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Jürgen Trittin vertritt im grünen Parteitableau die Linke. In Umfragen schadet ihm das kaum noch.

© Mike Wolff

Grünen-Politiker Jürgen Trittin: Schwarz-Gelb: "2013 ist der Spuk vorbei"

Jürgen Trittin sprach mit dem Tagesspiegel über den Streit um die grünen Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2013, das Singen der Nationalhymne und die Lehren aus der Katastrophe von Fukushima.

Herr Trittin, Ihre Partei streitet darüber, ob Sie die Grünen als alleiniger Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2013 führen sollen. Wollen Sie das?
An Personaldiskussionen beteilige ich mich nicht. Ich halte mich an den Rat, nicht öffentlich über Fragen zu debattieren, die wir intern zu klären haben. Wir wollen 2013 die schlechteste Regierung seit Jahrzehnten ablösen. Dafür müssen wir unser inhaltliches Profil weiter schärfen. Wir werden klar sagen, was wir in Zeiten knapper Kassen finanzieren können und was nicht. Wenn das klar ist, werden wir auch die Köpfe vorstellen, die wir für diese Inhalte nach vorne stellen.

Parteichefin Claudia Roth will kandidieren und schlägt vor, die Grünen sollen in einer Urwahl entscheiden. Ist das ein guter Weg und stellen Sie sich auch zur Wahl?

Bisher liegt kein Vorschlag für ein Verfahren zur Spitzenkandidatur vor, sondern nur die Ankündigung der Parteivorsitzenden bei welchem Verfahren auch immer zu kandidieren. Ich gehe nun davon aus, dass der Bundesvorstand dem Parteirat zeitnah einen Vorschlag macht, und wir dann das Verfahren und den Zeitplan auf dem kleinen Parteitag im April beschließen werden. Wir sollten die Aufstellung vor der Niedersachsenwahl im Januar 2013 geklärt haben.

Renate Künast hat erst die Berlin-Wahl verloren und verliert nun den Rückhalt ihres eigenen Flügels, den der Realpolitiker. Wie geschwächt ist Ihre Ko-Fraktionschefin?

In der Fraktion arbeite ich mit Renate Künast hervorragend zusammen. Sie ist gerade mit großer Mehrheit wiedergewählt worden. Wir beide arbeiten sehr gut mit dem Bundesvorstand zusammen.

Vor ein paar Jahren hätten die Grünen nicht auf Ihre Popularität gesetzt. Sie galten als Bürgerschreck, als Befürworter einer Öko-Diktatur, als linker Kader-Politiker. Haben Sie sich geändert?

Das sind Zerrbilder. Wer Bundesumweltminister ist, muss unweigerlich bestimmten kapitalkräftigen Interessengruppen politische Grenzen setzen, etwa den Energiekonzernen samt ihren Atom- und Kohlekraftwerken, der Autoindustrie, der Chemie. Wer sich dabei beliebt macht, hat den Job verfehlt.

Hand aufs Herz: Haben Sie nicht Ihre Positionen verändert – im Verhältnis zu Deutschland, zu Auslandseinsätzen, zur sozialen Marktwirtschaft?

Die Gesellschaft hat sich verändert, aber auch wir als Teil dieser Gesellschaft. Wir Grüne haben unser Verhältnis zu Auslandseinsätzen in einem sehr schwierigen und schmerzhaften Diskussionsprozess verändert. Wir mussten auf die Rückkehr des Krieges nach Europa reagieren, aber wir sind die Friedenspartei geblieben.

Stimmt es, dass Sie im Bundestag mittlerweile die deutsche Nationalhymne laut mitsingen?

Bei der Lautstärke halte ich mich nach wie vor zurück, weil ich meine Nachbarn nicht belästigen will.

Aber Sie singen mit?

Es gehört dazu.

Hätten Sie es früher nicht empört zurückgewiesen, wenn man Sie als bürgerlich bezeichnet hätte?

Der Begriff Bürgerlichkeit zeigt keine politische Richtung mehr an, weil unsere Gesellschaft durch und durch bürgerlich geworden ist. Es gibt rechte und linke Bürger, es gibt Bourgeois und Citoyen. In den 80er Jahren waren wir Grüne Außenseiter. Heute ist die Gesellschaft offener, ziviler und toleranter – kurz grüner. Das gilt selbst für die Bundeswehr. Ich habe nirgendwo so bedächtige Argumentationen über die Begrenztheit militärischer Mittel, ziviles Auftreten, richtiges Verhalten gegenüber fremden Kulturen erlebt wie bei deutschen Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz.

Finden Sie es vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Erfahrung in einer K-Gruppe eigentlich schlimm, wenn sich junge Leute in linksradikalen Gruppen engagieren?

Ich kenne Studierende, Kinder von Freunden von mir, mit denen man wunderbare Diskussionen über den italienischen Philosophen Antonio Gramsci führen kann. Das macht Spaß (lacht). Es lohnt sich immer noch, Gramscis Theorie der kulturellen Hegemonie der Linken zu lesen. Aber eines: Wenn irgendwo Nazis auftauchen, stehen diese jungen Leute auf der Straße und kämpfen dagegen. Auf die ist Verlass.

Die kulturelle Hegemonie könnte 2013 nicht reichen. Nach den Umfragen sind die Grünen und ihr Wunschpartner SPD weit davon entfernt, eine Mehrheit zu erringen. Wie soll das funktionieren?

Rot-Grün ist schon heute einer Mehrheit deutlich näher als Schwarz-Gelb. Angela Merkel mag ja international gut rüberkommen, aber die CDU mit ihr an der Spitze verliert alle Wahlen. Sie haben Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hamburg verloren. Das Gleiche droht in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Das ist die Lage vor der Bundestagswahl.

Wie die Regierung die Energiewende blockiert

Im vergangenen Herbst haben Sie viel Kritik von Landespolitikern auf sich gezogen, als sie Schwarz-Grün für erledigt erklärten. Bleiben Sie dabei?

Ich habe gesagt, wir wollen Schwarz-Gelb 2013 im Bund ablösen, und zwar komplett. CDU, CSU und FDP sollen in die Opposition. Ich kenne keinen Grünen, der dieses Ziel infrage stellen würde. Und für die kommenden Landtagswahlen haben die jeweiligen Landesverbände eine klare rot-grüne Priorität.

Manche in Ihrer Partei argumentieren, ein Austausch von Wählern zwischen SPD und Grünen reiche eben nicht, Ihre Partei müsse bürgerliche Wähler dazu gewinnen, damit Rot-Grün eine Chance habe. Was ist daran falsch?

Am Wahltag zählen die Stimmen, die in der Wahlurne sind, egal was sie vorher gewählt haben. Wir mobilisieren vor allem im Nichtwählerbereich, aber haben große Schnittmengen mit der SPD und kaum welche mit den Parteien rechts der Mitte. In Wahlkämpfen haben wir die Erfahrung gemacht, dass Debatten über Koalitionen mit der CDU demobilisierend wirken.

Sie reden von der Abgeordnetenhauswahl in Berlin?

In Wahlkämpfen redet man darüber was man will und wie man es erreichen kann, nicht über Farben. Wie aussichtsreich die Idee einer stabilen schwarz-grünen Regierung ist, zeigen einfache Beispiele. Schwarz-Grün im Bund gibt es nur mit der CSU: Glauben Sie etwa, dass die Grünen sich mit der CSU verständigen könnten, das Aufkommen aus der Erbschaftssteuer zu verdoppeln, indem die Villen am Starnberger See mal richtig besteuert werden? Halten Sie es für klug 2013 in Bayern für die Ablösung der CSU zu streiten und sie gleichzeitig im Bund zu hofieren? Da sehen Sie die ganze Virtualität einer Schwarz-Grün-Debatte.

Ist Parteichef Özdemir auf dem Irrweg, wenn er sagt, die Grünen sollten nicht ideologisch fixiert an Koalitionen herangehen?

Ideologie ist falsches Bewusstsein. Da hatte Marx recht. Deshalb muss man seine Politik immer über die politischen Inhalte definieren. Wir wollen ein freies Internet und Datenschutz, die Union will Netzsperren und Vorratsdatenspeicherung. Wir wollen lebens- und handlungsfähige Kommunen, die Union will ihnen die Finanzen abwürgen. Wir wollen Vermögende besteuern, Schwarz-Gelb will sie entlasten. Deshalb sagen wir, CDU, CSU und FDP sollen 2013 die Chance bekommen, sich in der Opposition endlich mal richtig zu regenerieren.

Herr Trittin, heute jährt sich die Katastrophe von Fukushima. Hat die deutsche Politik die richtige Lehre gezogen?

Die Bundesregierung hat nach dem erzwungenen Atomausstieg ein neues Energiezeitalter versprochen, blockiert aber den Weg dorthin. Wer aussteigt, muss auch einsteigen. Raus aus der Atomenergie, rein in die Energiewende. Doch die Kanzlerin fährt die Energiewende an die Wand. Statt den Umbau unseres Energiesystems zu steuern, dürfen sich Rösler und Röttgen streiten wie die Kesselflicker. Dadurch vergeudet Deutschland wertvolle Zeit.

Wo liegen die Defizite bei der Energiewende?

Wer die Energiewende will, muss den Ausbau der erneuerbaren Energien fördern, für mehr Energieeffizienz und für Energieeinsparung sorgen. Doch die deutsche Regierung blockiert gerade, dass in Europa verbindliche Ziele bei der Energieeffizienz festgelegt werden. Wärmedämmung wird seit einem Jahr blockiert. Durch die Kürzungen bei der Solarförderung droht ein massiver Einbruch beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir setzten darauf, dass der Bundesrat diesen Kahlschlag verhindert, er würde zu einer zweiten Deindustrialisierung Ostdeutschlands führen.

Was würde passieren, wenn die Bundesregierung in diesem Tempo mit der Energiewende weitermacht?

Wenn Schwarz-Gelb noch zehn Jahre weiter regieren würde, müssten wir fürchten, dass manch ein Akw länger am Netz bleiben müsste. Ich bin aber zuversichtlich, dass das nicht passieren wird. 2013 ist der Spuk vorbei.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Hans Monath.

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