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Der griechische Premier Antonis Samaras (links) und EU-Kommissionschef José Manuel Barroso.

© Reuters

Griechenland und Europa: Präsident und Patient in Personalunion

Zum Jahresbeginn übernimmt Griechenland den Vorsitz im EU-Rat. Die Finanznot des Landes soll in dieser Zeit keine Rolle spielen. Das dürfte aber ein frommer Wusch in Brüssel sein.

Das Segelschiff gleitet volle Kraft voraus. Das aufgeblähte Segel im Logo der griechischen EU-Präsidentschaft, das im ersten Halbjahr 2014 deren Aktivitäten begleiten wird, strahlt viel Optimismus aus. Die Botschaft, die die griechische Regierung damit verbreiten will, ist klar: Wir haben angesichts des für nächstes Jahr prognostizierten Mini-Wachstums von 0,6 Prozent nach sechs Jahren tiefer Rezession die Wende geschafft. „Das wird eine Präsidentschaft der Chancen“, kündigte Premierminister Antonis Samaras diese Woche bei einem Besuch in Brüssel an, „keine Präsidentschaft der Krise.“

Fragen nach Haushaltslöchern und dem griechischen Schuldenberg stören da nur. Deshalb gab es den Plan, in der Zeit zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni keine für das griechische Hilfsprogramm relevanten Entscheidungen treffen zu müssen, wie ranghohe EU-Diplomaten berichten. Ein ausstehender Beschluss über die nächste Hilfsrate müsste dafür noch dieses Jahr von den Euro-Finanzministern gefällt, die Debatte über weitere Schuldenerleichterungen für Athen dagegen ins zweite Halbjahr 2014 verzögert werden. Es war sogar schon ausgerechnet worden, dass 9,3 Milliarden Euro, die im Mai zur Schuldentilgung gebraucht werden, über kurz laufende Papiere aufgenommen werden könnten. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF), heißt es in Brüssel, habe für diese Operation schon seinen Segen gegeben.

Drei Punkte sind besonders strittig

Doch der Plan ist schon so gut wie gescheitert. Denn für die letzte Euro-Gruppensitzung des Jahres am Montag liegt kein fertiger Bericht der Troika von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und IWF vor. Die Troika soll die griechische Lage beurteilen. Das aber ist die Voraussetzung dafür, dass die Hilfszahlung von 5,9 Milliarden Euro, die eigentlich bereits für Oktober vorgesehen war, überwiesen werden kann. Ein Beschluss wird nach Angaben aus der Euro-Gruppe nun frühestens bei der Sitzung im Januar fallen. Derzeit sind die Finanzexperten, die das im Gegenzug für die Milliardenhilfe vereinbarte Spar- und Reformprogramm überwachen, nicht einmal vor Ort. Sie haben ihre Kontrollvisite wegen zu großer Meinungsverschiedenheiten zum wiederholten Male unterbrochen.

Drei Punkte sind besonders strittig, wie es im Umfeld der Troika heißt: Da ist zum einen eine Finanzierungslücke im Haushaltsentwurf für das kommende Jahr, über den in einer Sondersitzung des griechischen Parlaments an diesem Wochenende abgestimmt werden soll. Eine Milliarde Euro fehlt. Teil des Problems ist aus Sicht der Geldgeber, dass das Athener Finanzministerium die Lage zu optimistisch bewertet und mit Steuermehreinnahmen von 400 Millionen Euro rechnet, die die Troika so nicht sieht.

Zweitens fordert sie den Angaben zufolge, ein Verbot von Zwangsversteigerungen aufzuheben, wenn Hausbesitzer ihre Hypotheken nicht mehr bedienen können. In der Euro-Gruppe herrscht die Meinung vor, das gut gemeinte Gesetz verleite in der Praxis mittlerweile auch solvente Bankkunden dazu, nicht mehr zu zahlen. Athen dagegen befürchtet verheerende Folgen – nicht nur auf dem Wohnungsmarkt. „Die griechische Regierung argumentiert, keinen weiteren Einschnitt durchsetzen zu können, ohne selbst über soziale Unruhen zu stürzen“, sagt ein belgischer EU-Diplomat. Und die europäischen Partner wissen, dass sie es bei Neuwahlen mit dem viel schwierigeren Partner Alexis Tsipras von der Syriza-Partei zu tun bekämen – und mit erstarkten Neofaschisten der „Goldenen Morgenröte“.

Verringerung der griechischen Schuldenlast heikel

Auch den dritten Streitpunkt freilich meinte Premier Samaras „noch in diesem Jahr“ lösen zu können. Politisch ärgert dieser Punkt die Geldgeber besonders, weil er längst hätte abgearbeitet sein sollen. Es geht nach Diplomatenangaben um die Schließung einer staatlichen Rüstungsfirma mit 800 Beschäftigten, die pro Beschäftigtem 100 000 Euro Verlust macht: „Das entspricht den gesamten Lohnkosten – das muss man erst einmal schaffen.“

Die politisch heikelste Herausforderung aber wartet, wenn all diese Punkte abgearbeitet sind: die Verringerung der griechischen Schuldenlast, die auf 175 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen ist. Dieser Forderung des Weltwährungsfonds nachzukommen, der damit die Rückzahlung seiner Kredite in der Zukunft absichern will, haben die Euro-Länder schon vergangenes Jahr versprochen – sobald Griechenland einen strukturellen Etatüberschuss erwirtschaftet. Am 22. April, wenn die Statistikbehörde Eurostat diese um Konjunktureffekte bereinigten Zahlen veröffentlicht, soll das amtlich sein. „Wir müssen uns an unsere Versprechen halten“, mahnt Europaparlamentspräsident Martin Schulz (SPD).

Schuldenschnitt bleibt unpopulär

Dass der Schuldenberg abgebaut werden muss, gilt als sicher. Mittlerweile teilt die gesamte Troika die Einschätzung, dass er auf Dauer nicht tragfähig ist. Wie der Schuldenerlass konkret gestaltet wird, bleibt dagegen ungewiss – obwohl Samaras gerne noch vor Beginn der EU-Präsidentschaft Klarheit darüber gehabt hätte. So wird die Diskussion mitten in der Präsidentschaft geführt werden müssen.

Ein klassischer Schuldenschnitt, den der IWF einstweilen gefordert hatte, ist in der Euro-Gruppe weiterhin extrem unpopulär. Schließlich gehören die rund 250 Milliarden Euro an griechischen Staatsschulden mittlerweile fast ausschließlich den Rettungsschirmen EFSF und ESM sowie der Europäischen Zentralbank und damit der öffentlichen Hand. Ein Schnitt würde den Steuerzahler erstmals in der Euro-Krise wirklich Geld kosten.

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