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Tareq Alaows wollte der erste Geflüchtete aus Syrien im Deutschen Bundestag werden.

© imago images / epd

Grünen-Politiker Alaows erklärt seinen Rückzug: „Das sind nicht einfach nur Kommentare, das ist Gewalt aus dem Internet“

Wegen Rassismus und Drohungen zog der Grüne Tareq Alaows seine Bundestags-Kandidatur zurück. Nun reagiert die Partei mit einer Anlaufstelle gegen Rechts.

Tareq Alaows wollte der erste syrische Geflüchtete im Deutschen Bundestag werden. Doch nur wenige Wochen nach Bekanntgabe seiner Kandidatur für die Grünen im Wahlkreis Oberhausen-Dinslaken zog der 32-Jährige sie bereits wieder zurück.

Als Grund nannte Alaows Ende März Drohungen und Rassismus-Erfahrungen. "Die hohe Bedrohungslage für mich und vor allem für mir nahestehende Menschen ist der wichtigste Grund für die Rücknahme meiner Kandidatur", schrieb er in seiner Begründung - und tauchte anschließend ab.

Knapp zwei Monate später hat sich Alaows nun ausführlich zu seinen Beweggründen in einem Interview mit "Zeit Online" geäußert. Darin schildert Alaows, der 2015 über die Balkan-Route nach Deutschland kam und heute in Berlin lebt, dass er von der Vielzahl und Qualität der Hass-Nachrichten im Netz überrascht worden sei.

"Das sind nicht einfach nur Kommentare, das ist Gewalt aus dem Internet. Und die ist mit dem realen Leben verbunden", sagte er in dem Gespräch. Sein Team habe jeden Tag mehrere Stunden damit verbracht, Hasskommentare zu sichten, zu dokumentieren und gegebenenfalls zur Anzeige zu bringen. Einmal sei er auch in der U-Bahn in Berlin persönlich beleidigt worden. Sein Fazit: "Deutschland hat ein Rassismusproblem."

Doch offenbar richteten sich die Drohungen nicht nur gegen Alaows, sondern auch gegen Teile seiner Familie, die noch in Syrien lebt. "Hier in Deutschland kann ich Maßnahmen ergreifen, um mich zu schützen. Dort [in Syrien] gibt es niemanden, der meine Familie schützen könnte", sagte Alaows zu "Zeit Online". Und weiter: "Ich wollte und will hier gern etwas zurückgeben und Verantwortung übernehmen. Aber nicht um jeden Preis."

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Alaows nahm aber auch Stellung zum Vorwurf, seine Kandidatur sei nur PR gewesen, weil er noch gar keine deutsche Staatsbürgerschaft habe. Er habe einen regulären und einen Ermessensantrag gestellt, den er mit dem Rückzug seiner Kandidatur jedoch ebenfalls zurückgezogen habe.

"Das war nicht gepokert, die Einschätzung meiner Anwältin war, dass ich alle Voraussetzungen für eine Ermessenseinbürgerung erfülle und es keine Anhaltspunkte gab, den Antrag abzulehnen." Der reguläre Antrag für eine Einbürgerung laufe noch, so Alaows. 

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Der Fall von Tareq Alaows hat auch seine Partei aufgerüttelt. Um Parteimitglieder besser zu schützen, haben die beiden stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Grünen, Ricarda Lang und Jamilia Schäfer, gemeinsam mit Alaows ein entsprechendes "Maßnahmenpapier" veröffentlicht.

"Wir dürfen niemals zulassen, dass Menschen durch Hass und Bedrohungen aus dem politischen Leben und Alltag gedrängt werden!", heißt es darin. Gerade Menschen mit Rassismus- und Antisemitismuserfahrungen müsse man als Partei besser schützen, fordern die Autorinnen. Als konkrete Maßnahme hat der Bundesvorstand der Grünen bereits eine "Anlaufstelle gegen Rechts" eingerichtet. Sie soll betroffene Parteimitglieder beraten und unterstützen.

Parteimitglieder sollen psychologische Hilfe bekommen

Zudem haben die Grünen angekündigt, ihren betroffenen Mitgliedern psychologische Beratungsangebote zu vermitteln. Und auch präventiv will die Partei aktiv werden und Weiterbildungsangebote schaffen. "Unseren Kandidierenden und Ehrenamtlichen wollen wir proaktiv Hinweise zum Umgang mit Bedrohungssituationen geben, bevor es zu potenziellen Angriffen kommt", heißt es in dem Papier.

[Nacktbilder, Hass und Hetze - Annalena Baerbock wird im Netz zur Zielscheibe. Lesen Sie mehr zum Thema bei Tagesspiegel Plus]

„Wir haben die Verantwortung, Strukturen zu schaffen, in denen sich Menschen ohne Angst politisch engagieren können. Wir dürfen niemals zulassen, dass Menschen durch Hass und Bedrohungen aus dem politischen Leben gedrängt werden“, sagte die stellvertretende Grünen-Vorsitzende Jamilia Schäfer dem Tagesspiegel. „Statt angst- und neidgetriebenen Schmierkampagnen braucht es eine faktenbasierte und respektvolle Debattenkultur. Das erwarten wir auch von unseren politischen Mitbewerbern.“

Hass, Hetze und Falschbehauptungen erlebt auch Parteichefin Annalena Baerbock vermehrt. Seit die 40-Jährige ihre Kanzlerkandidatur bekannt gegeben hat, kursieren im Netz zahlreiche falsche Zitate und sogar angebliche Nacktbilder. Wohl auch vor diesem Hintergrund werden in dem Papier institutionelle Veränderungen gefordert. So sollen "Schwerpunktstaatsanwaltschaften" entstehen, die sich explizit rechtsextremen Straftaten widmen.

Tareq Alaows will sich derweil nicht komplett aus der Öffentlichkeit zurückziehen. "Mein Rückzug ist nicht das Ende meiner Arbeit", sagte er "Zeit Online." Er werde weiter für zivilgesellschaftliche Bewegungen arbeiten, kündigte Alaows an, der zu den Mitgründern des Bündnisses "Seebrücke" gehört. "Ich will die Gesellschaft mitgestalten, das gilt in allen Bereichen, nicht nur im Bundestag."

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