zum Hauptinhalt
"Es gibt nichts zu beschönigen." Das ist ein Lieblingssatz von FDP-Chef Guido Westerwelle, wenn er eine Niederlage einzuräumen hat.

© dpa

Guido Westerwelle: Auf Sonderwegen

Man mochte ihn auch in den eigenen Reihen nicht sehr, aber er gewann Wahlen. Jetzt verliert er sie. In Sachsen-Anhalt verpasst die FDP die Fünf Prozent und Guido Westerwelle ist schuld. Niemand versteht seinen einsamen Kurs.

Von Antje Sirleschtov

So einsam war er noch nie. Es ist kurz nach sechs Uhr abends in der FDP-Zentrale, als Guido Westerwelle die Treppe heruntersteigt. 3,5 Prozent. Oben im dritten Stock, wo die FDP-Führung ihre Büroräume hat, erreichte ihn eben die Hiobsbotschaft. 3,5 Prozent – eine Katastrophe: Es ist Superwahljahr, und gleich im ersten Flächenland fliegt die FDP aus dem Landtag. Nicht irgendwie, ganz knapp und eher zufällig. Nein: In Sachsen-Anhalt hat die FDP ihre Stimmen halbiert. Trotz Rekord-Wahlbeteiligung. Deutlicher geht’s nicht: Westerwelle ist abgewählt. Und zwar krachend. Selbst die Nazis von der NPD haben mehr Stimmen bekommen.

Dass er der große Verlierer dieses Abends ist, dass er womöglich in sieben Tagen auch Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verlieren wird, dass dann vielleicht sogar noch Schlimmeres folgt – Parteikrise, Koalitionskrise, Neuwahlen. Man kann es fühlen an diesem Abend. Man kann es aber auch sehen. Und zwar um exakt zehn nach sechs auf dem Podium, auf das der Verlierer gerade steigt. Da steht er und blickt einen Moment ganz starr. Etliche Mal hat Guido Westerwelle in den letzten Jahren vor dieser blau-gelben Wand gestanden und lautstark seine Siege verkündet. Nie war er allein. Immer drängten sie sich um ihn, die Wichtigen und die weniger Wichtigen seiner Partei. Dichte Trauben lachender Spitzenliberaler. Mancher fand ihn eigentlich unerträglich, wenn er seine platten Parolen vom fleißigen Arbeiter schmetterte, der mehr haben soll als die Faulpelze. Doch Westerwelle hat gewonnen, immer wieder. Und alle wollten auf’s Bild. Lächeln mit dem Sieger.

Und nun? Nun hat er nicht nur durch seine innenpolitischen Entgleisungen des letzten Jahres sein Image ramponiert, er verliert jetzt auch Wahlen. Drei grau beanzugte Gestalten stehen an diesem Sonntag auf dem grauen Teppich. Es sind die, die mit ihm vor die Kameras mussten, sich nicht wegducken konnten. Qua Amt, oder weil sie ihm was schulden. Dirk Niebel, sein letzter Generalsekretär. Der verdankt ihm, dass er Entwicklungshilfeminister ist. Christian Lindner, sein aktueller General. Und noch einer aus der FDP steht da mit starrem Blick. Ein etwas Jüngerer, kaum jemand weiß, wer das ist.

Eine Wahl ohne bundespolitische Bedeutung wird der Entscheid in Sachsen-Anhalt von vielen genannt. Und doch ist das Ergebnis für Westerwelle ein Fanal. Er hat Fehler gemacht. Und in dieser Wochen waren es besonders schwere, die nun eine Spitzenfrau der Partei wie Birgit Homburger, die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, von ihm abrücken lässt. Homburger ist so gut wie immer dort zu finden, wo Westerwelle glänzt. Als er an diesem Sonntagabend vorn auf dem Podium zugibt, „die FDP hat die Wahl verloren“, da sieht man sie heimlich hinten vorbeihuschen. Wie ein Schatten.

Eine Woche Westerwelle ist vorüber – zwei schwere Fehler hat er gemacht. Erst schwingt sich der FDP-Vorsitzende Westerwelle zum überzeugten Ökoaktivisten auf. Obwohl er bis dato jedem FDP-Mitglied eingetrichtert hat, dass Kernkraftwerke so sicher wie Heizdecken sind. Ja und dann enthält sich der Außenminister Westerwelle fünf Tage später auch noch im UN-Sicherheitsrat der Stimme, wenn es darum geht, den Despoten Gaddafi aus Libyen zu vertreiben. Wo er doch vorher der lauteste unter denen war, die für Demokratie und Freiheit stritten.

Zweimal große Politik, beide Male ging es daneben. Am Ende der Sonderwege des Herrn W. steht der liberale Niedergang. Sachsen-Anhalt ist vielleicht nur der Anfang.

Wer will schon auftauchen neben einem, dessen Kurs niemand mehr versteht und der in Wahlkämpfen nicht zu vermitteln ist? Birgit Homburger jedenfalls nicht. In sieben Tagen wird bei ihr zu Hause gewählt. Im Stammland der Liberalen, in Baden-Württemberg. Schlechte Botschaften sind das letzte, was die Landesvorsitzende im Südwesten gebrauchen kann.

Wer hätte das gedacht, noch vor einer Woche? Schwarz-Gelb in Baden-Württemberg: Die Politik-Wahrsager nickten bei der Frage, ob man damit rechnen könne, dass das Stuttgarter Regierungsbündnis wieder gewählt werden würde. Nicht gewiss, aber denkbar. „Stuttgart 21“ überstanden, Vollbeschäftigung, gute Schulen, kaum Rowdytum auf den Straßen. Der Südwesten schien gesichert für die FDP. Vergessen auch, dass sich der rheinland-pfälzische FDP-Landeschef Herbert Mertin, einmal ausdrücklich verbeten hat, dass Westerwelle bei ihm vorbeikommt und den Wahlkampf versaut.

Doch dann kam das Beben nach Japan und der Tsunami. Und was noch schlimmer war: Die atomare Katastrophe in Fukushima. Westerwelles politischer Instinkt war alarmiert. Wenn die ohnehin atomkritischen Deutschen im Fernsehen erst japanische Kraftwerke in die Luft fliegen sehen, dann wird ihnen wieder einfallen, dass Schwarz-Gelb die Laufzeiten für die ebenso teuflischen deutschen Reaktoren gerade erst um ein gutes Jahrzehnt verlängert hat. Westerwelle spürte: Die Regierung muss handeln.

Samstag, Sonntag letzter Woche: Zwei Tage lang haben Merkel, Westerwelle über die Lehren aus Fukushima gebrütet. Herausgekommen ist die atomare Kehrtwende. Sicherheit geht vor, die ältesten Reaktoren werden vorübergehend abgeschaltet. Alles andere wird sich finden.

Ein unvorstellbarer Salto für eine Koalition, die nur wenige Monate zuvor ihren Pro-Atom-Kurs gegen härteste Widerstände verteidigt hatte. Zartfühlend wollte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel diese Kehrtwende ihren eigenen Parteioberen in der Präsidiumssitzung am Montagvormittag beibringen. Dienstag, ganz sachorientiert, sollten die Regierungschefs der Atomländer, allesamt aus der Union, nach Berlin eingeladen werden, um das Moratorium zu beschließen.

Doch Westerwelle muss irgendwie vergessen haben, dass auch seine eigene Partei diesen neuen Kurs nicht einfach schlucken wird. Gleich Montagfrüh, das Spitzentreffen seiner eigenen Partei, auf dem er ihr den Kurswechsel eigentlich schonend beibringen sollte, hatte noch gar nicht begonnen, stand Westerwelle vor den Kameras und platze mit der Neuigkeit raus: Es wird ein Moratorium für die Kernkraftwerke geben. Er wollte der Schnellste sein.

Für seine Partei war das zu schnell. In der Sitzung seiner Parteiführung hat das Moratorium später kaum eine Rolle gespielt. Die FDP steht für Versorgungssicherheit zu günstigen Preisen. Mittelständler in Stuttgart und Umgebung schätzen es überhaupt nicht, wenn man zuerst Atomkraftwerke als Garanten der Sicherheit lobt und dann plötzlich ganz vorn mit dabei ist, wenn diese Garanten abgeschaltet werden. Kein einziges Wort wird später in den Präsidiumsbeschluss über ein Moratorium oder gar die eventuelle Verkürzung von Laufzeiten stehen. Mit blankem Entsetzen haben es die Wahlkämpfer nicht nur in Baden- Württemberg zwei Tage später registriert: Die Handlungsfähigkeit des Vizekanzlers Westerwelle ist bei den Leuten nicht angekommen. Dafür aber, dass der Vorsitzende die FDP zur Ökopartei macht. Und zwar so radikal, wie sie bis vor einer Woche Atompartei war.

Doch damit nicht genug: In der Nacht zum Freitag hat der Außenminister sich auch noch im UN–Sicherheitsrat der Stimme enthalten, als es darum ging Farbe zu bekennen. Freiheit und Demokratie – wann, wenn nicht bei diesem Thema muss eine Koalition aus Union und FDP stehen?

Der Vizekanzler und Außenminister hat nicht gestanden. Jedenfalls nicht so, wie es die allermeisten in der Union und auch viele in seiner eigenen Partei erwartet hätten. Als „unsere gelbe Friedenstaube“ wird Westerwelle an diesem Wochenende in der CDU verspottet. Schon am Freitagmorgen, in der eilig einberufenen Fraktionssitzung der CDU und CSU war die Stimmung kurz davor zu kippen. Dass die Bundesregierung keine deutschen Soldaten in einen Libyenkrieg schicken will, damit konnte sich ja beinahe noch jeder in der Fraktion einverstanden erklären – zumal so kurz vor entscheidenden Landtagswahlen. Die Enthaltung Deutschlands im Sicherheitsrat allerdings ging den meisten entschieden zu weit. Bündnistreue und europäische Geschlossenheit einerseits, aber auch der Kampf für die Demokratie sind wichtige identitätsstiftende Werte der Union.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Ruprecht Polenz (CDU), der schon am Freitag im Bundestag von einer „operativen Lücke“ sprach, warnte am Sonntag noch einmal vor einer Isolierung Berlins. Es müsse nun in geeigneter Form deutlich gemacht werden, dass die Bundesrepublik zu seinen Verbündeten stehe, sagte er im Deutschlandfunk. Von „Westerwelles Alleingang“ wird in der Union gesprochen: Deutliche Absetzbewegung vom Vizekanzler.

Grabesstille auch in Westerwelles eigener Partei. Zwar hatte es vor dem Wochenende noch Zustimmung in der FDP gegeben. Doch Stunden später hörte man erste leise Kritik. Der Außenminister habe wohl einen diplomatischen Fehler gemacht, sagten Liberale hinter vorgehaltener Hand. Ursachen wurden in seiner Unerfahrenheit gesucht. Die Entschlossenheit Frankreichs und vor allem den Schwenk in der Politik Amerikas soll er nicht erkannt haben. Wie dem auch immer sei, nach dem zweiten Sonderweg Westerwelles in dieser Woche steht Deutschland alleine da, isoliert von allen wichtigen Freunden.

Und Westerwelle? Der musste sich am Sonntagvormittag erst mal verteidigen, sprach von „Verantwortung gegenüber den Frauen und Männern in Deutschland“, die er nicht in einen unübersehbaren Krieg hineinziehen wolle. Und davon, dass ja schließlich auch Polen an der Seite Deutschlands sei, nicht nur China und Russland. Verbale Abwehrschlachten waren das, und Guido Westerwelle stand im Auswärtigen Amt.

Ein paar Stunden später hat die FDP eine wichtige Wahl in diesem Jahr verloren. Dass sie so wichtig sein würde, das hatte man auch nicht geahnt. Noch sechs Tage bis Baden-Württemberg.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false