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Politik: Große Koalition der Not

FINANZIERUNG DER FLUT

Von Dieter Fockenbrock

Die Flut schwemmt alles hinweg. Brücken, Straßen, Schienen, ganze Häuser. Nichts ist vor der Gewalt der Wassermassen sicher. Selbst politische Grundsätze und ökonomische Wahrheiten treiben auf der Elbe mit Kleinmöbeln und Müll Richtung Nordsee. Flutzeiten sind Notzeiten. Und in Zeiten der Not kümmert sich niemand um sein Geschwätz von gestern. Schließlich gilt es, die Folgen der Flut zu regeln – vor allem die finanziellen. Das duldet keinen Aufschub, weil das Aufräumen nicht aus der Portokasse bezahlt werden kann.

Gerhard Schröder hat sich schnell entschieden. Die zweite Stufe der Steuerreform wird verschoben. Fast sieben Milliarden Euro Entlastung werden um ein Jahr vertagt. Eine Alternative, sagt der Kanzler, gibt es nicht. Gibt es wirklich keine Alternative? Noch vor wenigen Tagen war die Senkung der Einkommensteuer ein wichtiger Eckpfeiler der rot-grünen Wirtschaftspolitik: um die notleidende Wirtschaft anzukurbeln. Das Argument gilt heute auch noch. Und hat Schröders politischer Gegenspieler, Edmund Stoiber, nicht Recht mit seiner Behauptung, jetzt würden die Lasten der Flut nur dem Mittelstand aufgebürdet? Denn mit der ersten Stufe der Reform hatte Schröder sich als Kanzler der Konzerne profiliert, jetzt sollten der Mittelstand und der einfache Steuerzahler entlastet werden.

Die Reaktionen der Wirtschaftsexperten sind bezeichnend. Vom „mutigen Schritt“ bis zum „falschen Signal“ reichen ihre Kommentare. Ratlos lässt auch die Anmerkung, die Verschiebung der Steuerreform komme „zur Unzeit“. Eine Katastrophe kommt schließlich immer zur Unzeit. Dass Deutschland von der Flut überrascht wurde, steht außer Zweifel. Dass der Staat aber kaum noch Handlungsspielraum sieht, hat er selbst verschuldet. Seit Jahren geht es bei den öffentlichen Haushalten nur noch um die Verwaltung des Mangels. „Haushaltszwänge“ sind das beliebteste Argument, in Regungslosigkeit zu verharren.

Unglaublich: Eine der stärksten Wirtschaftsnationen der Welt muss dringend notwendige Reformen verschieben, um die Folgen der zweifellos dramatischen, aber doch begrenzten Hochwasserschäden zu beheben. Der Bund müsste doch in der Lage sein, zwei oder drei Prozent seines 265-Milliarden-Euro-Haushalts umzuschichten. Und gemessen an der Wirtschaftsleistung Deutschlands von jährlich zweitausend Milliarden Euro sind zehn, vielleicht 15 Milliarden Euro Hilfe ohne Probleme finanzierbar. Es gibt also keinen Grund zur Panik.

Immerhin, noch mehr Schulden für die Fluthilfe sind für die Regierung kein Thema. Und die Ausgabensperre des Finanzministers garantiert, dass die Staatsfinanzen am Ende nicht doch aus dem Ruder laufen.

Bleiben die Staatseinnahmen. Wenige Tage vor der Bundestagswahl lässt sich keine Jahrhundertreform mehr aus dem Boden stampfen. Die Regierung könnte aber die einmalige Gelegenheit nutzen, den Grundstein für eine große Reform zu legen. Die ungleiche Besteuerung von (meist kleinen) Personen- und (meist großen) Kapitalgesellschaften muss ein Ende haben, die Leistungsbereitschaft durch niedrigere Steuern gefördert werden. Und: Das Steuersystem muss einfacher werden, dann ist es auch gerechter.

Edmund Stoiber weiß, dass jetzt mit einer Blockade des Schröderschen Flut-Finanzierungsplans im Bundesrat keine Stimmen zu gewinnen sind. Die Hilfe in der Not ist eben eine nationale Aufgabe. Aber er kann Bedingungen für die Zustimmung stellen. Und er spürt, dass Gerechtigkeit bei der Lastenverteilung zum Wahlkampfthema werden könnte.

Vor zwei Jahren hatte Schröder den Kapitalgesellschaften zur Steuerfreiheit bei Veräußerungsgewinnen verholfen. Das war gut fürs internationale Finanzparkett, aber schlecht für die Stimmung im Inland. Seit die Entlassungswelle rollt und den Gemeinden dank geschickter steuerlicher Buchung von Verlusten die Einnahmen wegbrechen, ist der Ruf der Konzerne vollends ruiniert. Aber nicht deshalb sollten die Großunternehmen zu mehr Solidarität für die Opfer der Flut verpflichtet werden, sondern weil es ungerecht ist, den Hauptleidtragenden jetzt auch die Hauptlasten aufzubürden. Stoiber bietet Schröder eine große Koalition der Not an. Ob Schröder das Experiment wagt, vier Wochen vor der Wahl?

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