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Eine kaum zu überblickende Masse an Demonstrierenden mit Türkei-Flaggen bei der Großkundgebung in Istanbul.

© REUTERS

Update

Großkundgebung in Istanbul: Erdogan kritisiert Deutschland und ruft zur Einheit auf

Millionen Menschen haben am Sonntag gegen den Umsturzversuch in der Türkei demonstriert. Präsident Erdogan spricht erneut von Todesstrafe und kritisiert die deutschen Behörden scharf.

Drei Wochen nach dem Putschversuch in der Türkei hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vor Millionen Menschen erneut die Wiedereinführung der Todesstrafe in Aussicht gestellt. „Wenn es (das Volk) so eine Entscheidung trifft, dann, glaube ich, werden die politischen Parteien sich dieser Entscheidung fügen“, sagte Erdogan am Sonntagabend bei einer Großkundgebung in Istanbul gegen den Putschversuch. Vor jubelnden Teilnehmern fügte er hinzu: „So eine Entscheidung vom Parlament würde ich ratifizieren.“

Erdogan verwies erneut darauf, dass außerhalb der EU „die überwiegende Mehrheit“ der Länder die Todesstrafe habe. Die EU hat angekündigt, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen, sollte das Land die 2004 abgeschaffte Todesstrafe wieder einführen.

Erdogan dankte bei der „Demokratie- und Märtyrer-Versammlung“ in Istanbul den anwesenden Oppositionsvertretern für ihre Teilnahme. Zu der Veranstaltung waren auf Einladung des Präsidenten auch Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der Mitte-Links-Partei CHP und der Chef der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahceli, gekommen. Nicht eingeladen wurde die pro-kurdische HDP. Erdogan wirft der zweitgrößten Oppositionspartei im Parlament Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vor.

Erdogan kritisiert deutsche Behörden

Erdogan dankte den Türken auch im Ausland für ihre Unterstützung. Zugleich kritisierte er, dass er sich bei der Kundgebung in Köln vor einer Woche nicht per Videoleinwand zuschalten durfte. „Wo ist die Demokratie?“, fragte er. Der Präsident warf deutschen Behörden vor, bei einer früheren Veranstaltung in Köln eine Videoschalte der PKK zugelassen zu haben. „Sollen sie die Terroristen nur ernähren“, sagte er. „Wie ein Bumerang wird es sie treffen.“

Der türkische Präsident Recep Taxxip Erdogan lässt sich auch einer Massenkundgebung in Istanbul von der Menge feiern.
Der türkische Präsident Recep Taxxip Erdogan lässt sich auch einer Massenkundgebung in Istanbul von der Menge feiern.

© AFP

Ministerpräsident und AKP-Chef Binali Yildirim hatte Parteiflaggen untersagt, um eine Veranstaltung über Parteigrenzen hinweg zu ermöglichen. Auf Fernsehbildern war ein Meer an türkischen Flaggen zu sehen. Yildirim dankte Kilicdaroglu und Bahceli bei der Kundgebung für ihre Unterstützung während des Putschversuchs und danach.

Kilicdaroglu forderte, die „Versöhnungskultur“ in die Zukunft zu tragen. Bahceli sprach sich für eine Überwindung der „Polarisierung“ der Türkei aus und sagte: „Lasst uns eine neue Seite aufschlagen.“ Armeechef Hulusi Akar - der von den Putschisten gefangen genommen worden war - nannte die Umstürzler aus den Reihen der Streitkräfte „Monster und Verräter mit blutigen Händen in Militäruniform“. Die Türkei macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich und geht hart gegen dessen Anhänger vor. Nach Regierungsangaben wurden mehr als 60.000 Staatsbedienstete suspendiert oder entlassen. Mehr als 13.000 Verdächtige sind in Untersuchungshaft.

Über die Zahl der Teilehmer an der Großkundgebung gab es unterschiedliche Angaben. Aus türkischen Regierungskreisen hieß es, an der Großkundgebung hätten auf dem Veranstaltungsareal in Yenikapi und in der Umgebung rund fünf Millionen Menschen teilgenommen. Anwesende sprachen zwar ebenfalls von einem Millionenpublikum, hielten fünf Millionen allerdings für zu hoch gegriffen. In anderen Meldungen war von Hunderttausenden die Rede. Erdogan hatte das Volk in seiner Funktion als „Präsident und Oberbefehlshaber“ eingeladen.

Rund 15.000 Polizisten wurden in der Bosporus-Metropole mobilisiert, um die Großdemonstration abzusichern.

Die Versammlung, die im Fernsehen sowie auf Großleinwänden in allen türkischen Provinzen übertragen wurde, bildete den Abschluss einer langen Reihe von Kundgebungen gegen den Umsturzversuch und für die Demokratie. Der islamisch-konservative Präsident hatte seine Anhänger bereits in der Nacht des 15. Juli auf die Straßen gerufen, um sich den Putschisten entgegenzustellen. Seitdem gab es in Istanbul und Ankara jeden Abend Kundgebungen.

Transparente: "Du bist ein Geschenk Gottes, Erdogan"

Die Demonstration ist somit auch eine Machtdemonstration inmitten der Kritik an den von der türkischen Führung ausgerufenen "Säuberungen" in Militär, Justiz und Verwaltung. "Du bist ein Geschenk Gottes, Erdogan", hieß es auf Transparenten, die Demonstranten mit sich trugen. "Befiehl uns zu sterben, und wir werden es tun", stand auf anderen Spruchbändern. Viele Kundgebungsteilnehmer schwenkten die türkische Flagge. "Wir sind hier, um zu zeigen, dass diese Flaggen nicht abgenommen werden, dass die Gebete nicht verstummen werden, und dass unser Land nicht geteilt wird", sagte ein 46-jähriger Mann, der aus der Stadt Ordu am Schwarzen Meer nach Istanbul gereist war. "Hier geht es um mehr als um Politik. Hier geht es um Freiheit oder Tod."

Am Dienstag trifft sich Erdogan in St. Petersburg mit Wladimir Putin. Die Türkei hatte Ende November einen russischen Bomber im Grenzgebiet zu Syrien abgeschossen. Moskau verhängte daraufhin massive Sanktionen etwa im Tourismus gegen Ankara. Ende Juni hatte Erdogan dann in einem Brief sein Bedauern über den Zwischenfall bekräftigt. Bei dem Treffen will Erdogan mit seinem „Freund Wladimir“ den bilateralen Streit nun endgültig beilegen, wie er der Nachrichtenagentur Tass sagte. (AFP, dpa, rtr)

Ein Meer aus roten Fahnen für Recep Tayyip Erdogan.
Ein Meer aus roten Fahnen für Recep Tayyip Erdogan.

© REUTERS/Osman Orsal

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