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Politik: Gysi warnt vor Zerfall der Linken

Fraktionschef fordert Kontrahenten Lafontaine und Bartsch zu Kooperation auf Verbände in Ost und West unversöhnlich / Suche nach Frau für Parteivorsitz.

Von Matthias Meisner

Berlin - Der quälende Machtkampf bei der Linken spitzt sich zu einer Existenzkrise für die Partei zu. Fraktionschef Gregor Gysi warnte am Mittwoch eindringlich vor einer Spaltung, falls es nicht zu einer einvernehmlichen Lösung der Führungsfrage kommt. Als Kompromiss schlug er den früheren Vorsitzenden Oskar Lafontaine als Parteichef und den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch als Bundesgeschäftsführer vor. Thüringens Fraktionschef Bodo Ramelow warf dem amtierenden Parteichef Klaus Ernst eine „Schmierenkomödie“ vor. Vor dem Parteitag Anfang Juni sympathisieren die Ost-Landesverbände mehrheitlich mit Bartsch, die West-Landesverbände sind überwiegend für Lafontaine. Keiner der beiden Widersacher will klein beigeben.

Daher wirbt Gregor Gysi für eine Versöhnung zwischen Ex-Parteichef Oskar Lafontaine und dem früheren Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch. In der ZDF-Sendung „Pelzig hält sich“ sagte Gysi am Dienstagabend: „Oskar Lafontaine als Vorsitzender wäre natürlich gut.“ Es gebe aber mit Bartsch einen weiteren Bewerber. „Mein Vorschlag ist, beide müssen zusammenfinden“, sagte Gysi. „Dietmar soll akzeptieren, dass Oskar Vorsitzender wird, und Oskar muss dann akzeptieren und sich sogar wünschen, dass Dietmar Bundesgeschäftsführer wird“, verlangte der Fraktionschef. Ob sich die Kontrahenten danach richteten, sei aber „sehr zweifelhaft“. 2010 hatte Bartsch auf Druck von Lafontaine seinen Posten als Bundesgeschäftsführer abgeben müssen.

Am Mittwoch untermauerte Gysi seine Forderung mit einem in Berlin verbreiteten dramatischen Appell, in dem er die Lage der Linkspartei als „sehr schwierig“ bezeichnet. Es gebe nach wie vor unterschiedliche Teile in der Partei, die sich bis heute nicht vereinigt, nicht zusammengefunden hätten. „Es gibt zwei Möglichkeiten, damit umzugehen. Entweder man trennt sich oder man findet zusammen. Der Sieg der einen über die anderen oder umgekehrt ist kein Weg zur Vereinigung, sondern läuft letztlich auf eine Trennung hinaus.“ Lafontaine sei zweifellos ein „herausragender deutscher und europäischer Politiker“, Bartsch habe „nicht das gleiche Gewicht“. Allerdings sei Bartsch „ein besserer Parteiorganisator“. Gysi schreibt weiter: „Beide müssen verstehen, dass sie nicht die Partei als Ganzes repräsentieren. (...) Deshalb appelliere ich an beide, zu springen, aufeinander zuzugehen.“

Lafontaine hatte zuvor deutlich gemacht, dass er bereit ist, für den Vorsitz zu kandidieren – eine Kampfkandidatur will er aber ausdrücklich nicht, weil sie „nicht unbedingt der krönende Abschluss“ seiner Karriere sei. Lafontaine hatte zwar vor Monaten angeboten, Bartsch einen Platz in einer „kooperativen Führung“ zuzuweisen. Bartsch könne, so hieß es, als stellvertretender Vorsitzender unter Beweis stellen, dass er zu loyaler Zusammenarbeit in der Lage sei. Eine solche Unterordnung aber lehnt Bartsch strikt ab. Bartsch bekräftigte am Mittwoch seinen Anspruch auf den Vorsitz. „Ich sehe keinen Grund dafür, meine Kandidatur zurückzuziehen“, sagte er im TV-Sender Phoenix.

Die neue Doppelspitze muss mindestens eine Frau haben. Wer das an der Seite von Lafontaine oder auch Bartsch wäre, ist weitgehend offen. Allerdings schloss Dagmar Enkelmann, Parlamentsgeschäftsführerin im Bundestag, eine Kandidatur für den Vorsitz nach einem Bericht des „Neuen Deutschland“ nicht aus. Eine Zusammenarbeit mit Lafontaine kann sie sich aber offenbar nur schwer vorstellen. Im Interview mit der „Märkischen Oderzeitung“ sagte Enkelmann, Lafontaine „wäre jetzt der falsche Mann an der Spitze, wenn es gilt, den existierenden Richtungsstreit zu beenden“. Enkelmann zählt Lafontaine, dessen Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht und Klaus Ernst „zu einer Strömung, die die Linke von allen anderen Parteien abgrenzen will und die keine Annäherung an die SPD zulässt“.

Der amtierende Parteichef Klaus Ernst warb dagegen für die Rückkehr Lafontaines an die Spitze. Er will für ihn gern auf eine neue Bewerbung verzichten und sieht in der Linken eine klare Mehrheit für Lafontaine. Eine Urabstimmung würde „so eindeutig für Oskar Lafontaine ausgehen wie fast keine andere Abstimmung außer vielleicht über unser Programm. Da hatten wir 96 Prozent Zustimmung“, sagte Ernst am Mittwoch im Deutschlandfunk. Thüringens Fraktionschef Bodo Ramelow bezeichnete das Agieren von Parteichef Ernst am Donnerstag als katastrophal. „Er benimmt sich, als wenn er ausschließlich der Pressesprecher von Oskar Lafontaine wäre.“

Auch Wulf Gallert, Vorsitzender der Linksfraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, äußerte sich auf Facebook empört: „Klaus Ernst schießt heute den Vogel ab. Er sagt nun, dass Lafontaine in einer Urabstimmung klar die Mehrheit bekommen würde. Er hat die beantragte Urabstimmung dazu massiv verhindert.“ Am Dienstag hatte eine Spitzenrunde mit Linke-Politikern aus Bund und Ländern in Berlin versucht, sich auf eine neue Führung zu verständigen. Es gab jedoch keine Einigung.

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