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Gute Zeiten, schlechte Zeiten. 2002 verhieß Guido Westerwelle als große Hoffnung der FDP 18 Prozent, hier enthüllt die damalige Generalsekretärin Cornelia Pieper ein Plakat. Heute sitzen beide im Außenamt, und die Partei sucht junge Nachfolger. Foto: Tim Brakemeier / p-a/dpa

© picture-alliance / dpa

Guido Westerwelle: Mitten ins Herz der FDP in Baden-Württemberg

In keinem FDP-Landesverband ist der Unmut über Guido Westerwelle so groß wie in Baden-Württemberg. Warum das so ist.

Thomas Pauli ist eigentlich ein Bilderbuchliberaler. Schon als Erstwähler 1974 hat er sein Kreuz bei der FDP gemacht. Später hat er sich sich in Öhringen für die FDP für den Gemeinderat beworben und war 2004 und 2009 Stimmenkönig in der 23 000-Einwohner-Stadt. „Dieses Mal“, sagt der Internist, „werde ich erstmals nicht FDP wählen.“ Früher als andere hat Pauli seinen Protest gegen die Politik von Guido Westerwelle öffentlich artikuliert. Im Juli ist er mit sechs Mitstreitern aus der FDP-Ratsfraktion ausgetreten. Die Schelte der Hartz-IV-Empfänger durch Westerwelle, Philipp Röslers Gesundheitspolitik, die Absenkung der Hotelsteuer – das war nicht mehr ihre Partei. Sie firmieren seither als „Liberale Bürger Öhringens“, es ist die zweitstärkste Fraktion im Rat.

Der Wechsel war ein Warnschuss, der mitten ins Herz der Südwest-FDP zielte. Von Bord gingen urliberale Multiplikatoren: ein Buchhändler, ein Bäckermeister, ein Sportgeschäftbesitzer, ein Reisebusunternehmer, ein Hauptschulrektor, ein Sozialpädogoge und Internist Pauli. Die Parteiführung in Stuttgart und Berlin stellte sich taub. Inzwischen sind die Warnschüsse im Stammland der FDP unüberhörbar. Vergangene Woche haben vier Südwest- Liberale in einem offenen Brief Westerwelles Rückzug vom Parteivorsitz verlangt. Der Inhalt, weiß ein Landesvorstand, der offiziell zum Bundeschef hält, gibt eine breite Stimmung wieder: „Wenn Westerwelle geht, gibt’s hier ’ne Party.“

In keinem Land haben sich die Bürger bei der Bundestagswahl von den Liberalen mehr erhofft als in Baden-Württemberg – hier kamen sie auf sagenhafte 18,8 Prozent. In keinem Land sind die Wähler nun enttäuschter und die Mitglieder frustrierter. „Sie können sich eigentlich nirgendwo mehr zur FDP bekennen“, sagt ein erfahrener Parteimann. Die jüngste Umfrage sieht die Südwest-FDP bei vier Prozent und damit nicht mehr im Landtag. „Es geht um unsere Existenz“, sagt Landesvize Michael Theurer.

Als Hauptverantwortlichen für die Misere haben viele den Parteichef ausgemacht. „Westerwelle hat den Vertrauensvorschuss verspielt. Ich würde ihn weder zum Wahlkampf noch zum Neujahrsempfang einladen. Beim nächsten Bundesparteitag wähle ich ihn definitiv nicht mehr“, sagt Jörg Brehmer, FDP-Chef im Rems- Murr-Kreis. „Es wäre besser, er würde den Parteivorsitz in andere Hände geben, auch mit Blick auf die Landtagswahl“, sagt die Landtagsabgeordnete Monika Chef. Ihr Fraktionskollege Dieter Ehret sagt, dass Westerwelle 2001 den damaligen Parteichef Wolfgang Gerhardt „abgeschoben hat, hat mir auch missfallen“. Anders als Gerhardt war Westerwelle im Landesverband nie beliebt. Vielen sind sein Auftreten und sein Lebensstil zu schillernd, seine Politik zu sehr auf Schlagzeilen bedacht. Solange es aufwärts ging, trug die Kritik keiner nach außen.

Hans-Ulrich Rülke, Chef der Landtagsfraktion, gehört zu der längerübergreifenden Gruppe, die Westerwelle am 2. Dezember den Rückzug nahelegen wollte. Mit einem drastischen Vergleich soll Rülke hinterher gegenüber Fraktionären die Atmosphäre des Treffens geschildert haben: So ähnlich müsse die Stimmung „in der letzten Woche im Führerbunker“ gewesen sein. Offiziell sagt Rülke mehrdeutig, er gehe davon aus, dass Westerwelle „verantwortungsbewusst genug ist, um selbst den Zeitpunkt zu erkennen, an dem er seiner Partei als Vorsitzender nicht mehr helfen kann“.

Weitermachen oder den Vorsitzenden auswechseln, in der Hoffung, dass die FDP dann positiv wahrgenommen wird? In allen Ortsverbänden wird die Lage kontrovers diskutiert. FDP-Landeschefin Birgit Homburger gehört zu denen, die klar zu Westerwelle stehen. Das ist für sie nicht ohne Risiko – zumal sie als Chefin der FDP-Bundestagsfraktion für die Berliner Politik in Mithaftung genommen wird. Schon auf dem Parteitag im Juli hatte ihr die Basis bei der Wiederwahl aus Wut auf Berlin mit mageren 66,8 Prozent einen Denkzettel verpasst. Ende November hatte der Landtagskandidat Gunnar Stuhlmann bei einer Kreismitgliederversammlung einen Antrag eingebracht, in dem neben Westerwelles Rückzug auch Homburgers Verzicht auf den Landesvorsitz gefordert wurde. Über zwei Stunden wurde in Schorndorf diskutiert, bevor der Antrag klar abgelehnt wurde. „Wenn alles in Ordnung wäre, hätten wir nicht so lange debattiert“, sagt einer, der dabei war.

Ein Wechsel des Bundesvorsitzenden, sagt Landesvize Theurer, „löst unsere Probleme nicht. Um die FDP Baden- Württemberg in die Offensive zu bringen, müssen wir die Partei inhaltlich und personell verbreitern.“ Die FDP müsse mit einem „Kompetenzteam“ in den Wahlkampf ziehen, das zeige, dass das Personaltableau über die Ministerriege hinausgehe. Rülke soll dazugehören, der Stuttgarter Regierungspräsident Johannes Schmalzl oder die jungen Bundestagsabgeordneten Florian Toncar und Hartfrid Wolff. Auch er selbst würde die Verantwortung nicht scheuen. Inhaltlich müsse die FDP „weg von der einseitigen Ausrichtung auf Steuersenkungen – hin zu mehr finanzieller Nachhaltigkeit“. Theurer warnt zugleich vor einem Lagerwahlkampf. „Wir dürfen uns nicht zu dicht an die CDU anlehnen, weil die insgeheim auf eine absolute Mehrheit setzt. Wir müssen die Partei ganz stark in der Mitte verankern.“ Internist Pauli aber ist für die FDP wohl verloren. Die „Liberalen Bürger Öhringens“ sind dabei, sich auszudehnen. Die Gruppierung will auf kommunaler Ebene eine Wählervereinigung aufbauen.

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