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© dpa

Großoffensive in Afghanistan: Operation "Gemeinsam"

Die neuerliche Offensive "Muschtarak" dürfte auch zum Ziel haben, den Druck auf die Taliban zu erhöhen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Doch die Uhr tickt gegen die Staatengemeinschaft.

Neu Delhi - Vor Beginn der Operation „Muschtarak“ schwor der Kommandeur einer britischen Pioniereinheit seine Soldaten auf eine schwierige Mission ein. „Es ist verdammt gefährlich dort draußen“, sagte Oberstleutnant Matt Bazeley. „Wir gehen in das Herz der Finsternis.“ Dann rollte am Samstagmorgen in der südafghanischen Provinz Helmand die größte Offensive gegen die Aufständischen seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001 an. Ziel der Militäraktion ist es, den Bezirk Mardscha, die Hochburg der Taliban in Helmand, unter die Kontrolle der afghanischen Regierung zu bringen. Geht es nach dem Willen der Staatengemeinschaft, soll die Offensive den Auftakt für eine Wende zum Guten in Afghanistan bilden.

Kurz nach Beginn der Großoffensive hat ein Selbstmordattentäter nach afghanischen Angaben einen US-Soldaten mit in den Tod gerissen. Der Attentäter habe sein mit Sprengstoff beladenes Motorrad am Samstag in der Nähe einer US-Patrouille in der südlichen Provinz Kandahar in die Luft gesprengt.

15 000 Soldaten werfen die afghanische Armee und die Internationale Schutztruppe Isaf in die Schlacht gegen die Taliban, Amerikaner und Briten stellen die größten ausländischen Kontingente. „Muschtarak“ bedeutet in der Landessprache Dari „Gemeinsam“, einheimische und ausländische Soldaten kämpfen Seite an Seite und zumindest offiziell unter afghanischem Kommando. Nicht nur die Truppenstärke, auch andere Faktoren unterscheidet „Muschtarak“ von den zahlreichen früheren Operationen in Afghanistan – die den Abwärtstrend am Hindukusch allesamt nicht aufhalten konnten.

Anders als in der Vergangenheit wurde die jüngste Offensive Tage vorher angekündigt. Isaf und afghanische Regierung nahmen in Kauf, das Überraschungsmoment zu vergeben. Ihr Ziel: Mitläufer der Taliban sollten dazu bewogen werden, nicht zu kämpfen, und Zivilisten sollten vorgewarnt werden. Vor der Operation warf die Isaf Flugblätter über der Region ab, in denen die Bevölkerung aufgefordert wurde, Taliban kein Obdach zu gewähren und sich von Stellungen der Aufständischen fernzuhalten. Zivile Opfer, die das Image der ausländischen Truppen in der Bevölkerung schwer geschadet haben, sollen unbedingt vermieden werden.

Isaf-Kommandeur Stanley McChrystal hat seine Soldaten schon vor Monaten auf einen neuen Kurs eingeschworen: Priorität hat demnach der Schutz der Bevölkerung, nicht das Töten von Taliban. Die Bevölkerung wird dennoch unter der jüngsten Offensive leiden. Hunderte Zivilisten sind vor Beginn der Operation aus Mardscha geflohen, jenem Distrikt, den die Truppen der Kontrolle der Taliban entreißen wollen. Dauerhaft.

Die Streitkräfte haben aus Fehlern der Vergangenheit gelernt. Etwa aus der Operation „Adler“ der Bundeswehr in der nordafghanischen Provinz Kundus im vergangenen Sommer: Bei der Offensive im Distrikt Char Darah vertrieben deutsche und afghanische Soldaten zwar die Taliban, waren aber zu dünn besetzt, um die freigekämpften Gebiete dauerhaft zu halten. Als sich die Truppen in ihre Feldlager zurückzogen, sickerten die Taliban wieder ein. Danach, so hieß es in Kundus, kursierten Todeslisten der Aufständischen über diejenigen Afghanen, die mit den Soldaten zusammenarbeiteten.

Im Militärjargon heißt die nicht ganz neue, bislang aber wenig in die Realität umgesetzte Strategie „shape, clear, hold and build“. Kleinere Operationen bereiten das Feld für Offensiven wie „Muschtarak“ (shape), mit denen die Taliban vertrieben werden (clear). Dann wird das Gebiet gehalten (hold), dafür sollen zunehmend die afghanischen Sicherheitskräfte sorgen. Am wichtigsten aber: Sofort nach dem Ende der Kämpfe muss der Wiederaufbau beginnen, und die Regierungsstrukturen müssen geschaffen werden (build). So sollen die viel beschworenen Herzen und Köpfe der Menschen gewonnen werden, ohne deren Unterstützung – diese Erkenntnis ist bei den Militärs angekommen – der Kampf nicht zu gewinnen ist.

So soll es nun bei „Muschtarak“ und bei künftigen Operationen geschehen. Militärisch haben die Taliban gegen die hochgerüsteten Truppen keine Chance, die die umkämpften Gebiete über kurz oder lang einnehmen werden. Der Knackpunkt wird sein, ob es gelingen wird, danach auch die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Bislang gelten afghanische Beamte im Volk als weitaus korrupter als die Taliban.

Die neuerliche Offensive „Muschtarak“ dürfte auch zum Ziel haben, den Druck auf die Taliban zu erhöhen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Doch die Uhr tickt gegen die Staatengemeinschaft. US-Präsident Barack Obama hat angekündigt, im Sommer 2011 mit dem Truppenrückzug zu beginnen. Das Zeitfenster für Offensiven wie „Mushtarak“ schließt sich langsam. Can Merey (dpa)

Can Merey (dpa)

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