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Politik: Grünen Parteitag: "Die Krise ist bei uns Normalzustand"

Jürgen Trittin (47) ist seit dem Sieg von Rot-Grün bei der Bundestagswahl 1998 Bundesumweltminister. Der gelernte Diplomsozialwirt war zuvor vier Jahre lang Bundesvorsitzender seiner Partei, er wurde damals dem linken Flügel zugerechnet.

Jürgen Trittin (47) ist seit dem Sieg von Rot-Grün bei der Bundestagswahl 1998 Bundesumweltminister. Der gelernte Diplomsozialwirt war zuvor vier Jahre lang Bundesvorsitzender seiner Partei, er wurde damals dem linken Flügel zugerechnet. Der Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan stimmt er zu.

Wie viel Kritik am Krieg dürfen sich die Grünen in Rostock leisten?

Wir werden in Rostock deutlich machen, dass das Mandat zur Entsendung von Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan deutlich etwa unter dem Kosovo-Mandat liegt. Die Beteiligung an Luftangriffen ist ebenso ausgeschlossen wie die Entsendung von Bodentruppen. Und die Bundesrepublik wird sich selbstverständlich auch nicht an Operationen beteiligen, bei denen völkerrechtswidrig Streubomben eingesetzt werden.

Müssen die Grünen "vollständig" auf Regierungslinie, wie das Außenminister Joschka Fischer verlangt hat?

Ich habe Joschka so nicht verstanden. Es gibt immer eine Differenz zwischen der Rolle der Partei und den Notwendigkeiten in der Regierung. Von Begeisterung zur Beteiligung am Anti-Terror-Einsatz kann bei den Grünen keine Rede sein. Aber sowohl diejenigen, die das Mandat als bittere Notwendigkeit ansehen, als auch die Kritiker des Krieges werden über den Fortbestand von Rot-Grün abzustimmen haben. Ich bin ziemlich sicher, dass wir eine deutliche Mehrheit für die Fortsetzung des Regierungsbündnisses bekommen.

Einige Linke appellieren, die Gewissensentscheidung zum Krieg solle getrennt werden von der Entscheidung zum Fortbestand der Koalition. Funktioniert es so?

Die Schlüsselfrage ist, ob die Koalition fortgesetzt werden soll - ob nun trotz oder wegen des Mandats zur Entsendung deutscher Soldaten. Im Rahmen dieser Position ist selbstverständlich auch Kritik an bestimmten Formen der Kriegsführung möglich. Aber letztlich geht es in Rostock um die Fortsetzung von Rot-Grün, auch über 2002 hinaus. Wollen wir das Land wirklich den neoliberalen Hasardeuren überlassen?

Kosovo, Mazedonien, Afghanistan - machen die Grünen alles mit?

Das darf nicht alles in einen Topf gerührt werden. In Mazedonien haben wir uns für Krisenprävention mit Zustimmung der Konfliktparteien entschieden - für mich gar kein Problem. Am problematischsten war der friedenserzwingende Einsatz im Kosovo, der kein explizites Mandat der Völkergemeinschaft hatte. Anders Afghanistan: Der Einsatz dort hat mit zwei Resolutionen des UN-Sicherheitsrates eine eindeutige völkerrechtliche Grundlage. Es gibt für die Bundeswehrbeteiligung am Krieg sachliche Gründe, und die Parteiführung wird dafür werben. Priorität für Deutschland hat die zivile Lösung, hier liegt die Stärke unseres Landes.

Ist Ihre Partei in eine Situation hineingeschlittert, die sie eigentlich nicht will?

Militäreinsätze sind nie unproblematisch. Es ist offensichtlich, dass die Auseinandersetzung, die wir jetzt in der Partei führen, mit Wurzeln der Grünen zu tun hat, die bis weit in die 70er Jahre zurückreichen. Doch ich will in Rostock keine Entscheidungsschlacht gegen die, die den Bundeswehreinsatz noch kritischer bewerten als ich.

Claudia Roth und andere haben kritisiert, mit der Verknüpfung der Entscheidung über den Bundeswehreinsatz und der Vertrauensfrage sei der Demokratie ein Bärendienst erwiesen worden.

Sie werden mir, dem als Angehörigen der Regierung gerade mit das Vertrauen ausgesprochen worden ist, nachsehen, dass er sich diese Kritik nicht bewertet.

Läuft Rostock nicht auf eine Wiederauflage der Vertrauensfrage hinaus, diesmal an die Adresse des Parteitages?

Nein. Wir müssen unterscheiden, wer was zu entscheiden hat. Über die Entsendung von Bundeswehrsoldaten haben die Abgeordneten im Bundestag entschieden. Die Partei hat jetzt zu entscheiden, ob sie unter den realen Bedingungen diese Koalition fortsetzen will. Ich bin froh, dass die Kritiker des Bundeswehreinsatzes in der Fraktion mit ihrem Abstimmungsverhalten im Bundestag diese Entscheidung dem Parteitag überlassen haben.

Sie haben sich zitieren lassen mit dem Satz, die Grünen sollten aufhören zu heulen.

Gemeint ist, wir sollen uns nicht mit uns selbst beschäftigen. Der Bundeskanzler hat zu dem Mittel der Vertrauensfrage gegriffen, nicht weil es die Grünen gibt, sondern weil er in der Regierungskoalition eine Mehrheit für den Militäreinsatz haben wollte. Hauptgrund für sein Vorgehen war die Zahl der Kritiker bei der SPD, die übrigens größer ist als bei den Grünen. Die Grünen dürfen sich nicht freiwillig als Entlastung anbieten für die Probleme, die die SPD in den eigenen Reihen hat. Wir sollten getroffene Entscheidungen nicht permanent nachinszenieren. Die Grünen sind schon so oft totgesagt worden: Ich kann es schon nicht mehr zählen. Wir sollten jetzt in der Partei die Ärmel aufkrempeln, den politischen Gegner angreifen und uns nicht in selbstbezogenen Krisendebatten ergehen. Der Erfolg von Rostock wird sich daran messen lassen, ob die Führung die Basis auf diesem Weg mitnehmen kann. Es geht nicht darum, den Parteitag irgendwie durchzustehen, sondern den grünen politischen Aufschlag für das Wahljahr 2002 zu geben.

Antje Vollmer meint, die Partei werde im Hau-Ruck-Verfahren "nachgezwungen".

Wir haben seit dem 11. September viel dafür getan, kein Hau-Ruck-Verfahren zu inszenieren. Die Partei wird nicht gepresst und sie lässt sich auch nicht pressen. Sie will überzeugt werden. Nur wenn die Delegierten aus Rostock zurückfahren und aus Überzeugung die Koalition fortsetzen wollen, werden sie auch den Wahlkampf machen, den wir für die Entscheidung 2002 brauchen.

Wie optimistisch sind Sie?

Nach den Gesetzmäßigkeiten grüner Parteitage finden häufig diejenigen Kongresse, die im Vorfeld als besonders dramatisch gelten, ein konstruktives Ende. Anschließend ist dann in der Zeitung zu lesen, die Grünen seien langweilig geworden. Es mag unter Marketinggesichtspunkten vielleicht schwierig sein, als langweilig zu gelten. In diesem Fall würde ich das allerdings billigend in Kauf nehmen.

Die Krise der Grünen ist also gar nicht existenziell?

Die Grünen können sich über einen Mangel an Problemen gewiss nicht beklagen. Doch die Krise als Normalzustand zeichnet diese Partei aus und dass sie sich noch immer als lernfähig erwiesen hat.

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