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Politik: Grünen-Parteitag: Kinder der Revolte - Revolte für Kinder

Wie sie es auch machen, immer ist es falsch: Schlagen die Grünen ordentlich über die Stränge, geben sie ihren anarchischen Impulsen nach, so bestätigen sie das Klischee. Alle finden es interessant - und jeder schimpft.

Wie sie es auch machen, immer ist es falsch: Schlagen die Grünen ordentlich über die Stränge, geben sie ihren anarchischen Impulsen nach, so bestätigen sie das Klischee. Alle finden es interessant - und jeder schimpft. Macht die Partei aber alles richtig, quält sie sich mit Sachvorschlägen, beklagt das Publikum lauthals, die Grünen seien langweilig geworden.

Am Wochenende auf dem Grundsatzprogramm-Parteitag haben die Delegierten der Grünen fast alles richtig gemacht und damit vielleicht für eine kleine öffentliche Enttäuschung gesorgt. Der Wandel der Grünen ist aber nur deshalb nicht so spektakulär, weil er nicht von einem Tag auf den anderen in einem spektakulären Zweikampf errungen wurde. Den Wandel hatten die Politiker und auch die Delegierten der Partei vielmehr längst mit vielen Entscheidungen auch in Regierungsämtern vollzogen, bevor das Programm nun aufgeschlossen hat zur Praxis - und auch ein bisschen über sie hinausgeht.

Mehr als zwanzig Jahre alt war das Ur-Programm - und nicht nur die Grünen haben sich in dieser Zeit geändert, sondern auch die politische Landschaft, in der sie wirken. Deshalb ist es vielleicht fairer, beim Urteil über den Weg der Partei auch an jene grünen Anstöße zu erinnern, die man schon gar nicht mehr bemerkt, weil sie von vielen politischen Konkurrenten übernommen worden sind. Nicht nur das Thema Ökologie haben die Grünen etabliert. Die starre Parteienmechanik der 80er Jahre konfrontierten sie auch mit der Frauenförderung, der Öffnung abgeschotteter Sphären der Macht oder der Stärkung innerparteilicher Demokratie.

Die Autoren des neuen Grundsatzprogramms haben sich große Mühe gegeben, die Verbindung zu den Wurzeln nicht zu kappen, sondern auf der Grundlage der alten Werte neue Lösungen zu bieten. In der Außenpolitik war das am schwierigsten, denn es gab keinerlei realitätstaugliche Programmatik, als sich den Grünen nach der Regierungsübernahme 1998 mit atemberaubender Wucht hässliche Fragen stellten: Über den Kosovo-Krieg musste Joschka Fischer entscheiden, bevor er noch Minister war. Der Kampf um die neue Außenpolitik, das hat der Berliner Parteitag nur bestätigt, war schon in Rostock gewonnen, als eine große Mehrheit dem Kurs des Außenministers folgte. Nun hat die Partei klargestellt, dass diese Praxis nicht ihrer Tradition der Menschenrechte und der größtmöglichen Gewaltvermeidung entgegensteht.

So gründlich haben die Grünen auf ihren starken Feldern im neuen Programm vorgearbeitet, dass sie nun genau wissen, was sie in den kommenden Jahren wollen. Wer sie eigentlich sind, wissen sie dagegen auch nach dem Berliner Parteitag nicht recht. Denn der Anspruch, die einzig ökologische Partei zu sein, einen intelligenteren Gerechtigkeitsbegriff zu vertreten als den, der nur Unten und Oben kennt, reicht für ein kugelsicheres Selbstbewusstsein nicht aus. Neben einem soliden Programm und starken politischen Persönlichkeiten, mit denen sich die Partei identifiziert, braucht es für diese Sicherheit noch mehr Tradition als die der Werte, die nun im Grundsatzprogramm aufgehoben wurde.

Aber bis auf Petra Kelly sind alle starken Figuren der grünen Parteigeschichte entweder im Streit geschieden oder noch aktiv. Dass die Helden noch alle leben, macht den Grünen zu schaffen: Es gibt keinen Konrad Adenauer der Grünen, keinen Willy Brandt, nicht einmal einen Herbert Wehner, der als Parteiheld eine große Erzählung begründet. Deshalb leiden die Grünen manchmal auch darunter, dass sie eine historisch junge Partei sind - wenn auch mit immer älteren Leuten an der Spitze.

Freilich hat der Verlauf des Berliner Parteitags auch da einen Hinweis auf die Zukunft gegeben: Das Bekenntnis zum neuen Thema Kinder- und Familienpolitik im Grundsatzprogramm, das ja gegen kulturelle Widerstände in der Partei durchgesetzt werden musste, ist der Erfolg einer neuen Generation. Auch mit einem angeblich weichen Thema kann man einen harten Anspruch bekunden - den Anspruch auf Mitsprache und Führung. Dass Joschka Fischer die Kinderpolitiker seit einem halben Jahr unterstützt, ist da kein Widerspruch: Der Apo-Opa braucht Enkel.

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