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Reinhard Bütikofer (62) ist Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei und Mitglied im Europäischen Parlament.

© dpa

Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer: "Die EU hat im Umgang mit den Staaten des Westbalkan versagt"

Der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer über die Haltung der EU zu Flüchtlingen vom Westbalkan und die Lage vor Ort.

Herr Bütikofer, Sie sind gerade in Mazedonien. Dort kommen derzeit große Flüchtlingsgruppen aus Griechenland an, die nach Westeuropa weiterreisen wollen. Wie schätzen Sie die Lage ein? 

Als ich an der Grenze zu Serbien war, traf dort gerade ein Zug mit etwa 350 Menschen ein. Insgesamt sind es bis zu 2500 Flüchtlinge pro Tag – vor allem Syrer, Afghanen, Pakistaner, Iraker, Sudanesen, Bürgerkriegsflüchtlinge also. Polizei war kaum präsent. Die Flüchtlinge werden vom Roten Kreuz, anderen Nichtregierungsorganisationen und dem UN-Flüchtlingshilfswerk versorgt. Die meisten gehen aber sofort über die serbische Grenze, um dann weiter nach Ungarn und Westeuropa zu reisen.

Reicht die Unterstützung aus? 

Mitarbeiter vom UNHCR haben mir gesagt, dass sie im Moment noch genügend Mittel zur Verfügung haben. Allerdings kämen sie schon bald an ihre Grenzen. Die EU, aber auch die europäische Zivilgesellschaft, sind daher gefragt, den Helfern dort finanziell unter die Arme zu greifen.

Wie ist die Stimmung in Mazedonien? 

Die lokale Bevölkerung begegnet den Flüchtlingen ganz überwiegend freundlich. Die Stimmung könnte aber sehr schnell kippen, wenn Ungarn seine Grenze schließen sollte und in der Folge ein Rückstau von Flüchtlingen in Serbien und Mazedonien entsteht. Das müssen wir unbedingt verhindern. Es kann nicht sein, dass einzelne EU-Staaten die Flüchtlingsprobleme einfach auf schwächere Nachbarn abwälzen.

Am Donnerstag findet in Wien eine Westbalkankonferenz statt, an der auch Bundeskanzlerin Merkel teilnimmt. Sollte dies dort ein Thema sein? 

Eine regionale Konferenz ist natürlich gut geeignet, solche Themen anzusprechen. Es geht aber nicht nur um die egoistische Politik Ungarns. Und es geht auch nicht darum, was Serbien macht oder Mazedonien. Im Kern geht es um die Frage, ob die EU bereit ist Flüchtlinge aufzunehmen. Denn die Flüchtlinge wollen ja nicht auf dem Balkan bleiben, sondern sie wollen zu uns in die EU.

Auch aus den Balkanstaaten selbst machen sich viele auf in den Westen. Aussicht auf Asyl haben diese Flüchtlinge nicht. In Wien soll besprochen werden, wie der Zustrom unterbunden werden kann. Serbiens Premier Aleksandar Vucic sieht den Schwarzen Peter hier bei der EU. Er hat vorab eine EU-Strategie zum Umgang mit Flüchtlingen gefordert. Hat er Recht? 

Was diese Gruppe von Flüchtlingen angeht, sehe ich zunächst ein Organisationsversagen bei den deutschen Behörden, die nicht in der Lage sind, die Asylverfahren in einem angemessenen zeitlichen Rahmen abzuwickeln. Versagt hat aber auch die EU im Umgang mit den Staaten des westlichen Balkan. Die EU hatte versprochen, der Region zu helfen, Stabilität und Wohlstand zu erlangen und sie in die EU zu führen. Stattdessen werden die betroffenen Staaten nun auf Distanz gehalten. Wenn EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagt, dass in den nächsten fünf Jahren sicher kein neues Mitglied in die EU aufgenommen wird, dann hat er faktisch vielleicht Recht. Als politische Botschaft ist das aber verheerend.

Was wünschen Sie sich konkret?

Mehr Aufmerksamkeit. Die Bundeskanzlerin hat Russland einmal vorgeworfen, auf dem Balkan eine Strategie zu verfolgen, auf dem Balkan Probleme zu schaffen. Ich sehe aber nicht, dass daraus Schlussfolgerungen gezogen wurden. Man nimmt die Probleme einfach nicht wahr und ist froh, wenn es gerade nicht aktuell brennt. Bosnien-Herzegowina beispielsweise ist ein funktionsunfähiges Gebilde, in dem keinerlei Entscheidungen getroffen werden können. Hier kommen wir unserer Verantwortung schlicht nicht nach. Auch in Mazedonien kann man diese Ignoranz mit Händen greifen. Das Land stand einmal auf einer Stufe mit Kroatien und hatte genauso wie Kroatien die Hoffnung, irgendwann der EU anzugehören. Oppositionspolitiker sagen mir, die EU müsse viel mehr Druck machen, damit verabredete Demokratisierungsschritt auch wirklich umgesetzt werden. Doch das geschieht nicht. Das ist sehr kurzsichtig und wird uns auf Dauer teuer zu stehen kommen.

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