, nach den Originalen zu suchen. „Locomondo“-Mann Koumaris findet das super, denn die Rembetikos seien die Wurzel der griechischen Volksmusik – ein großes Kulturgut. Und vielleicht ja auch für andere ein Halt in Zeiten der ständigen Unsicherheit.

Die Bouzouki ist seine Stütze in der schweren Zeit

An der Mauer mit dem Eisengitter hat Constantinos Christopoulos seine Zigarette ausgedrückt und wieder zu seiner Bouzouki gegriffen. Er streicht über das bauchige Instrument und zupft die Saiten. „Viele hier im Land wissen nicht, wie sie den nächsten Monat überstehen sollen“, sagt er zur Melodie. Er selbst weiß es auch nicht. Das ist kein gutes Gefühl. Zwar hat Constantinos ein Dach über dem Kopf, denn er wohnt mit seinen Geschwistern zu Hause bei seinen Eltern. Das sei in Griechenland auch mit weit über 23 gängig, sagt er. Trotzdem. So langsam reicht es ihm. Er möchte auf eigenen Beinen stehen, eine Wohnung haben, eine Perspektive jedenfalls. Durch die wirtschaftlichen Probleme sieht er die aber so bald nicht. Diese Ungewissheit sei das Schlimmste, sagt er. Und so gehe das nun schon seit Jahren. Er formt eine Tonleiter, die ihn weiter zu einem der bekanntesten Rembetikolieder führt: „Min kles“ – Weine nicht.

Vielleicht wandert er auch aus - ganz so, wie in den alten Liedern?

Constantinos überlegt, seine Heimat zu verlassen. Er möchte ein geregeltes Einkommen haben, planen können. In einem Jahr wird er entscheiden, denn zuerst will er sein Studium abschließen. Er studiert Informatik. Zukunfts-Know-how also. Aber vielleicht geht er auch eher: wenn die Lage noch prekärer wird.

Einen Vorgeschmack auf mögliche Abgründe habe es ja bereits gegeben, sagt er, als die Banken im Land von einen Tag auf den anderen geschlossen wurden und zahlreiche Bankautomaten leer geräumt waren. Da herrschte Verzweiflung. Konstantinos schüttelt den Kopf. Das alles sei verrückt. Nun hoffe er natürlich, dass sich die Situation wieder beruhigt.

Eine Zeit lang hat er zwei Mal pro Woche mit einem Freund in einem Restaurant Rembetikolieder gespielt. Pro Abend bekam jeder von ihnen 40 Euro. Aber das Restaurant ist vorerst geschlossen. Ohnehin durften sie dort nur die gemäßigten Stücke spielen. Anordnung des Besitzers. Der wollte keine Kunden vergraulen. Zwar ist Rembetiko in Griechenland fast überall zu hören, im Taxi, im Supermarkt oder eben im Restaurant, doch sind es meist die Liebeslieder. Aber es gibt es auch solche, die von Drogen, Gewalt und illegalen Machenschaften handeln.

Die Belou war ein Star, ihr Hit heißt: Weine nicht!

Gerade das Drogenthema ist nicht ohne Folgen. Es beeinträchtigt das Image der Rembetes. Constantinos kennt das. Es gebe das immer noch, dass man sofort als Kiffer oder Asozialer abgestempelt wird, wenn man Rembetikolieder spielt oder sich draußen mit anderen zum Rembetikospielen versammelt. „Mit den Liedern gehörst du für einige zur unteren Klasse, bist ein Außenseiter am Rande der Gesellschaft“, sagt Constantinos.

Momentan spielen er und sein Freund häufiger auf den Straßen Athens, nehmen damit etwas Geld ein. Aber das sei ja auch nichts Richtiges.

Constantinos zupft weiter und singt, es ist noch mal das Lied „Min kles“, Weine nicht. Das Original wird gesungen von Sotiria Belou. Die Belou, wie sie genannt wird, ist bis heute eine der bekanntesten weiblichen Rembetes. Denn auch Frauen traten auf, wurden zu Stars. Die Belou machte damals, in den 1950er Jahren, als es eine zweite Welle des Rembetiko gab, kein Geheimnis daraus, dass sie lesbisch ist. Oft trat sie in Männerklamotten auf. Eine starke Persönlichkeit, sagt Konstantinos. Ihr Stück „Min kles“ mache Mut, findet er: Die Häuser sind zwar niedrig, singt sie, die Sommer kurz, dafür die Winter umso länger. Aber die Menschen sollen dennoch nicht weinen oder etwas bedauern. Auch für sie werde es einmal bergauf gehen. Und genau das ist es doch, was auch er so dringend hofft.

Theodora Mavropoulos[Athen]

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