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Tory

© dpa

Großbritannien: Der Tory-Chef hat ein Problem

Er ist tief gefallen. Noch vor wenigen Monaten führte David Cameron zweistellig, jetzt liegt er zweistellig zurück. Großbritanniens Konservative drohen am Spagat zwischen Tradition und Erneuerung zu scheitern.

Von Markus Hesselmann

Nur noch 31 Prozent der Briten würden nach einer Umfrage der „Times“ für ihn und seine konservative Partei stimmen, 41 Prozent für die regierende Labour-Partei. Der Tory-treue „Daily Telegraph“ veröffentlichte am Sonnabend eine eigene Umfrage mit ähnlichen Zahlen. Vor Gordon Browns Amtsübernahme als Premierminister im Juni lagen die Werte umgekehrt. In den Umfragen führten die Torys zeitweise mit mehr als 40 Prozent, Labour fiel sogar zwischenzeitlich unter die 30-Prozent-Marke. Die aktuellen Zahlen verstärken die Spekulationen um baldige Unterhauswahlen. Den Termin darf nach britischem Wahlrecht der Premier festsetzen. Brown werde wohl noch abwarten, wie viele Punkte Cameron mit seinem Auftritt beim Tory-Parteitag von heute an in Blackpool gutmachen kann. Erst dann fälle er eine Entscheidung, heißt es in vielen Kommentaren. Brown selbst vermeidet jede Äußerung zu dem Thema. „Ich konzentriere mich auf meine Arbeit“, erwidert er auf entsprechende Fragen.

Es gab keinen Skandal, keine verbalen Ausrutscher und auch keine extremen Fehlentscheidungen. Wie also kann ein Hoffnungsträger innerhalb kurzer Zeit so tief fallen? „Die Politik in Großbritannien ist überaus stark von Persönlichkeiten bestimmt“, sagt Kieron O’Hara, Autor des Buchs „After Blair. David Cameron and the Conservative Tradition“. Laut O’Hara hat Camerons rapider Niedergang weniger mit ihm selbst als mit seinem Gegner zu tun. „Niemand wusste, wie Gordon Brown sich als Premier geben würde. Viele rechneten damit, dass er pompös und aufgeblasen daherkäme.“ Doch Brown überraschte alle und präsidierte in Zeiten des Terrors, der Flut und der Tierseuchen als Landesvater mit ruhiger Hand. Plötzlich stand Cameron als aktionistisches Leichtgewicht da.

Damals, im Frühling, galt der 40-jährige Cameron als der große Modernisierer, der seine Partei in die politische Mitte führte, wie dies der junge Tony Blair einst mit Labour geschafft hatte, bevor er in zehn Jahren drei Wahlsiege feierte. Jetzt erinnert Cameron eher an einen anderen Labour-Politiker: an Neil Kinnock, der seine Partei schon vor Blair modernisierte und aus starren linken Denkmustern befreite, aber nie eine Wahl gewann. „Camerons Aufgabe scheint es nun zu sein, die Konservativen wieder möglichst nah heranzuführen, wie es Kinnock damals mit Labour getan hat“, sagt O’Hara. Der Analytiker geht davon aus, dass die Erneuerung der konservativen Partei nach ihrer schweren Niederlage von 1997 ein langfristiges Projekt sei. „Labour hat nach 1979 achtzehn Jahre gebraucht, um wieder eine Wahl gewinnen zu können.“ Zu Camerons Kurs, den als fremdenfeindlich, bigott und sozialdarwinistisch geltenden Torys eine soziale, multikulturelle und ökologische Agenda zu verpassen, gebe es keine Alternative. Das gehe aus längerfristig angelegten Umfragen hervor.

Doch jetzt kämpft Cameron erst einmal gegen die aktuell schlechten Zahlen. In Blackpool stehe er vor der schwierigen Aufgabe, gleichzeitig zwei sehr verschiedene Botschaften senden zu müssen, sagt O’Hara. „Den britischen Wählern muss er klarmachen, dass die Torys sich geändert haben und jetzt eine freundliche, wählbare Partei sind.“ Die Skeptiker in der eigenen Partei aber müsse er davon überzeugen, dass er sich nicht völlig vom Erbe der früheren Premierministerin Margaret Thatcher entfernt hat. Nichts wäre wohl schlimmer für Cameron als ein Parteitag der Uneinigkeit – vor allem nach den Brown-Festspielen bei Labours Parteitag in der vergangenen Woche in Bournemouth.

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