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Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.

© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckard: „Gleichbehandlung von Patienten gesetzlich garantieren“

Die Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt verlangt eine gesetzliche Garantie, dass Kassen- und Privatpatienten von Ärzten gleich behandelt werden. Ein Interview.

Frau Göring-Eckardt, wir reden viel von fehlenden Pflegekräften, aber die Kassenärztliche Bundesvereinigung diagnostiziert noch etwas anderes: einen „dramatischen“ Ärztemangel. Übertreiben die Lobbyisten?

Bundesweit fehlen uns Pflegekräfte, und zwar rund 100.000. Wir brauchen endlich ein wirksames Sofortprogramm, das hier Abhilfe schafft, und ich sehe noch lange nicht, dass die Maßnahmen der Bundesregierung wirklich helfen. Und es fehlen auch Ärzte, aber nicht netto, sondern in bestimmten Regionen. Das betrifft vor allem den ländlichen Raum und sozial schwierige Stadtteile. Hier muss etwas geschehen. Aber da hilft es nicht, einfach zu sagen: Wir brauchen insgesamt mehr Mediziner.

Ist es nicht so, dass eine alternde Gesellschaft generell mehr Ärzte braucht?

Wir haben ungefähr 130.000 ausgebildete Ärzte, die nicht in ihrem Beruf arbeiten. Das ist fast jeder Dritte. Damit sie in die Versorgung gehen, müssen wir attraktivere Bedingungen schaffen. Es braucht viel mehr Flexibilität. Es muss besser werden, Beruf und Familie zu verbinden, und auch Mediziner sollten leichter Teilzeit arbeiten können. Nicht alle jungen Ärztinnen und Ärzte wollen sich gleich mit einer eigenen Praxis auf Lebenszeit binden. Viele wollen auch als Angestellte arbeiten, die Zahl ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Wir dürfen nicht nur darauf setzen, dass sich das irgendwie privat regelt. Wir müssen die Kommunen dabei unterstützen, eine verlässliche Versorgung vorzuhalten. Es reicht nicht, wenn das nur diejenigen tun, die dafür das Geld haben.

Muss das im Gegenzug auch heißen: Weniger Arztsitze in den Städten?

Ich halte nichts von einem Wettbewerb nach dem Motto: Da sind es zu viele, und dort zu wenige. Aber die bisherige Bedarfsplanung funktioniert offenbar nicht richtig. Sie muss überarbeitet werden. Wir brauchen eine verlässliche Versorgungsplanung. Natürlich muss man auch über die Frage reden, was im System wie vergütet wird. Aber es geht vor allem um strukturelle Änderungen. Auf dem Land könnten viel mehr Gesundheitszentren helfen. Sie sollen Herzstück guter Versorgung auf dem Land sein, wo von Gesundheitsförderung bis zur -versorgung alles unter einem Dach vereint und das Fachpersonal ansprechbar ist. Solche Zentren müssen nicht von Ärzten geleitet werden, das kann auch eine qualifizierte Pflegekraft. Und es wäre hilfreich, die Chancen der Digitalisierung stärker zu nutzen. Dafür müssen aber die Rahmenbedingungen stimmen. Für Videosprechstunden braucht man ein schnelles Internet. Nicht nur in der Stadt.

Der Gesundheitsminister will die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichten, bei drohender Unterversorgung eigene Praxen oder Versorgungsalternativen anzubieten. Das müsste doch Ihren Beifall finden?

Wenn die Versorgungsalternativen wirklich Versorgung garantieren, ist das in Ordnung. Es kann aber nicht nur Aufgabe der organisierten Ärzteschaft sein. Bei den Krankenhäusern ist es selbstverständlich, dass es eine politische Planung der Länder mit Beteiligung der Kommunen gibt. Auch bei Medizinern, Hebammen oder Pflegekräften brauchen wir eine stärkere Berücksichtigung der speziellen Bedürfnisse in Stadt und Region. Die nötige Flexibilität muss vom Staat gefördert werden. Dann sind in Zukunft auch neue Arzt-Modelle möglich, wo ein Facharzt zum Beispiel drei Tage in der Stadt arbeitet und zwei Tage auf dem Land.

Die Regierung will die Ärzte jetzt dazu zwingen, sich pro Woche fünf Stunden länger um Kassenpatienten zu kümmern. Ist solcher Druck sinnvoll?

Es wäre auf jeden Fall wichtig, dass die Kassenpatienten im System nicht länger die Gelackmeierten sind und sich hinten anstellen müssen. Aus meiner Sicht ist die Erhöhung der Pflichtsprechstunden aber nur ein Herumdoktern an Symptomen. Am Ende hapert es an der Kontrolle. Das Problem scheint erkannt, aber es ist nicht gebannt.

Kümmern sich die Mediziner in Deutschland zu intensiv um Privatpatienten – und zu wenig um gesetzlich Versicherte?

Das pauschal zu behaupten, wäre unfair gegenüber den Medizinern, die keinen Unterschied machen. Allerdings lohnt es sich für Ärzte viel stärker, privat Versicherte zu behandeln. Wenn sie bevorzugt werden, liegt das also nicht daran, dass die Ärzte böse sind, sondern dass die Struktur falsch ist. Da es sich um einen freien Beruf handelt, kann man nichts daran ändern, wenn sich Mediziner entschließen, nur Privatpatienten zu behandeln. Aber wer als Kassenarzt tätig und in der Bedarfsplanung ist, darf mit Kassenpatienten nicht anders umgehen als mit privat Versicherten. Gesundheitsminister Spahn sollte das zum Beispiel bei der Terminvergabe gesetzlich garantieren.

Die Zuwanderung hat Deutschland deutlich mehr praktizierende Ärzte gebracht, vor allem aus Rumänien und Syrien. Ist das gut so oder muss man diese Entwicklung eher bremsen, weil die abgewanderten Ärzte in ihren Heimatländern fehlen?

Grundsätzlich ist es gut, wenn ausländische Ärzte hier ihrer Qualifikation entsprechend arbeiten können. Bei mir zu Hause in Thüringen funktionieren manche Kliniken der Grundversorgung nur noch, weil es Fachkräfte aus dem Ausland gibt. Die Anerkennung von Berufsabschlüssen bei uns sollte also leichter werden. Gleichzeitig haben wir im Entwurf für unser Einwanderungsgesetz klargemacht, dass die Frage, wie es um die Versorgung im Heimatland bestellt ist, ebenfalls ein Kriterium sein muss – egal ob man die jeweiligen Fachkräfte hierzulande braucht oder nicht. Wenn es in einem kleinen Land nur zwei Spezialisten für bestimmte Erkrankungen gibt, sollten wir die nicht auch noch abwerben und zu uns holen.

Das Gespräch führte Rainer Woratschka.

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