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Umstritten. Dem Italiener Pittella droht ein deutscher Gegenkandidat. Foto: M. Cugnot/dpa

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Härtetest für Gianni Pittella: Die EU-Sozialdemokraten auf der Suche nach einem neuen Fraktionschef

Der Italiener Gianni Pittella möchte Anfang Dezember als Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament wiedergewählt werden. Doch die SPD-Abgeordneten hadern mit ihm.

Unter den 189 Abgeordneten der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament ist es eines der wichtigsten Gesprächsthemen auf den Gängen: Wer wird der nächste Fraktionschef? Als Favorit gilt der bisherige Amtsinhaber, der Italiener Gianni Pittella. Aber auch über eine Kandidatur des SPD-Mannes Udo Bullmann wird spekuliert.

Dass es einen deutschen Gegenkandidaten zu Pittella gibt, wäre allerdings nur dann denkbar, falls Martin Schulz (SPD) beim gegenwärtigen Rennen um das Amt des EU-Parlamentspräsidenten nicht zum Zuge kommen sollte. Der Grund: Es würde sich mit dem nationalen Proporz in der Abgeordnetenkammer kaum vereinbaren lassen, wenn sowohl das Amt des Parlamentschefs als auch des sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzenden in deutscher Hand wären. Ohnehin sind die Deutschen im EU-Parlament an den Schaltstellen sehr gut vertreten. Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU), die scheidende Ko-Fraktionschefin der Grünen, Rebecca Harms, die Frontfrau der Linken, Gabi Zimmer – sie alle sind Deutsche.

Ob Martin Schulz Parlamentschef bleiben kann, ist offen

Schulz strebt eine dritte Amtszeit als EU-Parlamentschef an, und dabei hat er in erster Linie die Unterstützung der sozialdemokratischen Fraktion. Aber auch in anderen Fraktionen wird anerkannt, dass der Rheinländer dem EU-Parlament weit über Straßburg und Brüssel hinaus Beachtung verschafft hat. So wirbt der SPD-Mann derzeit auch im Lager der konservativen EVP-Fraktion um Unterstützung für eine weitere Amtszeit. Allerdings gibt es etliche deutsche EVP-Abgeordnete, die genau dies verhindern wollen. Und es gibt noch ein weiteres Problem für Schulz: Gemeinsam mit EVP-Fraktionschef Weber hat er im Juni 2014 schriftlich vereinbart, dass das Amt des EU-Parlamentschefs zur Hälfte der Legislaturperiode im kommenden Januar an die Konservativen gehen soll.

Es gibt also einige Fragezeichen rund um eine mögliche weitere Amtszeit von Schulz. Falls der derzeitige EU-Parlamentschef nicht auf seinem Posten bleiben kann, kursiert als „Plan B“ unter einigen SPD-Abgeordneten die Überlegung, einen deutschen Gegenkandidaten zu Pittella für das Amt des Fraktionschefs ins Rennen zu schicken.

SPD-Abgeordneter Bullmann: Klare Kante gegenüber der EVP

In Pittellas Umfeld heißt es, die Bewerbungsfrist sei am 21. Oktober abgelaufen und außer dem Italiener habe sich kein anderer Kandidat öffentlich erklärt. Doch damit ist das Rennen noch nicht unbedingt gelaufen. Wenn sich rechtzeitig vor der Wahl am 7. Dezember weitere Abgeordnete zu einer Kandidatur um den Fraktionsvorsitz bereit erklären würden, dann wäre gegen eine Kampfabstimmung nichts einzuwenden, heißt es in der Fraktion. „Wenn es zwei oder drei Kandidaten gibt, dann ist das besser für die Debatte“, sagt etwa der belgische Sozialist Marc Tarabella.

Dass die deutschen SPD-Abgeordneten die Kandidatur von Pittella keineswegs als Selbstläufer betrachten, machte dessen möglicher Gegenkandidat Bullmann selbst jüngst in Berlin deutlich. „Es gibt eine große Unzufriedenheit in der sozialdemokratischen Fraktion, dass wir bei vielen Themen nicht weiterkommen“, sagte der Chef der 27 SPD-Abgeordneten im EU-Parlament.

Bullmann hat sich jedenfalls mit einem fraktionsinternen Strategiepapier im September schon einmal in Stellung gebracht. Darin beklagte er sich über einen „fruchtlosen politischen Stillstand“ in der informellen großen Koalition, die zwischen den Sozialdemokraten und der EVP besteht. Als Beispiel nannte der SPD-Mann den milliardenschweren Juncker-Plan zur Belebung des europäischen Südens, der nach Bullmanns Auffassung effizienter genutzt werden müsse. Ihm geht es darum, dass die sozialdemokratische Fraktion in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode vor der Europawahl 2019 couragierter als bisher auftritt und gegebenenfalls gegenüber der EVP auch schon einmal klare Kante zeigt. Bullmann formuliert seine Erwartung an die kommenden zweieinhalb Jahre in Brüssel so: „Es muss ein klares Plus an sozialdemokratischen Ergebnissen in der praktischen Politik geben.“

Udo Bullmann, der Chef der SPD-Gruppe im Europaparlament.
Udo Bullmann, der Chef der SPD-Gruppe im Europaparlament.

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Der Text erschien in der "Agenda" vom 1. November 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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