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Trübe Aussichten. Durch den Brexit müssen die Verbindungen zwischen Großbritannien und dem Festland wieder gelöst werden.

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Großbritannien und die EU: Brexit - das sind die nächsten Schritte

"Ein Sprung in die Dunkelheit" - so hat der britische Premier Cameron einen Brexit bezeichnet. Verhandlungen über einen neuen Handelsvertrag mit der EU muss sein Nachfolger starten. Wie geht es weiter?

Der amtierende britische Regierungschef David Cameron hat während der EU-Referendumskampagne davor gewarnt, dass ein Brexit einen „Sprung in die Dunkelheit“ bedeuten würde. Das Sprachbild ist durchaus zutreffend – einen Austritt eines EU-Landes hat es in der Geschichte der Gemeinschaft bislang noch nicht gegeben. Deshalb steht zwar der politische Fahrplan der 27 EU-Partner Großbritanniens und der europäischen Institutionen in Brüssel für die kommenden Tage fest. Eine Antwort auf die Frage, wie die gewachsenen politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den Briten und dem Kontinent nun wieder gelöst werden, wird sich wohl erst in den kommenden Monaten und Jahren finden.

Wie sieht der Fahrplan der EU-Staaten für die kommenden Tage aus?

Nach dem Brexit-Schock haben zunächst einmal Politiker der europäischen Gründerstaaten das Wort. An diesem Samstag wollen in Berlin die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Italiens und der Benelux-Länder über die neue Lage beraten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) gab dabei schon einmal am Freitag mit der Äußerung den Ton vor, als er erklärte, es gebe angesichts der Brexit-Entscheidung des britischen Volkes „nichts schön zu reden“. Mit anderen Worten: Wenn die EU mit dem Weggang Großbritanniens ein Fünftel seiner Wirtschaftskraft verliert, lässt sich kaum „Business as usual“ betreiben. Von der Griechenland-Rettung bis zum Gezerre um die Flüchtlinge ist man in der EU schon so einiges an Krisen gewohnt – aber mit dem Brexit kommt es nun noch dicker.

Um gar nicht erst den Eindruck aufkommen zu lassen, die EU-Partner hätten für den Brexit nun schon einen fertig ausformulierten „Plan B“ in der Schublade, erklärte Steinmeier am Freitag auch: „Nicht auf alle Fragen, die sich jetzt nach dieser Entscheidung stellen werden, haben wir schon jetzt eine Antwort.“ Nach seinen Worten sei jetzt ein klares Signal nötig, um „Europa stark zu machen“. Steinmeier dürfte sich wohl bewusst so nebulös ausgedrückt haben, denn auch in der Gruppe der EU-Gründerstaaten gibt es unterschiedliche Ansichten über die angemessene Antwort auf das Brexit-Votum: Während Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn „mehr Europa“ fordert, dürfte sich anderswo die Begeisterung für einen weiteren Integrationssprung in Grenzen halten – auch in Berlin.

Nach dem Treffen der Außenminister steht am Montag in Berlin ein europäisches Krisentreffen in Berlin mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU), EU-Ratschef Donald Tusk, Italiens Regierungschef Matteo Renzi und Frankreichs Präsident François Hollande auf dem Programm. Bei der Begegnung wollen die EU-Spitzen eine gemeinsame Linie für den Gipfel der 28 Staats- und Regierungschefs festzurren, der am Dienstag in Brüssel beginnt. Auch der EU-Gipfel wird ganz im Zeichen des Brexit stehen.

Was ist vom EU-Gipfel in der kommenden Woche zu erwarten?

Am frühen Freitagmorgen haben David Camerons EU-Partner noch darüber gerätselt, wann der britische Premier den Startschuss für die Austrittsverhandlungen geben würde. Laut Artikel 50 des EU-Vertrages muss ein Mitgliedstaat, der seinen Austritt beschließt, seine Absicht dem Europäischen Rat – also dem EU-Gipfel oder Ratschef Tusk – mitteilen. Damit möglichst schnell klare Verhältnisse geschaffen werden, hatten Europapolitiker in Brüssel darauf gesetzt, dass Cameron das Austrittsverfahren schon beim bevorstehenden Gipfel in Gang setzt. Das hätte wohl dazu geführt, dass die übrigen 27 EU-Staaten Cameron zwischenzeitlich vor die Tür des Verhandlungssaales gebeten hätten, um untereinander weiter über die Austrittsmodalitäten zu beraten.

Doch Cameron durchkreuzte am Freitag bei seiner Rücktritts-Ankündigung derartige Pläne: Sein Nachfolger, der spätestens beim Parteitag der konservativen Tories im Oktober gefunden werden soll, müsse über den Start der Artikel-50-Prozedur entscheiden, sagte er. Dass Cameron damit offensichtlich auf Zeit spielt und parteiinternen Widersachern wie Londons Ex-Bürgermeister Boris Johnson noch einmal eine Verschnaufpause verschafft, kam in Brüssel gar nicht gut an.

„Staatsmännisch ist anders“, sagte der Vizepräsident des Europaparlaments, Alexander Graf Lambsdorff, dem Tagesspiegel. „Cameron stellt hier die Bedürfnisse seiner eigenen Partei über die Notwendigkeit, in Europa klare Verhältnisse zu schaffen“, kritisierte der FDP-Politiker. Nach seinen Worten müsse spätestens bis zur Europawahl im Frühjahr 2019 in Umrissen klar sein, wie die Vereinbarung über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und London aussehen werde. Angesichts der unzähligen offenen Fragen – von der Ausgestaltung der Handelsbeziehungen zwischen dem Kontinent und der Insel bis zur Zukunft des Erasmus-Programms in Großbritannien – sei Eile geboten, mahnte Lambsdorff. Nach allgemeiner Lesart gibt es aber keine juristische Handhabe, ein Land zum Start der Artikel-50-Prozedur zu zwingen; wenn die Briten austreten wollen, müssen sie das auch selber initiieren.

Was ändert sich nach der Brexit-Entscheidung vom Donnerstag?

Unmittelbare Auswirkungen hat das Votum erst einmal für den Tourismus. Großbritannien-Besucher können sich freuen, denn der Urlaub auf der Insel ist wegen des gefallenen Pfundes so billig wie schon lange nicht mehr. Aus juristischer Sicht ändert sich aber für den Kontinent und die Insel erst einmal nichts. Das EU-Recht hat in Großbritannien für zwei weitere Jahre Bestand – und zwar ab dem Zeitpunkt, zu dem die EU-Partner förmlich gemäß Artikel 50 durch London vom Austrittswunsch informiert werden. Mit dem Beginn der Scheidungsgespräche wird ein Austrittsvertrag zwischen der EU und London ausgehandelt. Parallel können Verhandlungen über einen zusätzlichen neuen Handelsvertrag beginnen, der die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Insel und dem Festland regelt. Experten schätzen, dass diese Verhandlungen bis zu fünf Jahre dauern könnten. „Wir reden hier über eine Mini-TTIP“, sagt der Europaabgeordnete Lambsdorff.

Nach Ablauf der zwei Jahre gibt es mehrere Möglichkeiten. Denkbar ist, dass zu diesem Zeitpunkt zumindest eine Übergangsvereinbarung steht, mit der ein rechtliches Chaos vermieden wird. Oder die Zwei-Jahres-Frist wird verlängert. Dies ist allerdings nur durch einen einstimmigen Beschluss aller 28 EU-Länder möglich.

Was dürfte der wichtigste Streitpunkt bei den Austrittsverhandlungen sein?

Die Brexit-Befürworter haben ihren Anhängern versprochen, dass sie die Einwanderung aus dem EU-Ausland eindämmen wollen. Gleichzeitig möchten sie erreichen, dass Großbritannien auch künftig wie gewohnt ohne Hemmnisse auf den EU-Binnenmarkt exportieren kann. Aus der Sicht der EU-Partner kann Großbritannien aber nur dann vom Binnenmarkt profitieren, wenn es auch die europäische Personenfreizügigkeit akzeptiert. In diesem Punkt sind harte Verhandlungen zu erwarten.

Was wird aus der britischen Beteiligung an EU-Militärmissionen?

Für das Einsatzführungskommando der Bundeswehr ist der Brexit noch weit weg. „Wir haben noch keinen Auftrag, uns auf Veränderungen vorzubereiten“, sagte ein Sprecher dem Tagesspiegel. Die Auswirkungen auf die EU-Militäreinsätze seien derzeit nicht absehbar, sagte er weiter. In jedem Fall sind die Briten eine wichtige Stütze für EU-Missionen. Denn ihre 227.000 Mann starke Armee ist eine der größten der Union und verfügt mit fast 64 Milliarden Dollar über ein fast doppelt so großes Jahresbudget wie die Bundeswehr. Frankreich gibt 38 Milliarden Dollar aus.

Ohne britisches Großgerät wie Schiffe, Transportflugzeuge und Hubschrauber, dürfte der Ausbau der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik schwierig werden. Schon bisher gelang es der EU kaum, eigenständige Missionen aufzustellen. An den drei großen der insgesamt sechs aktuellen EU-Militäreinsätze ist Großbritannien beteiligt. Im britischen Northwood ist zudem das Hauptquartier für europäische Marineeinsätze angesiedelt.

Zur Flüchtlingsrettung im Mittelmeer hat das Land derzeit das Aufklärungsschiff „Enterprise“ abgestellt. Der Anti-Piraten-Einsatz am Horn von Afrika steht außerdem traditionell unter dem Oberkommando eines britischen Konteradmirals oder Generalmajors. Für Bosnien-Herzegowina, wo die EU die Nato-Friedenstruppe abgelöst hat, haben die Briten ebenfalls das Oberkommando inne. Schließlich werden auch zwei so genannte Battlegroups der EU, die als Krisenreaktionskräfte kurzfristig entsandt werden können, von London geführt.

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