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Wolfgang Schäuble und Sigmar Gabriel kooperieren in der Griechenland-Krise

© mauritius images

Griechenland: Sigmar Gabriel schaut auf Wolfgang Schäuble

Wolfgang Schäuble macht Ernst, Angela Merkel muss sich nun entscheiden und Sigmar Gabriel muss alle mitnehmen. Stephan-Andreas Casdorff analysiert das deutsche Machtspiel in der Griechenland-Krise.

Dieser Blick. Von unten nach oben. Den Kopf schräg gelegt. Die Mundwinkel: von oben nach unten. Tiefe Falten. Harte Furchen. Lippen wie Striche. Da sitzt die Entscheidung. Immer wieder Wolfgang Schäuble. Kein Politiker zieht derzeit so viel Aufmerksamkeit auf sich wie er. Noch mehr als auf der anderen Seite Sigmar Gabriel. Aber zu dem kommen wir später. Er gehört zum Bild, ganz unbedingt.

Schäuble, der Eiserne. Nicht der Kanzler, nein, das nicht, aber der Schatzkanzler. So hießen die Finanzminister früher einmal, so könnte er heute heißen. Schäuble hütet den Schatz, den die deutsche Wirtschaft darstellt. Er lässt niemanden ans Geld, nur die, die er auswählt. Auserwählte, gewissermaßen. Wer das Geld hat, hat Macht. Nicht DIE Macht, die alleinige, aber Macht. Macht, Politiker groß zu machen. Oder eben klein.

Thomas de Maizière zum Beispiel, der Innenminister, der hat es sich mit Schäuble fast schon verscherzt. Wobei das Wort verscherzt freundlich klingt, scherzhaft. Verletzungen sind aber nie scherzhaft, lachhaft schon gar nicht. De Maizière hat Schäuble einmal, zweimal in einer Weise eingeordnet, die den getroffen hat. Verletzt hat. Vielleicht sogar gekränkt.

Verletzungen können heilen, vernarben, sodass man nur daran denkt, wenn man an sie stößt. Kränkungen aber heilen nie. De Maizière hat Vorgänger Schäuble in seiner Zeit als Innenminister als Hardliner dargestellt. Hardliner, das ist hart an der Beleidigung. Das klingt wie: Da denkt einer nicht weit genug. Man kann sich denken, was das bei Schäuble hinterlassen hat.

Auf der anderen Seite: Ursula von der Leyen. Sie hält sich bei ihm. Sie kann Fehler machen – nur nicht auf seine Kosten. Sie macht ja auch nicht diesen Fehler. Als ihr Vater gestorben war, wen hat sie da gebeten, die Trauerrede zu halten? Genau, Wolfgang Schäuble. Es war ihr wichtig, er war ihr wichtig, und sie hat es verstanden, ihm dieses Gefühl zu vermitteln. Das muss man können. Auch in der Politik.

Varoufakis war für Schäuble eine Zumutung

Und jetzt dieses Griechenland. Dieser Yanis Varoufakis! Eigentlich war der eine permanente Beleidigung für Wolfgang Schäuble. Einer, der ihm Vorträge hält, ungefragt, unerbeten. Der alles besser wusste. Der aber nichts von Politik weiß. Gewiss nicht so viel wie einer, der seit 1972 im Bundestag sitzt. Seit 1972. Ein Menschenleben lang. Da gab es in Griechenland noch die Militärdiktatur. Das Regime der Obristen. Das muss man sich mal vorstellen.

Varoufakis, was weiß der schon. Spiele spielen, das kann er. Spiele entwerfen auch. Aber Politik ist kein Spiel, jedenfalls nicht immer und jetzt schon gar nicht mehr. Politik, das ist nicht allein Ökonomie, das ist Recht und Ordnung. Davon versteht Schäuble ja nun wirklich etwas. Recht! Ordnung! Das sind seine Themen. Ist er nicht der beste Verfassungsjurist, den er kennt? Varoufakis, was kennt der schon. Schäuble jedenfalls nicht. Und der macht jetzt Ernst. Bitterernst. Das zeigt seine Miene, sein Blick. Jetzt versteht Varoufakis bestimmt. Zu spät.

Nicht mehr ob, sondern wann. Das ist in Brüssel die Frage

Deutsch-französische Freundschaft. Angela Merkel und François Hollande zählen in der EU zu den wichtigsten Verbündeten.
Deutsch-französische Freundschaft. Angela Merkel und François Hollande zählen in der EU zu den wichtigsten Verbündeten.

© Etienne Laurent/dpa

Schäuble denkt so, und er sagt es so. Aber nur ein einziges Mal öffentlich. „Isch over“, es ist vorbei. Vorbei, ein dummes Wort? Von wegen. Das Schlüsselwort. Es geht nicht mehr ums Ob, es geht ums Wann. Und je schneller, desto besser. Das sagt Schäuble nicht öffentlich, nicht so klar, natürlich nicht. Logischerweise nicht. Er weiß doch, wie Politik gemacht wird. Und Geschichte, das in diesem Fall nicht zu vergessen.

Aber an den entscheidenden Stellen hat er es gesagt. Der EZB, da besonders Mario Draghi, dem IWF, dort vor allem Christine Lagarde, der Eurogruppe, den USA, Frankreich, überall. Alle wissen, wie er denkt, was er denkt. Und wenn sie mit ihm reden, die Kollegen, dann klingt das, als stimmten sie zu. Das war jedenfalls die vergangenen Male so. Dem Mario hat er gesagt, dass er etwas machen muss. Ob er ihm da nicht auch gesagt hat, was er machen muss? Oder besser sollte?

Die Lager sortieren sich

Jetzt ist das Bild ein wenig anders. Dass alle ihm zustimmen, stimmt so nicht. Denn die Lager sortieren sich. Aber die Mehrheit in der Eurogruppe hat er. Wenn er will, dann … Ja, was will er? Isch over, „Grexit“, Exit? So sagt er es nicht, nur halt, dass das Vertrauen in die Griechen „in unfassbarer Weise zerstört worden ist“. Zerstört! Das ist ein Wort, das keine Hintertüren übrig lässt. In Trümmern geht es höchstens noch um neuen Aufbau, um Wiederaufbau.

Da hat Schäuble, natürlich, logisch, eine Idee. Ein „Grexit“ auf Zeit. Das macht Sinn, und das klingt nach Hans-Werner Sinn, dem Ökonomen. Schäuble, dem Nichtökonomen, hat das eingeleuchtet, und er schlägt diese Richtung ein. Man könnte sagen: Er weist sie. Damit auch die Kanzlerin eine Mehrheit finden kann, politisch, im Kreis der Staats- und Regierungschefs wie nachher in der eigenen Unionsfraktion.

Das weiß einer wie Schäuble besser als jeder andere: Ohne die Mehrheit im eigenen Lager ist ein Kanzler verloren. Wie oft hat er früher dem Kanzler Helmut Kohl in bedrängter Lage, in historischer Situation, für dessen europäische Mission die Mehrheit in der Fraktion organisiert. Gesichert. Und damit den Kanzler im Amt abgesichert. Nicht sich selbst. Diese Arbeit war nicht immer zu Schäubles Vorteil.

Die Mehrheit gibt es nur mit Schäuble

Die Sache mit der Mehrheit bei den eigenen Leuten muss Angela Merkel jetzt auch gelingen. Und das kann ihr nur mit Schäuble gelingen. Denn die Fraktion steht hinter ihrem Finanzminister. Dieses Mal ist seine Härte in der Sache für ihn von Vorteil. Er ist so beliebt wie nie, in der Bevölkerung wie im Parteivolk. Und die Griechen machen sich zur gleichen Zeit immer unbeliebter.

Es ist doch nicht der Abgeordnete Wolfgang Bosbach allein, der Rheinländer, der offenherzig über sein Unverständnis redet. Hinter vorgehaltener Hand sind es viele. Und Bosbach ist mit seiner Ablehnung nicht allein. Die Fraktion aus CDU und CSU will nicht mehr, will das alles nicht mehr: nicht mehr Geld geben, nicht mehr das ganze Hin und Her erklären. Weil es doch niemandem mehr zu erklären ist, da draußen im Lande, wie Kohl immer gesagt hat, und in der Partei. Ab und zu müssen die Abgeordneten ja doch ins Land hinaus.

Die Kanzlerin, so wirkt es, kommt dagegen aus ihrer Wagenburg nur heraus, um nach Brüssel zu fahren. Immer wieder. Brüssel wird Berlin. Paris. Rom. Brüssel, die Hauptstadt der Erwägung. Und wer ist schon da? Der Schatzkanzler. Der seine Erwägungen weitgehend abgeschlossen hat.

Gabriel muss möglichst alle mitnehmen. Er telefoniert bis in die Nacht

Angela Merkel steht in Brüssel jetzt vor der Entscheidung
Vor der Entscheidung. Angela Merkel weiß, dass ein Kanzler ohne die Mehrheit im eigenen Lager verloren ist.

© dpa

Hat sie die Mehrheit? Welche Mehrheit hat sie? Und wo? Die Entscheidung naht. Nicht zuletzt Merkel muss sich von etwas scheiden. In jeder Kanzlerschaft kommt dieser Punkt, kommt das Ende aller Prinzipienfreiheit, wie es einmal im Hinblick auf Gerhard Schröder hieß. Und auch im Blick auf Merkel kann man sagen, dass ihr anzusehen ist, wie die Kraftlinien eines Landes ihr Gesicht durchziehen. Oder wird Schäuble ihr wieder die Mehrheit organisieren, sie sichern und ihr die Macht?

Er hat die Macht. Er verwaltet das Geld. Wenn der Finanzminister, der von Amts wegen das Recht zum Veto hat, das Haupt beugt, wenn er nachgibt und es auf sich nimmt, einem Deal in Brüssel zuzustimmen, der wieder Milliarden kostet – dann … Dann kann es gelingen. Und er hätte diesmal auch sich gesichert: im Amt, mit dieser Macht. So lange, bis er nicht mehr will.

Und dennoch ist es nicht sicher. Weil die Fraktion in der Sache gegen Merkel steht und Schäubles Bedenken teilt. Und wenn sie sich ihr verweigerte, dann … Dann müsste sie gehen. Wer in diesem Falle käme? Der, der die Mehrheit hinter sich hat.

Oder Merkel muss sich von Schäuble scheiden

Ja, sollte sich Merkel dann etwa von Schäuble scheiden? Wo doch auf der anderen Seite die Franzosen wie die Italiener schon in seine Richtung sagen: Genug ist genug. Dann muss die Kanzlerin wählen. Nein, das ist nicht das Mittel ihrer Wahl. Wenn sie François Hollande und Matteo Renzi wählt, den Schulterschluss mit ihnen sucht – dann muss sie hoffen. Auf eine Mehrheit in der Fraktion und auf die Griechen. Dann muss nämlich alles gut gehen mit ihnen. Sonst „isch over“. Für sie. Für die CDU.

Darum hat ja auch Peter Hintze, Vorsitzender der stärksten Landesgruppe in der Fraktion, der von NRW, bereits ein geschlossenes Votum von den Abgeordneten gefordert, eines im Sinn der Kanzlerin, wenn die sich entschieden habe. Hintze, der Merkel-Vertraute, baut vor. Er kennt sich auch aus in der Politik, er war Generalsekretär der Partei unter Kohl. Er weiß, was geschehen kann. Ein Spieltheoretiker ist der nicht. Er ist ein strategischer Kopf und beherrscht die Theorien des Machterwerbs und Machterhalts.

Womit Sigmar Gabriel ins Blickfeld gerät. Auch bei ihm geht es um Machterwerb, vorher allerdings noch um seinen Machterhalt. Der SPD-Chef ist als Vizekanzler im Bund der Dritte, im Bund der großen Entscheider dieser Koalition. Und die Entscheidung, die in Brüssel fällt, bezieht ihn mit ein. In jeder Hinsicht.

Er muss, wie Merkel, wie Schäuble, möglichst alle mitnehmen, alle in der SPD, in der SPD-Bundestagsfraktion, in der sozialdemokratischen Parteienfamilie Europas. Und er soll als Koalitionär verlässlich sein. Für ihn ist das die Verwürfelung des Balls, von der Merkel gerne spricht.

Von Schäuble redet Gabriel mit allergrößtem Respekt, von Anfang an und jetzt nicht minder. Dessen Ansicht teilt er, mehr, als er sagen kann. Und findet dessen Vorschläge durchdacht, was er dann doch auch zu sagen wagt. Es ist ein Wagnis, das zu tun. Also muss er seine Worte wägen, und sei es im Nachhinein.

Gabriel schaut auf Schäuble

Das geht bis in die tiefe Nacht, wie sich auf Facebook zeigt, vorher hat Gabriel noch einige Anrufe gemacht. Denn die Genossen wollen nicht, dass über ihre Köpfe – ihre vielen – hinweg entschieden wird. „Schrödern“ durfte nur einer, und das auch nur vergleichsweise kurz, heute darf es keiner. Und das für längere Zeit nicht mehr. Wie lange einer das aushalten kann, der sogar Gerhard Schröder früher die Meinung sagte, wird sich jetzt auch gleich mitentscheiden.

Gabriel schaut auf Schäuble. Er achtet auf ihn, auf das, was er tut. Oder unterlässt. Er schaut zu ihm auf, in einer Hinsicht: Schäuble versteht mehr als viele andere vom Geschäft. Von Politik. Mehr als die meisten auch in der SPD. Und in diesem Fall weiß er, was in der Sache auf dem Spiel steht. Natürlich haben die beiden miteinander gesprochen, sie sprechen viel miteinander. Zu anderen Zeiten hätte diese große Koalition die Neuauflage von „Plisch und Plum“ erlebt, wie Karl Schiller als Wirtschaftsminister und Franz Josef Strauß als Finanzminister genannt wurden.

Wenn einer das heute sagt, dann ist das suspekt – schon Schiller war nicht links genug. Bei Gabriel haben die Genossen längst den gleichen Verdacht. Und Schäuble, ist der nicht so rechts wie Strauß? Man stelle sich vor, der wäre Kanzler … Ja, man stelle sich vor. Und dann den Wahlkampf. Mit ihm. Gegen ihn. Aber so weit denken die Genossen nicht.

Denkt etwa jetzt einer schon an morgen? Wo die Gegenwart zählt und die Entscheidung naht. Wolfgang Schäuble ist da. Angela Merkel auch. Von Sigmar Gabriel heißt es, dass er später kommt.

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