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Gedenken. Auf den „Killing Fields“ außerhalb Phnom Penhs wurden Menschen regelrecht abgeschlachtet. Überlebende wie Chum Mey (l.) und Bou Meng kommen oft hierher. Foto: rtr

© Reuters

Politik: Größter Kriegsverbrecherprozess seit Nürnberg

Mehr als 30 Jahre nach dem Ende der Schreckensherrschaft der Roten Khmer in Kambodscha stehen vier Verantwortliche vor Gericht

Es ist zwölf Jahre her, dass Kambodschas autoritärer Herrscher Hun Sen in seiner Residenz in Phnom Penh eine Feier für zwei übergelaufene Anführer der Roten Khmer gegeben hat. Hun Sen trug einen schwarzen Anzug, einer der beiden Rebellenführer war in der einfachen Kleidung kambodschanischer Bauern zu dem Empfang gekommen. Die beide Überläufer saßen an der Seite des Premierministers, als Hun Sen in die Kameras lächelte und den berühmten Satz sagte: Es sei an der Zeit, „die Vergangenheit zu begraben.“

Der jahrzehntelange Konflikt stand damals kurz vor seinem Ende. Die Roten Khmer, die nach ihrer weitgehenden Niederlage im Jahr 1979 kleinere Gebiete an der Grenze zu Thailand gehalten und ihren Krieg gegen die Regierung bis in die 90er Jahre fortgesetzt haben, standen kurz vor ihrer Auflösung. Der frühere Gewaltherrscher Pol Pot war 1998 in Gefangenschaft gestorben. Die übrigen Anführer waren untergetaucht oder hatten sich ergeben. Der Rest der Truppe zerfleischte sich durch Fraktionskämpfe.

Auf Hun Sens damalige Äußerung folgte weltweite Kritik. Kambodschas Premierminister sah sich zu einer Richtigstellung genötigt. Hun Sen erklärte, er befürworte eine strafrechtliche Aufarbeitung der Verbrechen der Roten Khmer. Es sei aber Aufgabe der Gerichte, darüber zu entscheiden, wem der Prozess gemacht werden solle. Doch auch einem Sondertribunal stimmte er nur unter Bedingungen zu: es sollte in Kambodscha selbst tagen und kambodschanische Richter gleichberechtigt neben internationalen Richtern vertreten sein.

Und die Frage, wer vor dieses Gericht gestellt wird, hängt in diesen Tagen schwer über dem Rote-Khmer-Tribunal in einem Vorort von Phnom Penh, wo am heutigen Montag das größte Verfahren seiner Art seit den Nürnberger Prozessen beginnen soll. Angeklagt sind der ehemalige Chefideologe Nuon Chea, Ex-Staatschef Khieu Samphan, der frühere Außenminister Ieng Sary und seine Frau Ieng Thirith, die Sozialministerin des damaligen Regimes. Es sind die ranghöchsten noch lebenden Anführer der Roten Khmer. Die greisen ehemaligen Funktionäre – sie sind zwischen 79 und 85 Jahre alt – müssen sich unter anderem wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verfolgung religiöser Minderheiten verantworten. Geschätzt 1,7 Millionen Menschen waren unter dem Regime der Roten Khmer zwischen 1975 bis 1979 ums Leben gekommen.

Es ist der zweite Prozess vor dem Sondertribunal. Vor einem Jahr wurde bereits Kaing Guek Eav, der frühere Leiter des Foltergefängnisses Tuol Sleng, zu einer 35-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt, die allerdings später auf 19 Jahre reduziert wurde. Guek Eav weist jede Schuld von sich und hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Ginge es nach UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, dann würden vor dem Tribunal, dessen Arbeit bislang mehr als 100 Millionen US-Dollar gekostet hat, noch viele weitere Prozesse geführt werden. Doch Premier Hun Sen blockt vehement ab. Bei einem Treffen zwischen dem UN-Chef und Hun Sen im vergangenen Oktober sollen sich die beiden sogar angeschrien haben. Hun Sens unmissverständlicher Standpunkt: Weitere Anklagen sind „verboten.“

Daher klingt ein kürzlich veröffentlichter Bericht der „Open Society Justice Initiative“ plausibel. Darin legt die Organisation dar, dass Kambodschas Regierung derzeit die Eröffnung eines dritten Verfahrens behindere. Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft hätten bei anfänglichen Ermittlungen zu vermuteten Verbrechen zweier hochrangiger ehemaliger Kommandeure der Roten Khmer nur oberflächlich gearbeitet. Sie hätten nur wenige Zeugen befragt und Schauplätze von Verbrechen nur kurz besucht. Die Verdächtigen seien über die angeblichen Ermittlungen noch nicht einmal informiert worden. Das Tribunal habe seinerseits keine Anklage erhoben, obwohl die Ermittlungen offiziell abgeschlossen seien.

„Die Handlungen des Gerichts deuten darauf hin, dass der Ausgang des Falls im Vorfeld festgelegt worden ist, und die Richter sich geweigert haben, Beweise zu sammeln und Fakten zu untersuchen“, heißt es in dem Bericht. „Sie folgen damit möglicherweise wiederholten und öffentlich geäußerten Forderungen der obersten politischen Führung.“ Bestärkt wird der Verdacht durch Berichte, wonach kürzlich Mitarbeiter des Tribunals ihre Arbeit niedergelegt haben sollen.

Das Tribunal weist diese Vorwürfe von sich. In einer Erklärung heißt es, das Gericht handele unabhängig. Ban Ki Moon dementierte ebenfalls. Er ließ erklären: „Die Vereinten Nationen weisen Spekulationen in den Medien kategorisch zurück, wonach wir Untersuchungsrichter angewiesen haben sollen, den Prozess Nummer drei abzuweisen.“

Dieser hätte es jedoch in sich. Denn die Verdächtigen sollen Berichten zufolge Meas Muth und Sou Met sein, einst die Marine- und Luftwaffenchefs der Rote- Khmer-Regimes. Beide sind heute Generäle in der kambodschanischen Armee. Kambodschas Regierung begründet ihren Standpunkt, dass es nach dem heute beginnenden Prozess keine weiteren Verfahren geben soll, damit, dass die Stabilität des Landes in Gefahr wäre, wenn es zu weiteren Anklagen kommen würde. Doch dieser Standpunkt ist nicht ganz uneigennützig. Denn Kambodschas Premierminister war früher selbst ein Kader der Roten Khmer.

Ab 1975 befehligte Hun Sen ein Rote-Khmer-Regiment im Osten des Landes. 1977 floh er nach Vietnam, nachdem Pol Pots Regime zunehmend der Paranoia verfallen war und begonnen hatte, tausende seiner eigenen Kader zu ermorden. Hanoi machte Hun Sen nach dem vietnamesischen Einmarsch in Kambodscha 1979 zum Außenminister. 1985 wurde er Premier des Landes und hält sich seitdem an der Macht.

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