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Er weiß erkennbar, wo es der Regierungskoalition wehtut. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel am Donnerstag im Bundestag.

© Thomas Peter/Reuters

Gut kalkulierte Attacke: Schuldenkrise in Europa

SPD-Chef Gabriel wettert gegen die „Euro-Populisten“ in der Regierungskoalition – und lässt Kanzlerin und Finanzminister missmutig erscheinen

Von Robert Birnbaum

Berlin - Die Kanzlerin schaut missmutig auf ihr Telefon. Der Finanzminister schüttelt den Kopf. Aus der ersten Reihe der Unionsfraktion starren sie den Mann am Rednerpult empört an. Sigmar Gabriel ist bekannt als stürmischer Redner, der sich gern im eigenen Wortgewitzel verheddert. Aber an diesem Donnerstagmorgen erlebt der Bundestag mal einen gut sortierten SPD-Vorsitzenden. Gabriel nimmt sich in der Debatte über den Euro-Schirm EFSF die Rettungspolitik der schwarz-gelben Koalition vor. Und er weiß erkennbar, wo es wehtut.

Dabei ist Gabriels Kernkritik alles andere als neu: Die Regierung habe seit Beginn der Griechenland-Krise jeden einzelnen Rettungsschritt erst abgelehnt und dann doch nachvollzogen. „Es gab Tage, da musste man Gedächtnisverlust im Stundentakt haben, um die Widersprüche Ihrer Politik nicht zu bemerken“, spottet Gabriel. Aber der SPD-Chef dreht den Vorwurf ein Stück weiter. Merkel und Schäuble seien selber schuld, wenn sie im eigenen Lager auf Widerstände stießen: „Sie haben dem Boulevard und den Stammtischen Ihrer eigenen Fraktion Zucker gegeben, und deshalb müssen Sie jetzt um Ihre Mehrheit fürchten!“

Genüsslich zitiert Gabriel Interviews aus der Frühphase der Krise, in denen Wolfgang Schäuble oder FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle versichert hatten, es werde „keinen Cent“ für die Griechen geben. Eine Finanztransaktionssteuer hätten die Regierenden lange ebenso abgelehnt wie die Beteiligung privater Gläubiger oder eine Umschuldung. Dass jemand seine Meinung ändere – der SPD-Chef macht eine generöse Geste in Richtung der Regierungsbank – das könne man keinem vorwerfen. „Sie mussten sich vorsichtig vortasten“, gesteht er sogar zu. Aber wer erst mit „Euro-Populismus“ die eigenen Abgeordneten auf die Bäume treibe, der dürfe sich nicht wundern, wenn sie hinterher nur schwer wieder runterzuholen seien: „Deutschland wird von Ihnen ständig als Zahlmeister hingestellt, der für die Faulheit anderer nun zur Kasse gebeten werden muss.“

Daran ist nun, die mürrischen Gesichter der Kritisierten zeigen es, einiges dran. Vieles von dem, was Gabriel zitiert, mag seinerzeit taktisch gut begründet gewesen sein – Merkel weist immer darauf hin, dass ohne das Drängen der Deutschen auf das Prinzip „Keine Leistung ohne Gegenleistung“ in den Schuldenländern kein Umdenken stattgefunden hätte. Und die Erfahrung mit Italien bestätigt das ja sogar, dessen Regierung von Sparen und Reformen plötzlich nichts mehr wissen wollte, kaum dass sein Zinsniveau dank einer Kaufaktion der Europäischen Zentralbank (EZB) wieder im grünen Bereich lag. Aber richtig ist schon, dass viele Abgeordnete von CDU/CSU und FDP Probleme damit haben, ihren eigenen Wählern zu erklären, wieso heute richtig ist, was gestern für grundfalsch erklärt worden war.

Lesen Sie auf Seite zwei wie es mit Gabriels Attacke weitergeht.

Dass die Opposition das, was jetzt passiert, im Großen und Ganzen richtig findet, dürfte das Unbehagen der Koalitionäre eher steigern. Die SPD will, genauso wie die Grünen, dem EFSF-Gesetz zustimmen. „Die ersten richtigen Schritte in der Euro-Politik“ nennt der SPD-Chef die darin enthaltenen Ermächtigungen für Kredite und den Ankauf von Staatspapieren; ein durchaus vergiftetes Lob. Denn Gabriel stuft den Rettungsschirm als weiteren Schritt hin zu einer „Vergemeinschaftung von Schulden“ ein, eine Art Euro-Bonds light – „Merkel-Bonds“ nennt der SPD-Mann sie.

Das ist ein arglistiges Wort. Dass man keinesfalls Europa zur Transferunion machen wolle, ist eins der wenigen Prinzipien, die die Koalition noch hochhält. Nicht wenige in Union und FDP, die trotz Bauchschmerzen das EFSF-Gesetz mittragen wollen, trösten sich damit, dass es zur Transferunion jedenfalls noch nicht gekommen sei. Hier könnte eine Grenze liegen, die zu überschreiten die Mehrheitsfähigkeit der Koalition ernsthaft gefährden könnte. Auch deshalb hat Merkel am Vortag in der Generaldebatte nachdrücklich bekräftigt, dass sie Euro-Bonds in der jetzigen Situation ablehne.

Zweifler in den eigenen Reihen. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Foto: dpa
Zweifler in den eigenen Reihen. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Foto: dpa

© dpa

Wolfgang Schäuble hat sich dazu nicht geäußert, als er als erster Redner vor Gabriel den Gesetzentwurf eingeführt hat. Aber der Finanzminister zielt auf andere Weise genauso auf die Zweifler in den eigenen Reihen. Er zählt jedes einzelne neue Instrument auf, das dem EFSF mehr Kraft verleihen soll, und bei jedem betont er, an welch strenge Bedingungen es gekoppelt sei: Um „Hilfe zur Selbsthilfe“ gehe es, nichts anderes. Und die, sagt Schäuble, setze bei den Schuldnerländern das erkennbare Bemühen voraus, sich selbst zu helfen. „Die Lage ist ernst in Griechenland“, warnt der Minister. Über ein zweites Hilfspaket für Athen brauche man nicht zu reden, bevor nicht das erste auch auf griechischer Seite umgesetzt sei. Andernfalls, orakelt der CDU-Politiker düster, „mag es sein, dass sich ganz andere Konsequenzen ergeben“.

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