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Merkel

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Große Koalition: Nur der Kanzlerin zuliebe

In der Unionsfraktion herrscht schlechte Stimmung wegen der Zugeständnisse an die SPD. Vor allem der wirtschaftsnahe Flügel hat an den jüngsten Kompromissen zu knabbern.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Die amtliche Begründung ist edel und gut, was sie verdächtig macht. Die amtliche Begründung lautet: Wir machen kein Schnellverfahren, sondern ordentliche parlamentarische Arbeit. Mit diesem Argument hat die Unionsfraktion verhindert, dass die Einigung mit der SPD auf eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes I zum 1. Januar 2008 im Gesetzblatt steht. „Wir haben noch nie in drei Tagen ein Gesetz gemacht“, sagt Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen am Dienstag. Ein Angebot der SPD, den Bundestag nächste Woche zur Sondersitzung einzuberufen, hat die Union ebenfalls abgelehnt. So wird erst im Januar beraten und im Februar im Bundesrat beschlossen – alles der guten Ordnung halber.

Röttgens Pech ist aber, dass es Peter Ramsauer gibt. Die Begründung, die der CSU-Landesgruppenchef für das Stoppsignal in Sachen ALG I gibt, klingt weniger edel als vielmehr genervt. „So eine Fraktion ist keine politische Gänsestopfleber, wo man ohne Rücksicht auf Verluste oben alles Mögliche an Gerümpel reindrischt“, sagt Ramsauer. Das dürfte der politischen Wahrheit näher kommen. Die Unionsfraktion, speziell der wirtschaftsnahe Flügel, hat an den jüngsten Koalitionskompromissen schwer zu würgen. Da schafft ein kleiner Aufstand gegen Schnellverfahren für kurze Zeit ein wenig Luft. Beim Koalitionspartner betrachten sie’s mit amüsiertem Staunen: Ob die Union denn, fragt ein SPD-Mann, in den Wahlkämpfen in Hessen und Niedersachsen als Verzögerer von Wohltaten dastehen wolle?

Schlucken müssen sie die Brocken am Ende doch, den dicksten zuerst: den Postmindestlohn. „Ich werde zustimmen“, sagt Fraktionsvize Wolfgang Bosbach, als er am Nachmittag zur Fraktionssitzung kommt, „wenn auch in erster Linie aus Solidarität mit unserer Bundeskanzlerin und meinem Fraktionschef Volker Kauder.“ Das gibt eine sehr breite Missstimmung in der Fraktion wieder. So breit, dass Kauder am Montag die Landesgruppenchefs zu verschärfter Überzeugungsarbeit in ihren Reihen ermahnt hat. Infolgedessen ist selbst unter den halbwegs prominenten Vertretern des Wirtschaftsflügels von CDU und CSU die Zahl derer überschaubar, die sich dazu bekennen, dass sie im Bundestag mit „Nein“ stimmen werden.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt ist von solchem Fraktionszwang frei. Wer einem Mindestlohn von 9,80 Euro „für das Verteilen von Briefen“ zustimme, müsse wissen, dass er Arbeitsplätze vernichte und die Schaffung von neuen verhindere, kritisiert Hundt beim Arbeitgebertag in Merkels Anwesenheit. Auch seien Lösungen für immer mehr einzelne Branchen letztlich sogar „schlimmer als ein pauschaler gesetzlicher Mindestlohn“.

Hundt bekommt viel Beifall von den versammelten Unternehmern, Merkel wenig. Nicht einmal der Satz „Ich bin gegen einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn“ löst Applaus aus. Noch weniger Merkels Versuch, die Vorwürfe der Wirtschaft mit einer Gegenattacke zu kontern. In Deutschland seien die tariflich gebundenen Arbeitsverhältnisse in zehn Jahren von 69 auf 57 Prozent gefallen. Tarifautonomie aber „muss auch genutzt werden, wenn sie eine Zukunft haben soll“. Hätte man nicht bei der Post einen Tarifvertrag für alle aushandeln können? Dass sich nicht nur die Gewerkschaft, sondern auch Post-Chef Klaus Zumwinkel geweigert hat, mit der Konkurrenz zu sprechen, nimmt Merkel übel. Sie guckt demonstrativ suchend ins Publikum: Den Herrn Zumwinkel, sagt sie, den habe sie noch gar nicht gesichtet.

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