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Politik: Gründe für den rot-grünen Abstieg (Kommentar)

Wer die Berg- und Talfahrt von Achterbahnen nicht vertraut, wird sich bald auch nicht mehr in der Politik auskennen. Wir erleben Parteien immer häufiger in scheinbar willkürlichen Bewegungen eines Auf und Ab.

Wer die Berg- und Talfahrt von Achterbahnen nicht vertraut, wird sich bald auch nicht mehr in der Politik auskennen. Wir erleben Parteien immer häufiger in scheinbar willkürlichen Bewegungen eines Auf und Ab. Und glauben nicht, dass dahinter Gesetzmäßigkeiten stehen können.

Beispiele gibt es genug. Der Aufstieg der SPD zum Wahlsieg 1998, der schon ein halbes Jahr später unverständlich erschien. Der Absturz der SPD im Herbst, bis hin zum organisierten Widerstand des eigenen Milieus bei den Kommunalwahlen von NRW. Nur scheinbar spiegelbildlich der steile Wiederaufstieg der CDU nach ihrer schlimmsten Niederlage. Und nun der Zerfall dieser Formation binnen weniger Wochen.

"Stimmungsdemokratie" beschreibt diese Veränderung zutreffend. Die Wähler sind beweglicher geworden. Sie wenden sich ab von den Parteien, die in ihrem Horizont liegen, und wenden sich ihnen erneut zu, wenn es wieder ein oder zwei Gründe dafür gibt.

Die Parteien werden parallel dazu instabiler. Sie selbst haben die größten Probleme mit den unberechenbaren Wählermärkten. Zudem ist die zunehmende Individualisierung und der gesellschaftliche Bindungsverlust auch an ihnen nicht vorbeigegangen. Die Parteien zerfallen in viele eigensinnige Subsysteme, Mitglieder mit unterschiedlichsten Motiven, Gruppierungen ohne Kohäsion und Dauer. Lose Kopplungen verhindern das Auseinanderfallen, ermöglichen aber keine Gesamtrationalität.

Mehr denn je muss, wer von "Parteien" redet, sagen, welche Ebene er meint. Ohne Zentrum und dessen Fähigkeit zu strategischem Management sind Parteien nur das Rohr in den immer häufiger drehenden Winden. Aufstieg, Verfall und Wiederaufstieg der SPD, Wahldesaster, Blitzaufstieg und Blitzabsturz der CDU sind nur zu erklären mit Blick auf ein strategisches Zentrum, das mit der Partei nur lose verkoppelt ist, sie aber nach außen repräsentiert.

In der SPD sind die Enkel seit dem Abgang von Willy Brandt auf der Suche nach einem strategischen Zentrum. Die "Troika" war ein reines Täuschungsmanöver. Mehr Klarheit brachte Mannheim 1995, wo Rudolf Scharping aus dem Inner circle ausschied. Den Wahlerfolg 1998 bestimmten drei strategische Akteure: Lafontaine - wie er selbst glaubte - als Kern der Partei, Schröder - wie andere meinten - als Aushängeschild für die Neue Mitte. Der dritte im Bunde war Franz Müntefering, die Verbindung eines älteren Parteisoldatentums mit zeitgemäßem Management. Durch eine Reihe von Fehlentscheidungen und die üblichen Ränkespiele der Enkel zerfiel das mühevoll aufgebaute Zentrum in wenigen Wochen. Schröder und Lafontaine bastelten dilettantisch an eignen Zentren, Müntefering verschwand als Fachminister, die Partei wurde zum Vakuum.

Der rot-grüne Abstieg hatte viele Gründe. Aber der Kern der Krise war der Zerfall des einen strategischen Zentrums. Der Wiederaufstieg der SPD, der sich mit dem Parteitag ankündigt, wurde durch die Wiederherstellung des alten Zentrums (minus Lafontaine) ermöglicht. Schröder und Müntefering (natürlich mit der Infrastruktur der Macht), jeder nun am richtigen Platz, ohne Angst vor dem Rivalen, arbeiten an der Linienführung.

Der Aufstieg der CDU basierte auf einer Befestigung des strategischen Zentrums Kohl. Durch enge Verzahnung mit der Partei, durch Dauertelefonieren sowie Spendensammeln und -verteilen (wie wir jetzt wissen) war es noch schwerer zu erschüttern als das Regime Adenauers. Als die Partei in den 90ern auf dieses diskussionsunfähige Einmannzentrum Kohl reduziert wurde, Schäuble mit dem Aufbau eines argumentativen, programm-orientierten Nebenzentrums 1998 scheiterte, waren die Weichen für den Absturz des lernunfähig gewordenen Zentrums Kohl gestellt.

Der rasche Wiederaufstieg der CDU in diesem Jahr verdankt sich nicht nur den Fehler von Rot-Grün. Er ist auch mit dem zunächst erfolgreichen Versuch Schäubles verbunden, um sich herum eine neues Zentrum aufzubauen, dessen Interventionen geschickt Altes und Neues verbinden. Der Schatten Kohls, auf eine irritierende Art immer dabeisitzend, wurde kürzer. Erst der Spendenskandal zerstört Schäubles Konstruktion.

Strategische Zentren sind unzeitgemäße Paradoxien in den heute zersplitterten Parteien. Obwohl eigentlich nicht gewollt, überleben sie, solange Parteien an Erfolgsorientierung festhalten. Wenn auch diese Minizentren zerfallen, sind die Parteien in Gefahr. Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft in Hamburg.

Joachim Raschke

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