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Großbritannien: Mehr Bürgerrechte, weniger Staat

Die neue britische Regierung beginnt Reformen – und entrümpelt die Gesetzgebung der Labour-Partei.

Die Konservativen und die Liberaldemokraten planen Großes: Die neue britische Koalitionsregierung will die Beziehung zwischen dem Staat und den Bürgern mit der umfassendsten politischen Reform seit 200 Jahren auf eine neue Grundlage stellen. Vizepremier Nick Clegg gab den Anstoß für die Reform, indem er die Briten fragte, welche überflüssigen Gesetze abgeschafft werden sollen. Dann legte er seinen eigenen Katalog von Labour-Gesetzen vor, die aus seiner Sicht überflüssig sind und nun wieder im Papierkorb verschwinden sollen.

„Wir werden das politische System so reformieren, dass der Staat sehr viel weniger Kontrolle über euch, die Bürger, hat und die Bürger sehr viel mehr Kontrolle über den Staat haben“, sagte Clegg am Mittwoch vor Studenten in einem Londoner College. Clegg ist verantwortlich für politische Reformen, die Neugestaltung des Oberhauses und des Wahlrechts. Am Dienstag hatte Premierminister David Cameron noch einmal sein Konzept der „Big Society“ – der „großen Gesellschaft“ – erläutert, die den unter der Labour-Regierung immer mächtiger und zentralistischer gewordenen Staat ablösen soll. Der Staat, sagte Cameron, sei „zu oft zu unmenschlich, monolithisch und schwerfällig, um tiefsitzende soziale Probleme zu lösen“.

Damit begannen die beiden Koalitionspartner mit ihrer Großoffensive gegen den Staat, die sie bereits im Wahlkampf angekündigt hatten. Als Erstes sollen die von der Labour-Partei eingeführten, von der Bevölkerung aber abgelehnten Personalausweise wieder abgeschafft werden. Der Staat werde auch in anderen Gebieten aufhören, „den Bürgern nachzuspionieren“, versprach Clegg. So wird Großbritanniens riesige DNA-Datenbank, die Daten von Millionen unschuldiger Mitbürger enthält, ausgedünnt. Die „Kinderdatenbank“, die alle unter 18-Jährigen verzeichnet, wird abgeschafft, und Schulen dürfen Fingerabdrücke von Schülern nur noch mit Genehmigung der Eltern abnehmen. Auch die Rechtsaufsicht der britischen Videoüberwachungssysteme soll verschärft werden.

Tausende von der Labour-Partei neu geschaffene Straftatbestände sollen wieder abgeschafft werden, zum Beispiel im Verleumdungs- oder Demonstrationsrecht. Auch über die Abschaffung des Verbots der Fuchsjagd, mit der sich die Regierung von Tony Blair mehrere Jahre lang beschäftigte, soll im Parlament noch einmal abgestimmt werden – ohne Fraktionszwang.

Die Regierung vergleicht ihr Reformpaket mit dem britischen Reformgesetz von 1832, bei dem zum ersten Mal Bürger ohne Landbesitz ein Stimmrecht erhielten und die Rechte der Bürger gegenüber dem politischen System massiv ausgeweitet wurden. Während Clegg übrigens sein Reformpaket vorstellte, wurde der Labour-Abgeordnete Eric Illsley angeklagt, weil er seine Spesenabrechnung gefälscht haben soll. Illsley, der bei der Unterhauswahl vor zwei Wochen wiedergewählt wurde, ist der vierte Labour-Abgeordnete, der wegen Betrugs vor Gericht muss.

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