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Griechenland: Nach Olympia 2004 ging's bergab

Die Griechen blicken in diesen Tagen wehmütig nach London: Bei Olympia 2004 in Athen war die Welt noch in Ordnung - danach kam der schier unaufhaltsame Abstieg. Das Erbe der Spiele sind Schulden und Bauruinen.

Leonidas Galanos hat die Bilder noch vor Augen: die bunten Fahnen und die glitzernden Lichter, die vielen fröhlichen Menschen, die berauschende Eröffnungszeremonie, das grandiose Feuerwerk. Für die Olympischen Spiele hatte sich Galanos extra Urlaub genommen, über 2000 Euro investierte er in Eintrittskarten, von morgens bis abends war er in den Stadien und Sporthallen. „Es kommt mir vor, als sei es gestern gewesen“, sagt der 41-Jährige. Aber der Sommer 2004, als Athen die Welt zu den Olympischen Spielen begrüßte, liegt eine kleine Ewigkeit zurück. „Das ist vergangen, für immer vorbei“, sagt Leonidas Galanos. Wie er blicken jetzt viele Griechen wehmütig nach London.

2004: Das war das Jahr der Griechen. Erst der Gewinn der Fußball-Europameisterschaft, dann die friedlichen, fröhlichen Spiele von Athen, die trotz aller Unkenrufe dank des sprichwörtlichen griechischen Improvisationstalents, der cleveren Last-Minute-Lösungen und der traditionellen hellenischen Gastfreundschaft zum Erfolg wurden. Die Welt blickte auf Athen. Acht Jahre später macht Griechenland wieder Schlagzeilen – als ein gescheiterter Staat, als ein Krisenland, das vor dem Absturz in die Pleite steht.

Auch London hat für die Olympischen Spiele neu- und umgebaut:

Wenn Leonidas Galanos heute über das Olympia-Gelände im Athener Stadtteil Maroussi geht, packen ihn Trauer und Wut. Nur ab und zu irren einige Neugierige über das riesige Areal. Viel zu sehen gibt es da auch nicht. Die Wasserspiele sind versiegt. Viele Bäume, die für die Spiele gepflanzt wurden, sind längst verdorrt, weil sich niemand um die Bewässerung kümmert. Die Toilettenhäuschen sind verriegelt. Nicht mal eine Erfrischungsbude gibt es. Verdorrtes Unkraut überall. Der Wind wirbelt Staubfahnen auf. „Es ist eine Schande, ein Verbrechen“, sagt Leonidas Galanos. Keine Spur von dem Freizeitpark, den die Athener Olympia-Strategen einst versprachen. Hoch ragt der Zehnmeterturm des Schwimmstadions auf. Hinunterspringen sollte man nicht – im Becken ist kein Wasser. An der kühnen Stahlkonstruktion des spanischen Star-Architekten Santiago Calatrava, die das Glasdach des Olympiastadions trägt, nagt der Rost. Ab und zu finden hier Erstliga-Fußballspiele statt. Dann demolieren die griechischen Fans meist die Plastikstühle, hinterlassen Zerstörung, Müll und Chaos. Der olympische Geist: in Maroussi hat er sich längst verflüchtigt.

So trostlos wie hier sieht es acht Jahre nach den Spielen an den meisten Olympiastätten in Athen aus. Nicht einmal die Hälfte der Bauten wird genutzt. Die Mehrzahl steht leer, verrottet allmählich. Wer von Irini („Frieden“), wie der Haltepunkt der Athener Vorortbahn am Olympiastadion heißt, den Zug nach Süden nimmt, kommt nach rund 20 Minuten zur Station Faliron. In diesem Athener Küstenvorort befand sich der zweite große Brennpunkt der Spiele. Heute ist dies die wohl trostloseste Küste Griechenlands. Freibäder, Liegewiesen, Radwege und einen ökologischen Park müsste es hier eigentlich geben. So war es in der Olympia-Planung vorgesehen. Nichts davon wurde verwirklicht. Das Areal ist eine staubige, verwahrloste Einöde. Nachts kippen hier im Schutz der Dunkelheit Lastwagen illegal Bauschutt und Sperrmüll ab. Einige Roma-Familien hausen in selbst gezimmerten Verschlägen auf dem Gelände. Die Anwohner nennen es die „Sahara“. Wie das Gerippe eines toten Tieres ragt die Stahlgitterkonstruktion des Beachvolleyball-Stadions aus dieser Wüste auf. Kaum etwas verdeutlicht das Versagen der griechischen Politik und die Misere des Olympia-Erbes so bedrückend wie diese 24 Hektar Land bei Faliron. Man muss nicht bis nach Barcelona fahren, um sich auszumalen, was man aus diesem Küstenstreifen hätte machen können.

Innerhalb eines Jahres stieg die Staatsverschuldung um 20 Milliarden Euro

2004 wurde die Olympische Fackel in Athen entzündet.
2004 wurde die Olympische Fackel in Athen entzündet.

© dapd

Wenn man von Faliron nach Süden blickt, sieht man in der Ferne den Kontrollturm des alten Athener Flughafens Ellinikon. Seit über elf Jahren ist dort kein Flugzeug mehr gelandet, aber die Schilder hängen noch: „Domestic Departures“, „International Arrivals“. Nicht mal für die Sommerspiele von 2004 hat man sich die Mühe gemacht, die verrosteten Wegweiser abzumontieren. Damals erwachte das Flughafengelände für drei Wochen zu neuem Leben. Auf einem Teil des Vorfelds wurden in einem künstlich angelegten Wildwasser Kanu-Wettbewerbe ausgetragen, in einem umgebauten Flugzeughangar spielte man Basketball. Aber seit dem Ende der Spiele ist das 600 Hektar große Gelände wieder eingezäunt und menschenleer. „Den größten Park Europas“ versprach 2001 der damalige Premier Kostas Simitis hier anzulegen. Darauf warten die Athener immer noch vergeblich. In einer Ecke des Rollfelds vergammeln mehrere Flugzeugwracks der längst aufgelösten Staatslinie Olympic Airways – Symbole des Niedergangs eines ganzen Landes.

Die deutsche Fahnenträgerin und ihre Vorgänger:

Immerhin verdanken die Athener den Spielen von 2004 ihren neuen Flughafen bei der Ortschaft Spata. Und auch die moderne Ringautobahn hätte es ohne die Spiele wohl ebenso wenig gegeben wie die neue S-Bahn oder die Straßenbahn, die vom Syntagmaplatz zur Küste des Saronischen Golfs fährt. Ansonsten aber ist von den Spielen wenig geblieben – außer einem riesigen Schuldenberg. Das Budget für die Spiele betrug ursprünglich 4,6 Milliarden Euro. Tatsächlich wurden es nach offiziellen Angaben 11,2 Milliarden. Unabhängige Schätzungen gehen sogar in eine Größenordnung von 20 Milliarden. Olympia 2004 ist den Griechen zum Verhängnis geworden. Nachdem das Haushaltsdefizit 2002 noch bei erträglichen 3,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gelegen hatte, schoss die Quote im Olympiajahr auf 7,5 Prozent. Binnen einem Jahr stieg die Staatsverschuldung von 182 auf 201 Milliarden Euro. Damit war der Weg Griechenlands ins Schuldendesaster vorgezeichnet.

Der Olympia-Fan Leonidas Galanos wollte übrigens nach London fliegen, um wenigstens die Eröffnungsfeier mitzuerleben. Diesen Plan hat er aufgeben müssen. Die Krise hat auch ihn eingeholt. Vor einem halben Jahr verlor er seinen Job als Verkaufsleiter bei einem Athener Möbelhaus. Das Unternehmen meldete Insolvenz an. Jetzt bekommt Leonidas Galanos 360 Euro Arbeitslosengeld im Monat. Für die Reise nach London reicht das nicht.

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