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Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann signalisiert vor dem Flüchtlingsgipfel Kompromissbereitschaft

© dpa

Grüne und Asylpolitik: Bereit zum Kompromiss

Baden-Württembergs Zustimmung zum Asylkompromiss im Bundesrat vor einem Jahr stürzte die Grünen in eine Krise. Nun verhandeln grüne Ländervertreter erneut mit der Bundesregierung über ein Gesetzespaket. Dieses Mal soll das große Zerwürfnis in der Partei ausbleiben. Doch vor dem Flüchtlingsgipfel wird auch Kritik aus dem linken Flügel laut.

Der Schock bei den Grünen saß tief, als Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann im September vergangenen Jahres dem umstrittenen Asylkompromiss im Bundesrat zur Mehrheit verhalf. Ex-Parteichefin Claudia Roth war nicht allein mit ihrem Frust, als sie von einem „rabenschwarzen Tag“ für die Grünen sprach. Ein Jahr später verhandeln Bund und Länder wieder über eine Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten. Nach Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien will die große Koalition auch die Balkanstaaten Kosovo, Albanien und Montenegro auf die Liste nehmen, was eine schnellere Ablehnung von Asylanträgen aus diesen Ländern ermöglicht. Dieses Mal signalisiert nicht nur Kretschmann Verhandlungsbereitschaft. Ein Ja gilt auch in der Grünen-Führung nicht mehr als Tabubruch.

Die Parteiführung will es nicht wieder zum Knall kommen lassen

Verglichen mit dem Aufruhr vor einem Jahr bleibt es bislang erstaunlich ruhig. Das liegt auch daran, dass man in der Parteispitze bemüht ist, es nicht wieder zum Knall kommen zu lassen. Seit Wochen zurren Grüne aus Bund und Ländern eine gemeinsame Verhandlungslinie fest. In einem Fünf-Punkte-Plan haben sie ihre wichtigsten Forderungen zusammengefasst. Als ersten Erfolg wertet man die Bereitschaft der Koalition, legale Zuwanderungsmöglichkeiten für Menschen vom Westbalkan zu schaffen. „Vor einiger Zeit wäre das für CDU und CSU noch undenkbar gewesen“, heißt es in der Partei. Ein weiteres Zugeständnis sei, dass die Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge in den Ländern erleichtert werden soll. Darüber hinaus fordern die Grünen, Asylverfahren unbürokratischer zu machen, damit die Bearbeitung der Anträge künftig maximal drei Monate dauert. Es müsse „lebensnahe Lösungen“ geben statt „Schikanen“ von Flüchtlingen, mahnt Parteichefin Simone Peter. Um dauerhaft finanzielle Entlastung für Länder und Kommunen zu schaffen, fordern die Grünen außerdem, dass der Bund sich mit einem festen Anteil an den Flüchtlingskosten beteiligen soll.

Grüne Jugend fordert, das Gesetzespaket im Bundesrat zu stoppen

Doch auch wenn der große Proteststurm bislang ausgeblieben ist, wächst bei etlichen Grünen doch der Unmut. In einem schriftlichen Appell fordert die Grüne Jugend, das Gesetzespaket im Bundesrat zu stoppen. „Es kann doch nicht sein, dass die Bundesregierung die aktuelle Finanznot vieler Bundesländer und Kommunen schamlos ausnutzt, um ihre rechtspopulistische Symbol- und Erpressungspolitik durchzusetzen“, heißt es in dem Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt. Und weiter: „Wir fordern alle Grünen auf, bei so einer Erpressungspolitik nicht mitzumachen.“ Eine Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten lehnt die Grüne Jugend ab, auch unter Verweis auf einen entsprechenden Beschluss des Bundesparteitags aus dem Herbst 2014. Gerade die von der Bundesregierung gewollte Einstufung des Staates Kosovo zeige "die Absurdität" des Konstrukts der sicheren Herkunftsstaaten besonders deutlich. Bis heute seien knapp 700 Bundeswehrsoldaten im Kosovo stationiert. "Eigene Soldaten zur Wahrung der Sicherheit in einem anderen Staat zu stationieren und dieses Land gleichzeitig als "sicher" zu bezeichnen, widerspricht sich fundamental", heißt es in dem Appell. Deutliche Kritik übt die Grüne Jugend außerdem an den Plänen der Koalition, die Aufenthaltsdauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen von drei auf sechs Monaten zu verlängern, sowie dort Sachleistungen einzuführen.

Grünen-Abgeordnete kritisiert Kretschmanns Verhandlungsstrategie als "dumm"

Auch die Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer, eine der Koordinatorinnen des linken Flügels, hält die Vorschläge der Bundesregierung für nicht tragbar. "Was die große Koalition plant, ist die größte Grausamkeit in der Asylpolitik seit 1993. Durch Gesetzesverschärfungen sollen Flüchtlinge entrechtet und das Asylrecht ausgehöhlt werden", sagte sie dem Tagesspiegel. Eine weitere Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten sei „keine Symbolpolitik, sondern ein Verstoß gegen das Grundgesetz“. Für Grüne dürfe das nicht verhandelbar sein. Viele Kollegen in der Bundestagsfraktion hätten "große Bauchschmerzen" bei dem Thema. Deutliche Kritik übte sie an Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann: „Wenn man schon vor Verhandlungen ankündigt, dass man auf jeden Fall zustimmen wird, ist das schlechte Realpolitik. Die Verhandlungsstrategie von Winfried Kretschmann ist dumm." Kretschmann hingegen äußerte sich am Mittwoch erneut "zuversichtlich", dass es beim Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern am Donnerstag gelingen werde, "zu Beschlüssen zu kommen". Er gehe "sehr kompromissbereit" in diese Verhandlungen.

Unklar, ob grüne Länder im Bundesrat einheitlich abstimmen werden

Ob es am Ende gelingen wird, im Bundesrat ein gemeinsames Abstimmungsverhalten der Länder mit grüner Regierungsbeteiligung hinzubekommen, ist noch unklar. Sicher ist nur, dass wegen der geänderten Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat dieses Mal die Stimmen aus Baden-Württemberg nicht reichen werden. Die hessischen Grünen haben sich bereits offen gezeigt, eine Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten mitzutragen, wenn es dafür an anderer Stelle Zugeständnisse gibt. Auch in anderen grün-mitregierten Ländern gilt eine Zustimmung als möglich. Wenig kompromissbereit sind hingegen die Grünen in Rheinland-Pfalz. Mitte September beschloss dort ein kleiner Parteitag nahezu einstimmig, dass die rot-grüne Landesregierung aufgefordert werden solle, keiner solchen Initiative zuzustimmen. Auch in den vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten würden Menschen politisch verfolgt. Die pauschale Behandlung aller Asylbegehrenden eines Staates sei menschenverachtend. "So etwas ist mit uns nicht zu machen."

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