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Da besteht Diskussionsbedarf. Sarkozy und Merkel (l.) müssen reden - über Griechenland.

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Update

Griechenlands Euro-Referendum: Schockierte EU-Spitzen treffen sich zum Sondergipfel

Extra-Schicht für Europas Spitzenpolitiker: Das vom griechischen Premier Papandreou angekündigte Referendum hat sie kalt erwischt. Bundestagsabgeordnete fordern das Ende des Euro - für die Griechen.

Die Reaktionen reichen von verwundert über verärgert bis entsetzt. Europa ist nach dem angekündigten griechischen Referendum schockiert. Auf einem Sonder-Spitzentreffen an diesem Mittwoch soll eine Konsultationsrunde mit den europäischen Institutionen und dem IWF stattfinden, wie die Bundesregierung mitteilte. Außerdem ist am Vorabend des G20-Gipfels, der am 3. November im südfranzösischen Cannes beginnt, ein Treffen mit der griechischen Regierung geplant, um "alle erforderlichen Maßnahmen zur umgehenden Umsetzung der am 27. Oktober in Brüssel geschlossenen Vereinbarung zu treffen", hieß es. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hatten am Dienstag in einem Telefonat die Lage erörtert.

Auch die Märkte sind auf Talfahrt und die politische Reaktionen entsprechend. Die britische Regierung hat nach eigenen Angaben nichts von den Plänen Griechenlands gewusst, per Referendum über die Euro-Rettung abstimmen zu lassen. Premierminister David Cameron habe am Montagabend aus den Medien davon erfahren, deutete ein Sprecher der Downing Street am Dienstag an. Eine Bewertung des überraschend angekündigten griechischen Schrittes wollte er nicht vornehmen. "Jedes Land muss seiner eigenen Linie folgen, und es wäre nicht richtig, wenn wir das kommentieren würden", sagte der Sprecher. "Vergangene Woche gab es eine Übereinkunft mit einem Kompromiss über ein Paket aus drei Elementen, die wir für wichtig halten. Jetzt müssen wir es mit Details füllen. Es ist an Griechenland, zu entscheiden, welche politischen Prozesse die richtigen sind, um Entscheidungen zu fällen."

Italien geht da etwas weiter. Regierungschef Silvio Berlusconi hat Griechenlands Entscheidung kritisiert. Die Ankündigung Athens sei "unerwartet" und habe wenige Tage nach dem Durchbruch beim Euro-Krisengipfel in Brüssel wieder "Unsicherheit" an den Finanzmärkten geschaffen, erklärte Berlusconi. "Es gibt keinen Zweifel daran, dass die griechische Entscheidung, ein Referendum zum vorgesehenen Rettungsplan der Europäischen Union zu starten, schwer auf dem Handel lastet." Von den am Dienstag durch Griechenland neu ausgelösten Finanzturbulenzen war Italien mit am stärksten betroffen, das in der Euro-Schuldenkrise selbst als Wackelkandidat gilt. In Mailand verlor der Leitindex der dortigen Börse bis zum Nachmittag über sieben Prozent. Berlusconi erklärte weiter, er sei dabei, mit seinen eigenen Ministern geplante Konjunktur- und Sparprogramm umzusetzen. "Die Beschlüsse der Regierung werden mit Entschlossenheit, Unerbittlichkeit und der Schnelligkeit umgesetzt, die durch die Lage auferlegt ist", versprach er. Die Sparmaßnahmen hatte Berlusconi vergangene Woche insbesondere auf massiven Druck Deutschlands und Frankreich beim Euro-Gipfel zugesichert. Mehrere Euro-Länder fürchten, dass Italien mit einer Gesamtverschuldung von rund 120 Prozent seiner Wirtschaftsleistung das nächste Krisenland in der Währungsunion werden könnte.

Das französische Präsidialamt kündigte derweil am Dienstag an, dass Deutschland und Frankreich ihre Reaktionen abstimmen wollen. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy werde gegen Mittag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) telefonieren, um die Entscheidung des griechischen Regierungschefs Giorgos Papandreou zu besprechen, teilte das Präsidialamt in Paris am Dienstagvormittag mit.

Griechenlands Premierminister Giorgos Papandreou.
Griechenlands Premierminister Giorgos Papandreou.

© Reuters

Vor allem die FDP reagiert barsch auf die Ankündigung Griechenlands. Dort ist bereits offen vom Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone die Rede. Vor allem der Euro-Kritiker Frank Schäffler (FDP) sieht Griechenland auf dem Weg aus dem Euro. "Das geplante Referendum zeigt, dass die Schuldenschirmpolitik nicht mehr funktioniert", sagte Schäffler dem Tagesspiegel. Und: "Griechenland kann im Euro nicht wettbewerbsfähig werden und sollte in Verbindung mit einem harten Schuldenschnitt und einem anschließenden Hilfsprogramm aus dem Euro-Club ausscheiden." In eine ähnliche Richtung geht FDP-Finanzexperte Hermann Otto Solms. "Das ist für uns alle hier eine Überraschung", sagt Solms dem Tagesspiegel. Und fügt weiter hinzu: "Das ist ein Gang mit sehr, sehr hohem Risiko für Griechenland. Wenn das Referendum scheitert, bleibt Griechenland nichts anderes als der Austritt aus dem Euro." Dann sei das Land vom Kapitalmarkt abgeschnitten, "und bis der Geldkreislauf mit der Drachme wieder in Schwung kommt, wird es sehr lange dauern". Die Entscheidung habe Papandreou vor allem aus innenpolitischen Gründen getroffen, um die Opposition auf Kurs zu bringen, erklärt Solms. "Mit den Europäern war dieser Schritt in keiner Weise abgestimmt und das ist äußerst unbefriedigend." Selbst wenn die Abstimmung Erfolge habe, ändere sich im Prinzip nichts. "Dann werden die Schritte wie geplant durchgeführt." Auch für die Finanzmärkte und die Krisenstaaten wie Italien und Spanien erhöhe sich nun der Druck noch einmal. "Vor allem Italien muss jetzt schnell handeln, um sich wirtschaftlich zu stabilisieren." Natürlich werde es jetzt ein paar Wochen dauern, bis das Referendum stattfinden kann, "aber es sollte zügig gehen und noch möglichst in diesem Jahr abgeschlossen sein."

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle äußerte sich im Deutschlandfunk zum Referendum. Er schließt einen Staatsbankrott Griechenlands bei einem Nein der Bevölkerung zum Rettungspaket nicht aus. "Wenn Griechenland Nein sagt zur Bekämpfung seiner Strukturschwächen, zur Anpassung in der Wettbewerbsfrage, zum Reformprozess, dann wird es meines Erachtens zu einem Staatsbankrott kommen", sagte Brüderle. Sollte dem so sein, werde es kaum noch Spielraum geben. Den Schritt des griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou bezeichnete Brüderle als "merkwürdiges Vorgehen". "Über Jahrzehnte ist das Land schlecht regiert worden und hat Fehlentscheidungen getroffen und sich in diese Krise hinein manövriert", sagte Brüderle. Der jetzige Schritt klinge danach, "dass man sich irgendwie daraus winden will".

Auch der Euro-Kritiker Frank Schäffler (FDP) sieht Griechenland auf dem Weg aus dem Euro. "Das geplante Referendum zeigt, dass die Schuldenschirmpolitik nicht mehr funktioniert", sagte Schäffler dem Tagesspiegel. Und: "Griechenland kann im Euro nicht wettbewerbsfähig werden und sollte in Verbindung mit einem harten Schuldenschnitt und einem anschließenden Hilfsprogramm aus dem Euro-Club ausscheiden."

Warum die Opposition hoffnungsvoller ist, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Euro-Kritiker Frank Schäffler (FDP)
Euro-Kritiker Frank Schäffler (FDP)

© dpa

SPD-Chef Sigmar Gabriel nimmt den griechischen Ministerpräsidenten in Schutz. Papandreou und die Sozialdemokraten Griechenlands seien dabei, "die notwendigen und schmerzhaften Reformschritte, die mit der EU vereinbart sind, durchzusetzen. Sie verdienen dafür unseren vollen Respekt", sagte Gabriel. Papandreou räume auf "mit der Erblast der konservativen Vorgängerregierungen".

Der Fraktionschef der Sozialisten im Europaparlament, Martin Schulz (SPD), hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angesichts der Unsicherheiten über den weiteren politischen Kurs in Athen  aufgefordert, den griechischen Oppositionschef Antonis Samaras zum Einlenken zu bewegen. "Jetzt ist auch Frau Merkel gefragt, ihre Parteifreunde in Griechenland von der Notwendigkeit der Reformschritte zu überzeugen, die Premierminister Papandreou eingeleitet hat", sagte Schulz dem Tagesspiegel. Die konservative Nea Dimokratia unter der Führung von Antonis versuche "schon seit langem, den Reformkurs zu blockieren", kritisierte Schulz. Wenn die Nea Dimokratia ihre Verweigerungshaltung aufgebe, "dann hätten wir auch weder eine Vertrauensfrage noch ein Referendum zu fürchten", sagte der SPD-Politiker weiter.

Die konservative Opposition in Athen versuche nun, die Reformen zu blockieren. Hier sei die Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel gefragt: "Wenn sie ihre Parteifreunde in Griechenland von der Notwendigkeit der eingeleiteten Reformschritte überzeugt, braucht Europa weder eine Volksabstimmung noch die Vertrauensfrage von Herrn Papandreou zu fürchten", betonte Gabriel.

Ansonsten hält sich das politische Berlin noch zurück. Zu verzwickt erscheint die Lage. Geht das Referendum aus Sicht Papandreous schief, waren die ganzen Rettungsaktionen der vergangenen Monate umsonst. Und die Ansteckungsgefahr auf andere Staaten steigt. Dass dem so ist, zeigt auch die Tatsache, dass die Risikoaufschläge mehrerer europäischer Länder in die Höhe getrieben wurden. Die Aufschläge für zehnjährige Papiere Italiens wie auch Belgiens zu den vergleichbaren deutschen Staatsanleihen stiegen am Dienstag auf ein Euro-Allzeithoch.

Auch die Reaktionen außerhalb der Politik sind pessimistisch. Christopher Pissarides, zyprisch-britischer Nobelpreisträger für Wirtschaft, sagte: "Es ist schwierig vorherzusagen, was passiert, wenn Griechenland die Pläne ablehnt. Es wäre schlimm genug für die EU im Allgemeinen und die Euro-Zone im Besonderen. Es wäre aber noch viel schlimmer für Griechenland. Bei einem 'Nein' müsste Griechenland sofort Bankrott erklären. Ich sehe nicht, dass Griechenland im Euro bleiben könnte.“ (Mit dpa/AFP/ame)

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