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Politik: Grollen am Bosporus

Türkei wirft Deutschland Zwangsbekehrung vor.

Istanbul - Bekir Bozdag ist schon von Amts wegen nicht gut auf die Deutschen zu sprechen. Der für die Auslandstürken zuständige Vizepremier der türkischen Regierung versteht sich in erster Linie als Beschützer der fünf Millionen Türken in Europa, nicht als Brückenbauer. Und so war es kein Wunder, dass Bozdag bei seinem Treffen mit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Mittwoch in Ankara vom Leder zog. Starker Tobak sei das gewesen, berichtete ein Teilnehmer am Donnerstag.

Besonders stark wurde der Tobak bei einem Lieblingsthema von Bozdag: Er warf den deutschen Behörden die Zwangsbekehrung muslimisch-türkischer Kinder in der Bundesrepublik vor. Nach dem tagelangen Zank um die angeblich lasche Haltung deutscher Behörden im Kampf gegen türkische Extremisten in der Bundesrepublik kamen auf diese Weise noch ein paar neue Streitthemen hinzu. Bozdag kritisierte die Sprachkurse für Zuwanderer in Deutschland als Menschenrechtsverletzung.

Er beschwerte sich zudem darüber, dass deutsche Jugendämter in Fällen von Sorgerechtsentzug die Kinder türkischer Familien häufig an christlich-deutsche Pflegefamilien übergäben. Ende vergangenen Jahres sagte Bozdag, insgesamt gebe es europaweit rund 4000 solcher Fälle. „Wir stehen vor einer großen Tragödie und einer großen Assimilierung“, sagte er damals.

Die Wortwahl war kein Zufall. Bozdags Chef Recep Tayyip Erdogan hatte im Jahr 2008 in seiner berühmt-berüchtigten Kölner Rede vor einer Assimilierung der Türken in Deutschland gewarnt und dies als Verbrechen gegen die Menschheit gegeißelt.

Erst vergangene Woche berichtete die türkische Presse über ein von Bozdag vermitteltes Wiedersehen einer jungen Türkin aus Deutschland mit ihrer Mutter: Die heute 19-jährige Elif Yaman aus Gelsenkirchen verließ demnach vor sieben Jahren auf Beschluss der deutschen Behörden ihre türkische Familie und wuchs bei deutschen Christen auf. Türkisch lernte sie nie. Die Behörden hätten den Sorgerechtsentzug damit begründet, dass die türkische Familie finanziell nicht in der Lage sei, für die Tochter zu sorgen.

Friedrich sagte in seinem Gespräch mit dem Vizepremier, es werde stets zuerst nach türkischen Pflegefamilien gesucht. Deren Zahl reiche aber nicht aus, weshalb einige Kinder an deutsch-christliche Familien gingen. Ein „Massenphänomen“ sei das alles ohnehin nicht.

So hätte Friedrichs erster Ministerbesuch in der Türkei mit Missklängen enden können. Doch sein türkischer Kollege Muammer Güler gab sich zum Abschluss des Besuches am Donnerstag wesentlich offener. Ein „sehr einvernehmliches Klima“ habe geherrscht, hieß es nach der Begegnung. Zwar gab es keine erkennbare Bewegung im Streit um die Terrorbekämpfung, doch beide Minister gaben sich Mühe, den Zwist zu entschärfen. Thomas Seibert

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