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Grüne: Intensive Grüntöne

Wie sich die Öko-Partei in ihren alten Hochburgen weiter verbessert – und zugleich neue erobert.

Am Morgen danach hängen die grünen Luftballons verschrumpelt in den Bäumen. In den Cafés lesen langhaarige Männer mit grimmigen Mienen die Wahlberichterstattung. Aber die 53-jährige Buchhändlerin mit dem knallroten Lippenstift ist guter Dinge, während sie vor ihrem Laden steht und raucht. Sie hat konsequent grün gewählt: Das erste Kreuz für Renate Künast, das zweite für die Partei. In Tempelhof-Schöneberg wurden die Grünen an diesem Sonntag zwar nur die zweitstärkste Partei hinter der CDU, aber sie haben die höchsten Zuwächse. Und in manchen Kiezen wie hier am Winterfeldtplatz sind sie mit Ergebnissen um 35 Prozent die großen Sieger.

„Ich wähle schon immer grün“, sagt die Buchverkäuferin. Die Umwelt liege ihr am Herzen, und Renate Künast sei sympathisch; „nah an den Menschen“, so nenne man das wohl. „Die wohnte auch lange hier und ist samstags oft auf dem Markt am Winterfeldtplatz“, erzählt sie. Dass auch die CDU im Bezirk mit 26,7 Prozent passabel abgeschnitten hat, schiebt sie auf die Bezirksreform – und auf die Konservativen in Tempelhof. „Seitdem die zu unserem Schöneberg dazugehören, verhunzen sie uns regelmäßig das Wahlergebnis“, sagt sie und lacht.

Dem jungen Mann mit der schwarzen Schirmmütze hingegen, der gerade ihr Geschäft betritt, ist nach Lachen nicht zumute. Auf die Frage, ob er in der Gegend wohne, sagt er mit einem Seufzer: „Nicht mehr lange.“ Auswandern, das wär’s! Nach diesem Wahlergebnis! „Ich sehe nur Atomkraftwerke und Gen-Food“, sagt er. Natürlich habe er grün gewählt – um solche Horrorszenarien zu verhindern. Und weil es in den großen Parteien „keine wirklichen Gegenkandidaten“ gegeben habe. Allein die Wahlplakate der SPD! Der Mann, Fotograf von Beruf, schüttelt sich: „Schräge Bilder von jungen Familien im Sonnenlicht.“ Die CDU sei da wohl besser beraten gewesen.

Mit der, das befürchten andere im Kiez, werde es um die soziale Gerechtigkeit in Deutschland künftig schlecht bestellt sein. „Nun wird die soziale Härte zurückkommen“, sagt eine junge Frau mit roten Haaren und Sommersprossen. Sie ist 31 Jahre alt und Lehrerin, gewählt hat sie SPD und Grüne. Weil sie glaubt, dass die auch an soziale Themen denken und nicht nur an die Wirtschaft. Eine schwarz-gelbe Regierung? „Wir stecken in der Krise, und die Menschen wählen eine Wirtschaftspartei“, sagt sie entrüstet. Dass sich die Grünen für den Mindestlohn einsetzen würden, hatte ein Mann mit weißem Haar und Jutebeutel gehofft. Ebenso wichtig sei ihm der Atomausstieg, um den er sich nun sorgt.

Die Mitte von Mitte ist auch so eine grüne Insel: In der Spandauer Vorstadt, um die Ackerstraße herum, haben die Grünen mit ihrem Direktkandidaten Wolfgang Wieland ebenfalls Ergebnisse um die 35 Prozent geholt – und auch bezirksweit bei den Zweitstimmen die Nase knapp vorn. Nur Friedrichshain-Kreuzberg hat wie üblich noch grüner gewählt, aber Hans-Christian Ströbeles Terrain funktioniert ja traditionell nach eigenen Gesetzen.

Vor der St. Elisabeth-Kita in der Strelitzer Straße jedenfalls erklärt eine junge Mutter, die gerade ihr Söhnchen in den Fahrradkindersitz verlädt, die Gemengelage: Die Grünen-Wähler, das seien „die Leute, die jetzt 40 sind und gerade ihr erstes Kind gekriegt haben“. Menschen mit „Bio-Essen und Öko-Sachen“. Und, ja, Autofahrer. Aber eben problembewusste. Im Übrigen handele es sich zumeist um zugezogene Westler, die ihre Wohnungen lieber gleich gekauft hätten, statt Miete zu zahlen.

Ein schwäbelnder Enddreißiger auf dem Weg zum Einkaufen in den Ackerhallen bestätigt die These der Frau: Als er vor vier Jahren hergezogen sei, „waren die Kaufpreise noch 30 Prozent billiger wie jetscht“. In letzter Zeit hätten sich die zugezogenen Gutverdiener hier ähnlich stark vermehrt wie zuvor nur in Prenzlauer Berg.

An der Ecke Acker- / Invalidenstraße wird eine der letzten Lücken gerade mit einem Neubau gestopft: „Weite Grundrisse im Loftstil“ verspricht das Bauschild. Die Preise hängen beim Immobilienmakler 100 Meter entfernt im Fenster. 73 Quadratmeter sind für 205 000 Euro zu haben, eine 229 Quadratmeter große Vierzimmerwohnung soll 834 000 Euro kosten, zuzüglich Provision.

Es könnten wieder Grünen-Wähler sein, die hier einziehen werden – wenn man die Thesen des Politologen und Parteienforschers Richard Stöss von der Freien Universität zugrunde legt. Stöss hatte bereits nach der Europawahl das Phänomen des „neuen libertären Bildungsbürgertums“ beschrieben: Erfolgsorientierte Hedonisten, denen bürgerliche Freiheit ebenso wichtig sei wie Lebensqualität. Das zweite große Wählermilieu seien die „Linkslibertären“, die allerdings eher in Kiezen wie Schöneberg zu finden seien – eben jene, die am Winterfeldtplatz über Atomkraft und soziale Gerechtigkeit diskutieren.

Wie relativ die Stärke der Grünen ist, erklärt eine junge Frau etwas weiter nördlich, wo der Wedding beginnt: Ihre traditionell SPD-affinen türkischen und arabischen Nachbarn seien allmählich vom sozialdemokratischen Glauben abgefallen und entweder zu Hause geblieben oder auf Alternativen ausgewichen. Ein älterer Mann mit kleinem Hund gibt ebenfalls den Türken die Verantwortung – mit der gewagten Begründung, dass Claudia Roth mit ihrem rundblonden Kopf so authentisch deutsch aussehe. Wobei der Mann Grieche ist und über die Türken auch sonst wenig Nettes zu sagen hat. Als er sich richtig in Rage geredet hat, ist am anderen Ende der Leine sein Hundchen auf dem Gehweg eingeschlafen.

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