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Minister Rösler auf der Baustelle Gesundheitsreform.

© dpa

Gutachten: Gesundheitsreform soll gegen Verfassung verstoßen

Ein SPD-Gutachten kommt zu dem Schluss, dass Philipp Röslers Gesundheitsreform gegen das Grundgesetz verstößt.

Berlin - Für unsozial halten die Sozialdemokraten die schwarz-gelbe Gesundheitsreform ohnehin, aber nun führen sie auch erhebliche Verfassungsbedenken gegen das Vorhaben an: In einem Gutachten für den SPD-Vorstand, das dem Tagesspiegel vorliegt, kommt der Juraprofessor Ingwer Ebsen von der Universität Frankfurt am Main zu dem Ergebnis, dass die Reform möglicherweise an einem zentralen Punkt gegen das Grundgesetz verstößt. Der von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) für Geringverdiener geplante Sozialausgleich berge ein „hohes verfassungsrechtliches Risiko“ und stelle „das Leitprinzip“ der Krankenversicherung „auf den Kopf“, heißt es in der Expertise.

In seinem 12-seitigen Gutachten moniert Ebsen die „Ungleichbehandlung“ der gesetzlich Krankenversicherten. Bei der Berechnung des Sozialausgleichs für die Versicherten werden demnach nur das Hauptarbeitsentgelt oder die gesetzliche Rente berücksichtigt und nicht alle beitragspflichtigen Einnahmen – wie etwa Versorgungsbezüge. Dies könne dazu führen, so der Experte für öffentliches Recht, dass Mitglieder mit höheren beitragspflichtigen Einnahmen – die also zugleich finanziell besser gestellt sind – „leichter und umfangreicher in den Genuss des geplanten Sozialausgleichs“ kommen als schwächergestellte Mitglieder.

Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach, nennt ein konkretes Beispiel: Rentner A, der über eine kleine gesetzliche Rente verfügt, erhält den Sozialausgleich. Nicht berücksichtigt wird, dass er nur kurz als Angestellter gearbeitet hat, bevor er eine Beamtenlaufbahn eingeschlagen hat, aus der er inzwischen eine hohe Pension bezieht. Rentner B, der zwar eine höhere gesetzliche Rente überwiesen bekommt als A, aber insgesamt über weniger Einkünfte verfügt, erhält hingegen keinen oder nur weniger Sozialausgleich. „Die Gesundheitsreform führt zu so krassen Ungleichbehandlungen, dass sie nicht mehr verfassungsfest ist“, sagte Lauterbach dem Tagesspiegel. Damit werde „ein Scheunentor für Klagen“ aufgemacht. Auch SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles fühlt sich durch das Gutachten in ihrer Ansicht bestätigt, dass Gesundheitsminister Rösler eine „ungerechte Murksreform“ plane. Rösler müsse nun darlegen, wie er die offenkundigen Mängel beseitigen wolle, ohne sein Versprechen eines automatischen Sozialausgleichs zu brechen, sagte Nahles der „Welt“.

Union und FDP hatten sich vor der Sommerpause auf die Grundzüge einer Gesundheitsreform verständigt: Danach sollen künftig alle Kostensteigerungen im Gesundheitswesen den Versicherten aufgebürdet werden – über steigende individuelle Pauschalen. Übersteigt der Zusatzbeitrag zwei Prozent des Bruttoeinkommens, soll der Versicherte einen Sozialausgleich erhalten – entweder über seinen Arbeitgeber oder den Rentenversicherungsträger. Ursprünglich hatte Rösler den Sozialausgleich anders geplant: Er sollte über das Steuersystem abgewickelt werden, damit würde das gesamte Einkommen der Krankenkassenmitglieder berücksichtigt. Dies war jedoch nicht durchsetzbar, unter anderem weil die Reform damit der Zustimmung des Bundesrats bedurft hätte.

Das Bundesgesundheitsministerium wies die verfassungsrechtlichen Bedenken als unzutreffend zurück. „Ein Gutachten, das zu einem noch nicht existierenden Gesetzentwurf erstellt wird, kann nur politisch motiviert sein und ist fachlich nicht seriös“, sagte ein Ministeriumssprecher am Samstag. Die Versicherten könnten sicher sein, dass der Sozialausgleich unbürokratisch und auch gerecht ausgestaltet sein werde.

Dass seine Ausführungen nur „vorläufig“ seien, schreibt auch der Juraprofessor Ebsen in seinem Gutachten. Doch ihm gehe es darum, auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und im wesentlichen unstrittiger Verfassungsdogmatik eine Risikoanalyse zu erstellen. Und da ist das Urteil des Juristen ganz eindeutig: Das hohe verfassungsrechtliche Risiko führt er auf die „geradezu konträre Ungleichbehandlung“ bei der Berücksichtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit zurück.

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