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Griechenland: Wenn „Merkel“ zum Schimpfwort wird

Die Schuldenkrise hat einen Keil zwischen Deutsche und Griechen getrieben. Angela Merkel ist bei den Griechen unbeliebt - ihr Name ist fast ein Schimpfwort - und das deutsch-griechische Verhältnis ist angespannt.

Ein Supermarkt im Athener Vorort Voula. Die Kassiererin händigt einer Kundin das Wechselgeld aus. Aber da scheint etwas nicht zu stimmen. Die Kundin, an ihrem Akzent unzweideutig als Deutsche zu erkennen, protestiert: Es fehle ein Euro. Es entwickelt sich ein Wortwechsel, an dessen Ende die Kundin auf den Euro verzichtet und genervt den Laden verlässt. „Merkel“, zischt die Kassiererin ihr hinterher.

Der Name der deutschen Kanzlerin: für viele Griechen inzwischen ein Schimpfwort. Angela Merkel ist in Griechenland die bekannteste, aber auch die unbeliebteste deutsche Politikerin. Fast 84 Prozent der Griechen, so eine Umfrage, haben eine negative Meinung von der Kanzlerin. Das schlechte Image färbt ab: Während Deutschland noch 2005 von 78 Prozent der Griechen als beliebtestes Land genannt wurde, liegt es nun weit abgeschlagen bei 29 Prozent. Sogar China, Russland und Indien sind den Hellenen sympathischer. Die Schuldenkrise hat einen Keil zwischen Deutsche und Griechen getrieben. Eine alte Freundschaft zerbricht. Das überschattet auch den Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou, der heute in Berlin von der Bundeskanzlerin zum Abendessen empfangen wird.

Dass ihr Land kurz vor der Pleite steht, kreiden viele Griechen nicht nur den eigenen Regierungen und den gnadenlosen Finanzmärkten, sondern auch Merkel an. Zu lange habe die Kanzlerin im Frühjahr 2010 mit Rücksicht auf innenpolitische Stimmungen und Boulevardmedien Hilfszusagen für Griechenland hinausgezögert und damit die Krise eskalieren lassen, heißt es. „Merkel denkt nur an die nationalen Interessen Deutschlands, sie versteht Europa nicht“, sagt die 23-jährige Athenerin Aliki Apostolatou. Das hänge wohl mit Merkels Herkunft aus der DDR zusammen, vermutet sie. Die Kunststudentin wollte eigentlich für zwei Semester nach München gehen, hat sich jetzt aber für Paris entschieden: „Da werde ich mich akzeptierter fühlen“, glaubt Apostolatou.

Griechische Diplomaten meiden selbst in vertraulichen Hintergrundgesprächen jedes kritische Wort über Berlin. Sie werden aber merkwürdig schweigsam, wenn die Unterhaltung auf das deutsch-griechische Verhältnis kommt. Auf die Frage, wie denn das persönliche Verhältnis zwischen Papandreou und Merkel sei, antwortet ein Diplomat: „Es muss gut sein.“ Ist das nun Hoffnung oder Ironie? Viele Griechen, die unter der erniedrigenden Schuldenkrise ihres Landes leiden, fühlen sich von Merkel zusätzlich herabgesetzt. Etwa, als die Kanzlerin forderte, Griechenland das Stimmrecht in der EU zu entziehen. Oder als sie beklagte, dass die Griechen „ganz viel Ferien“ machten, während die Deutschen „ganz viel arbeiten“. Dabei haben die Deutschen nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat 30 Urlaubstage im Jahr, die Griechen hingegen nur 23.

Lesen Sie auf der Seite 2 welchen Anteil die Medien an dem zerrütteten Verhältnis haben.

Zur Zerrüttung der Beziehungen beider Völker haben auch Medien in beiden Ländern nach Kräften beigetragen. Die „Bild“-Zeitung forderte die Griechen auf, bevor sie nach Hilfskrediten riefen, sollten sie erst mal ihre Inseln verkaufen – „und die Akropolis gleich mit!“. Und der „Focus“ prangerte die Hellenen als „Betrüger in der Euro-Familie“ an, konstatierte gehässig „2000 Jahre Niedergang“, der Griechenland zum „Hinterhof Europas“ gemacht habe und bildete die Venus von Milo mit Stinkefinger ab. Die griechische Zeitung „Ethnos“ revanchierte sich mit einer Fotomontage, die ein Hakenkreuz auf der Berliner Siegessäule zeigte. Die Zeitung „Proto Thema“ bildete Merkel gar in einer SS-Uniform ab, die Hand ausgestreckt zum Hitlergruß. Der Karikaturist der Zeitung „To Vima“ zeichnete die Kanzlerin als blutsaugenden Vampir.

Aber nicht nur an Merkel reiben sich die Griechen. Der Vorschlag des schwäbischen EU-Kommissars Günther Oettinger, man solle die Fahne Griechenlands in Brüssel auf Halbmast setzen, wegen des „hohen Abschreckungseffekts“, löste in Athen Kopfschütteln aus. Dann verkündete Wirtschaftsminister Philipp Rösler, es dürfe kein Tabu mehr sein, Griechenland pleitegehen zu lassen. Er lieferte damit selbst die schrille Begleitmusik zu seinem für kommende Woche geplanten Besuch in Athen. Mit einer Unternehmerdelegation wollte der Minister Investitionsmöglichkeiten in Griechenland sondieren. Jetzt spekulieren griechische Medien über eine Absage der Reise.

Man liebt sich nicht mehr, man achtet sich nicht einmal, aber man braucht einander. Das wird Rösler wissen, und das weiß Papandreou erst recht. Aus der deutsch-griechischen Freundschaft ist eine Schicksalsgemeinschaft geworden: Geht Griechenland unkontrolliert pleite, könnte die ganze Währungsunion auseinanderfliegen. Die Griechen ahnen: Über das Schicksal ihres Landes wird längst nicht mehr in Athen entschieden, sondern in Berlin. Der Beiname „Spree-Athen“ bekommt so eine ganz neue Bedeutung.

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