zum Hauptinhalt

Grüner Oberbürgermeister in Stuttgart: Fritz Kuhn krempelt das Rathaus um

In der Kantine reiht sich der neue Chef zum Essen ein, bei den Besprechungen besteht er auf Kuchen. Stuttgart wird seit etwa 100 Tagen von einem Mann regiert, der mit den Menschen schwätzen kann. Doch die Bewährungsproben stehen Fritz Kuhn noch bevor.

Das Verhältnis des neuen Oberbürgermeisters zu seiner Stadt liegt gut in der Hand. Es ist ein Drehknauf. Die Tür zu den Amtszimmern springt auf, wenn man ihn betätigt. Der Knauf ist neu, und seit es ihn gibt, ist es ein Leichtes, vor den Empfangstresen zu treten, der die letzte Barriere zwischen der Stadt und ihrem Oberhaupt ist.

Sie zu erreichen hat früher bedeutet, vor verschlossener Tür eine Klingel drücken zu müssen. Eine Stimme aus der Gegensprechanlage fragte, was man wolle. Erst danach der Schritt durch die Bürgermeisterpforte und dorthin, wo seit etwa 130 Tagen Fritz Kuhn, der Grüne, die Geschäfte führt. Fangen wir also dort an mit der Suche nach einer Antwort auf die Frage, was Kuhns Amtsantritt für Stuttgart verändert hat.

Die Wände in dessen Amtszimmer im ersten Stock des Rathauses sind frisch geweißelt. Kuhns Vorgänger Wolfgang Schuster hatte sie mit großflächigen, farbenfrohen Gemälden dekoriert. Auf dem Sideboard hat der neue Mann Fotos seines politischen Lebensweges aufgestellt. Fritz Kuhn an der Seite Joschka Fischers, Kuhn bei einem Treffen mit dem Dalai Lama. Der große runde Holztisch, an dem Schuster seine Gäste zu empfangen pflegte, ist einer Glasplatte mit Ledersesselgarnitur gewichen. Der Schreibtisch wirkt aufgeräumt – Fritz Kuhn ebenso. Auch modisch hat sich einiges bei ihm getan. Als er antrat, hatte er noch keine Krawatte, eben gewählt trat er mit einer uralten vor die Leute, und jetzt hat er durchaus wechselnde Modelle vor den offenen Hemdkragen gebunden. Es ist zwar nur eine Äußerlichkeit, aber der Habitus soll zeigen, da will sich einer an die Förmlichkeiten seines Amtes halten.

Aber es ist auch so: Fritz Kuhn liebt klare Strukturen. Hat er stets als der grüne Realo, der vormals parlamentarische Mehrheiten organisierte. In Stuttgart hat er als Erstes die wöchentliche Bürgermeisterrunde – eine Art Küchenkabinett – im Rathaus wieder eingeführt und die Teilnahme für verpflichtend erklärt. Und er hat klargemacht: Geht nicht gibt’s nicht! Unter Vorgänger Schuster hatte die sogenannte Referentenrunde zuletzt nur noch sporadisch getagt. Und damit niemand mit leerem Magen am Tisch sitzen muss, hat der Chef seine sieben Beigeordneten auch angewiesen, im Wechsel Kuchen mitzubringen.

Viele wollten ihren Augen nicht trauen, als sich der OB zum ersten Mal in der Kantine in die Schlange der Beschäftigten einreihte. Wo der Christdemokrat Schuster eher fremdelte und dem spontanen Gespräch lieber aus dem Weg ging, zeigt sich der Neue zugänglich, aufgeschlossen und interessiert. „Die Bürger wollen einen OB, mit dem sie schwätzen können“, sagt er.

Neulich hat die „Bild“-Zeitung den Pappkameraden-Test gemacht. 50 Jugendlichen wurde ein Abbild ihres Stadtoberhaupts gezeigt mit der Frage, ob sie die Person erkennen. Immerhin zehn Prozent taten es.

Über die Stadtgrenzen hinaus hat der frühere Fraktions- und Parteichef der Bundesgrünen für mehr Aufsehen und Schlagzeilen gesorgt – mit der Schließung des Stuttgarter Fernsehturms. Zwar war der Turm 57 Jahre lang ohne Beanstandungen durch Feuerwehr und Baurechtsamt für Besucher zugänglich gewesen. Doch weil die Experten nach einer Inspektion zu dem Schluss kamen, es gebe im Brandfall keinen vorschriftsmäßigen Rettungsweg, ordnete der OB nach telefonischer Rücksprache mit dem Eigentümer, dem Südwestrundfunk, die sofortige Schließung an. „Im Ernstfall hätte ich sonst zu Recht Besuch vom Staatsanwalt bekommen“, rechtfertigt sich Kuhn. Er habe keine Wahl gehabt.

Kuhn kann auch anders, manchmal fließen Tränen

Die bürgerlichen Fraktionen im Gemeinderat attestierten ihm prompt, er habe übereilt gehandelt. Doch aus Reihen seiner eigenen Partei kommt der viel gewichtigere Vorwurf, Kuhn habe sich in der Angelegenheit „formalistisch verhalten wie ein Brandschutzinspektor“.

Der 57-Jährige gibt ein durchaus disparates Bild ab. Kuhn lasse sich Alternativen vorlegen, sagen seine Vertrauten. Andere konstatieren, er habe gern recht. Wenn’s nicht so läuft wie geplant, kann Kuhn auch anders. Da sollen auch schon mal Tränen fließen, heißt es.

In einem aber sind sich alle im Rathaus einig: Es sei gut, dass da einer in der Chefetage sitze, der entscheiden will. Allgemein bescheinigt man ihm über Parteigrenzen hinweg eine erfrischende Authentizität. Nach dem eher in sich gekehrten Visionär Schuster, der nicht nur seine Verwaltung, sondern auch viele Bürger mit seinen steilen Entwürfen von Stuttgarts Zukunft überforderte, hat mit Kuhn ein kommunikativer Pragmatiker Einzug gehalten.

Dass der schwätzen kann – und mitunter auch Tacheles redet –, hatten die Fraktionen im Rat und vor allem die Deutsche Bahn schon bei seinem Amtsantritt erfahren müssen. Kaum die Amtskette als Insignie der Macht um den Hals, wetterte er gegen die Kostenexplosion bei dem umstrittenen Bahnprojekt Stuttgart 21 und sprach offen aus, was sein Parteifreund und Weggefährte aus den Gründungstagen der Grünen, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, kaum je in den Mund zu nehmen wagte: Man müsse auch über Alternativen zum geplanten Tiefbahnhof nachdenken. Die Befürworter des umstrittenen Bahnprojekts, allen voran die Sozialdemokraten – Koalitionspartner Kretschmanns sowohl in der baden-württembergischen Landesregierung als auch im Gemeinderat –, schäumten, die bürgerlichen Parteien sowieso.

Doch Kuhn ließ sich nicht beirren, fand auch nach der Entscheidung des Bahnaufsichtsrats zum Weiterbau deutliche Worte („Ich bin nicht überzeugt, dass die Bahn das bauen kann“) und grenzte sich so von Kretschmann ab, der das Projekt für unumkehrbar erklärte. Kein Wunder, dass manch Grüner hinter vorgehaltener Hand schon fantasiert, Kuhn könne nicht nur OB, sondern auch Ministerpräsident. Doch solche Ambitionen weist Fritz Kuhn weit von sich. Gleichwohl ist sein Verhältnis zu dem pastoral daherkommenden Katholiken Kretschmann mehr von parteipolitischer Nähe als von persönlicher Freundschaft geprägt. Eher fühlt sich Kuhn da dem Verkehrsminister Winfried Hermann verbunden, einem alten Kollegen aus Bundestagszeiten und wie Kuhn bekennenden Kritiker des Bahnprojekts.

Auf seinem Programm stehen Termine wie der Eintrag des israelischen Botschafters ins Goldene Buch der Stadt, da wirkt er seltsam gehetzt. Oder die Eröffnung des Stuttgarter Frühlingsfests auf dem Cannstatter Wasen, da macht er mit roter Pappnase im Gesicht eine gute Figur. Beim traditionellen Fassanstich benötigt er nur drei Hiebe, bis das Bier fließt. Auch privat ist Kuhn – dessen Frau Waltraud Ulshöfer noch in Berlin lebt – viel in der Stadt unterwegs, taucht bei Kulturveranstaltungen auf oder schaut sich als bekennender Bayern-München-Fan schon mal Champions-League-Spiele in einer Sportbar im Stuttgarter Westen an, wo er eine Wohnung bezogen hat.

Beruflich reist Kuhn durch die Region, besucht Amtskollegen und trifft sich mit Wirtschaftsvertretern, um ihnen sein politisches Credo – mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben – zu erläutern. Auch dort kommt der Neue gut an.

Mit Stuttgart 21 wird er noch Probleme bekommen

Sein Verhältnis zur Stuttgarter CDU indessen gilt als angespannt, seit er als gewählter OB auf einem Empfang der Grünen offenbar in der Euphorie des Augenblicks dem CDU-Kreisvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Stefan Kaufmann schmutzige Tricks im OB-Wahlkampf attestiert hat. In einem Vier-Augen-Gespräch der Kombattanten wurde die Sache ausgeräumt. Doch bei der CDU wirkt Kuhns Attacke noch nach: Sie sucht nach Ansatzpunkten, um dem OB politisch in die Parade zu fahren. Bis auf die Fernsehturmsperrung ist sie allerdings nicht wirklich fündig geworden. Noch nicht.

Die politischen Bewährungsproben stehen Kuhn noch bevor. Im Wahlkampf hatte er vor allem der hohen Feinstaub- und Stickoxydbelastung im Stuttgarter Talkessel den Kampf angesagt. 20 Prozent weniger Autos will er in den nächsten Jahren in der City sehen, dazu ein abgestuftes Tempolimit auf den Straßen der Landeshauptstadt von 50 bis 30 Stundenkilometern durchsetzen. Da werden Christdemokraten und Liberale als Sachwalter der Autolobby in der Automobilstadt Stuttgart nicht applaudieren. Gleiches gilt für sein Wahlkampfversprechen, den Wohnungsbau anzukurbeln und dabei auch den jahrelang vernachlässigten sozial geförderten Wohnungssektor auszubauen.

Und schließlich bleibt da noch das Dauerstreitthema Stuttgart 21. Es wird auch seine Amtszeit überschatten. Zwar kann Kuhn im Rathaus bei den meisten politischen Fragen auf eine Mehrheit seiner Allianz von Grünen, SPD und Linken zurückgreifen. Doch wenn es um den Tiefbahnhof im Stadtzentrum geht, lässt sich die SPD in ihrer Begeisterung dafür von niemandem übertreffen.

Noch ist die Großbaustelle im Herzen der Stadt nur in Umrissen erkennbar, noch sind weder Bagger noch Tunnelbohrmaschinen aufgefahren. Doch wenn es richtig losgeht, steht Kuhn vor der schwierigen Aufgabe, die Belastungen für die Bürger so gering wie möglich zu halten, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, er wolle das Projekt torpedieren.

Zwar hat Kuhn wiederholt unterstrichen, er akzeptiere das Ergebnis der Volksabstimmung vom November 2011, bei der sich eine Mehrheit der Baden-Württemberger für die weitere Mitfinanzierung des Landes bei dem Bahnprojekt ausgesprochen hatte. Allerdings galt zu diesem Zeitpunkt noch das Versprechen der Bahn, Stuttgart 21 werde höchstens 4,5 Milliarden Euro kosten. Mittlerweile geht man von 6,8 Milliarden aus und fordert, dass sich Stadt und Land an der Kostensteigerung beteiligen. Die Drohung von Bahn-Chef Rüdiger Grube, man werde dies notfalls vor Gericht einklagen, hat Kuhn bislang nicht erschreckt. „Wenn hinter jedem Bagger zwei Juristen stehen, wird nicht gut gebaut“, sagt Kuhn.

Thomas Braun

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false