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Politik: „Gutverdiener raus aus der gesetzlichen Kasse“

Der künftige Vorstandschef der DKV regt einen Zwangsausschluss an / Private würden dann auch Alte aufnehmen

Sie lehnen Bürgerversicherung und Kopfpauschalen gleichermaßen ab. Warum?

Das Hauptproblem ist doch die demografische Entwicklung, die dramatische Überalterung unserer Gesellschaft. Beide Modelle lösen dieses Problem überhaupt nicht.

Wie lässt es sich denn aus Ihrer Sicht lösen?

Wir müssen es mehr Menschen ermöglichen, in ein System zu wechseln, das demografiesicher ist. Ein System, das in seiner Kalkulation Altersvorsorge berücksichtigt, also Alterungsrückstellungen bildet. Und das kapitalgedeckt arbeitet. Der Ansatz des Gesetzgebers, dies mit dem Zahnersatz zu versuchen, war insoweit ja ein konsequenter Schritt. Nur leider ist er im Gesetzgebungsverfahren völlig ins Gegenteil verkehrt worden.

Wie schafft man es denn, mehr Menschen in kapitalgedeckte Versicherungen zu bekommen?

Eine sehr radikale Lösung wäre ein Zwangsausschluss für Gutverdiener aus der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies hätte natürlich Konsequenzen, die wir sehr sorgsam und in Ruhe erörtern müssen. Aber auch im vorhandenen System gibt es Lösungen. Wenn wir etwa die Fehlentwicklungen bei der Versicherungspflichtgrenze korrigieren, könnten mehr Menschen freiwillig in ein kapitalgedecktes System wechseln. Die dramatische Erhöhung der Pflichtgrenze Anfang 2003 war ein Schritt in die völlig falsche Richtung. Und deshalb haben wir uns auch zu dem sehr seltenen Schritt entschlossen, Verfassungsbeschwerde einzulegen.

Nähme eine niedrigere Pflichtgrenze der GKV nicht die beste Einnahmequelle?

Wir sehen das anders. Jeder, der in eine private Krankenversicherung wechselt, trägt dazu bei, dass die gesetzlichen Systeme mitgesichert werden. Wir subventionieren die gesetzliche Krankenversicherung in erheblichem Maße. Und Sie dürfen auch nicht vergessen, dass freiwillig Versicherte in der Regel älter sind, oft auch viele Familienmitglieder haben, so dass den Krankenkassen auch eine Last genommen wird, wenn sie zu uns wechseln. Eine niedrigere Pflichtgrenze entlastet außerdem die gesetzliche Krankenversicherung dadurch, dass der demografische Druck abgemildert wird. Ein Ziel, das wir gemeinsam anstreben müssen, um die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland überlebensfähig zu halten.

Wo müsste denn die Einkommensgrenze für den Zwangsausschluss liegen – unter der Versicherungspflichtgrenze von 3825 Euro?

Die Einzigen, die ein vergleichbares Modell realisiert haben, sind die Niederländer. Dort ist die Versicherungspflichtgrenze um 30 Prozent niedriger als in Deutschland. Die Tatsache, dass bei uns über 80 Prozent pflichtversichert sind, zeigt, dass irgendwas nicht stimmt. Die sind doch nicht alle schutzbedürftig. Ich denke, wenn wir eine Ausscheidegrenze anstreben, dann muss man mit der Pflichtgrenze auch runtergehen.

Die Privaten sind doch gegen Bevormundung. Was wäre ein Zwangsausschluss anderes?

Natürlich müssten wir dann über neue Rahmenbedingungen nachdenken, damit keiner der Betroffenen im Regen stehen bliebe.

Und der Rest der gesetzlich Versicherten?

Für den könnte sozial und gesundheitspolitisch weit besser gesorgt werden als bisher. Der Staat kann sich dann auf die wirklich Schutzbedürftigen konzentrieren.

Für die weniger interessante Klientel rufen Sie also nach dem Staat?

Nein, das tun wir nicht. Im Gegenteil, wir sind doch diejenigen, die nicht mehr, sondern weniger Staat wollen. Und über das Steuersystem würden sich auch die privat Versicherten an der Finanzierung von Transferleistungen für sozial Schutzbedürftige beteiligen.

Befürworter einer Bürgerversicherung argumentieren, die Privatversicherer hätten gar kein gesteigertes Interesse an Vollversicherungen. Mit den Zusatzversicherungen lasse sich ein viel besseres Geschäft machen.

Das ist unwahr und absoluter Unsinn. Wir machen mit unseren Vollversicherungen rund 70 Prozent unseres Geschäfts – und einen entsprechend gewichtigen Anteil unserer Erträge. Würden wir dieses Kerngeschäft in Frage stellen mit der unbegründeten Hoffnung, es im Zusatzversicherungsgeschäft zu kompensieren, wäre das eine Utopie. Hinzu kommt die allgemeine wirtschaftliche Lage. Die Menschen haben weniger Geld, sie sichern zunehmend nur noch ihre Basisbedürfnisse ab. Wir würden ein viel zu hohes Risiko eingehen, wenn wir uns nur auf das Segment der Ergänzungsversicherungen abdrängen ließen. Wir sind und bleiben Vollversicherer.

Treibt denn die Gesundheitsreform den Privaten nicht die Kundschaft in die Arme?

Da muss man die Zeit erst mal reifen lassen. Derzeit sehen wir eher die Nachteile der Anhebung der Versicherungspflichtgrenze. Das war ja ein dramatischer Einschnitt. Wir haben dadurch etwa 700 000 Bürger weniger als Kundenpotenzial. Und de facto werden wir dadurch wohl in diesem Jahr 40 000 bis 50 000 Kunden weniger gewinnen. Nein, wir sind da überhaupt nicht euphorisch.

Die Erhöhung der Pflichtgrenze wurde ja auch damit begründet, dass sich die Privaten sonst nur die Rosinen aus dem Kuchen picken.

Ein alter Vorwurf. Wenn tatsächlich größere Bevölkerungsgruppen komplett auf private Versicherer verwiesen würden, könnten wir uns anders verhalten, etwa auf differenzierte Risikoprüfungen verzichten. Im heutigen System aber müssen wir an unseren Instrumenten ebenso festhalten wie die GKV an ihren.

Sie wären unter anderen Bedingungen zur Aufnahme alter und kranker Menschen bereit?

Wenn der Staat eine Ausscheidegrenze schaffen würde, würden wir ganzheitlich zur Verfügung stehen, also auch ältere oder kranke Bürger übernehmen. Dass das geht, haben wir bewiesen bei der Einführung der Pflegeversicherung. Für ein völlig neues Risiko haben wir alle unsere Versicherten en bloc übernommen – ohne vorherige Prüfung oder Ansparprozess. Und wir haben, anders als die gesetzliche Pflegeversicherung, unsere Beiträge seither schon dreimal gesenkt.

Das Gespräch führte Rainer Woratschka.

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