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Politik: Haarscharf am Volk vorbei

DIE SPD UND GERSTER

Von Tissy Bruns

Er würde bleiben, hat Florian Gerster gesagt, solange er das Vertrauen der Bundesregierung habe. Er ist damit ganz in der Hand des Kanzlers und des Wirtschaftsministers. Man darf sagen: Da gehört er hin. Denn jenseits der Frage nach korrekter Abwicklung der umstrittenen Beraterverträge zeigt sich im Fall Gerster ein grundlegendes Problem der sozialdemokratisch geführten Regierung. Gersters Umgang mit Beratern, Dienstwagen und dem Personal seiner Behörde lässt sich in einen Satz fassen: Modern ist, wenn McKinsey oder Berger draufsteht und die eigenen Leute sich ärgern. Damit ist Gerster ein besonders schlichter, aber keineswegs ein untypischer Vertreter des sozialdemokratischen Modernisierungsdenkens.

Gerster ist nach Nürnberg geschickt worden, um eine verknöcherte Behörde zur flexiblen Bundesagentur aufzumöbeln. Seinen Auftrag kann man auf die kurze Formel bringen: Misch ihn auf, den schwerfälligen Laden. Weil Gerster ihn in diesem Sinn durchaus richtig verstanden hat, ist er von Schuldgefühlen weit entfernt. Denn die Empörung von eingefahrenen Verwaltungsräten, von DGB- und sonstigen Verbandsvertretern lässt sich leicht wegstecken, wenn man sie in das Raster einordnet: viel Feind, viel Ehr’. Wer vieles anders macht, bringt halt viele gegen sich auf.

Eine Einstellung, die nicht ohne Vorbild und ohne Verdienst ist: Der aufstrebende Gerhard Schröder hat seine Partei durch unentwegte Provokationen nach diesem Muster – wobei die Berater-Chiffre damals in der Variante „Autoindustrie“ durchexerziert wurde – aus der oppositionellen Schmollecke in die Mitte geführt. Die SPD hat sich bewegen lassen; unbehaglich war ihr dabei freilich immer. Ohne die Abfederung durch den anderen Kopf an der Spitze, Oskar Lafontaine, hätte Schröder sich kaum durchsetzen können. Ein kurzer Blick in die erste sozialdemokratische Regierungszeit zeigt, wie groß für die SPD der Sprung zum Führungstypus Schröder ist. Ein Charismatiker, ein Zuchtmeister, ein kühler Kopf – Brandt, Wehner, Schmidt – waren nötig, um die SPD und die „kleinen Leute“ für die Modernisierungsprozesse der 70er Jahre zu öffnen. Und damals gab es viel zu verteilen, viel zu gewinnen.

Heute verkünden Pragmatiker wie Schröder oder Wolfgang Clement Nullrunden für Rentner, Einschnitte für Langzeitarbeitslose, Zuzahlungen für Medikamente. Und es zeigt sich, dass an der Macht nicht reicht, was für den Machterwerb produktiv war. Schröders Wort von 1995 war der richtige Stachel im Fleisch der SPD: Es könne keine sozialdemokratische, sondern nur eine moderne Wirtschaftspolitik geben. Ähnlich provokativ und wahr ist es zweifellos auch, wenn Gerster 2002 als neuer Mann für die Arbeitslosenanstalt erklärt, ein großer Teil ihres Personals sei sowieso überflüssig. Man bringt damit verlässlich alle gegen sich auf, nur hat man nichts davon. Wer verantwortlich ist, muss in absehbaren Fristen Menschen überzeugen können. Er muss es nicht möglichst neu und anders, sondern vor allem richtig machen.

Gerhard Schröder hat genug Instinkt für die kleinen Leute, dass ihm solche Schnitzer nicht unterlaufen. Er hat sich der Mitte als SPD-Mann präsentiert, der die Enge und Beschränktheit sozialdemokratischer Milieus überwindet – und Brioni und Zigarren nach dem ersten Regierungsjahr einfach verbannt. Doch bis jetzt ist es bei der stilistischen Korrektur geblieben. Schröders enttäuschte Liebe zu den Großen der Wirtschaft hat in der rot-grünen Neigung zu den Beratern ihren Ersatz gefunden. Und was modern ist, müssen Werbeparolen erklären. Elite-Uni, Innovation – das Publikum hat andere Sorgen.

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