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Politik: Halbwissen

Foto: Rückeis / Montage: DP HINTER DEN LINDEN Wahrscheinlich fällt es außerhalb unseres kleinen bundespolitischen Reservats gar keinem auf. Aber wir hier herinnen registrieren sehr genau, dass der Regierungskreis auf die rote Liste der bedrohten Arten geraten ist.

Von Robert Birnbaum

Foto: Rückeis / Montage: DP

HINTER DEN LINDEN

Wahrscheinlich fällt es außerhalb unseres kleinen bundespolitischen Reservats gar keinem auf. Aber wir hier herinnen registrieren sehr genau, dass der Regierungskreis auf die rote Liste der bedrohten Arten geraten ist. Um das denen, die sich in Flora und Fauna hinter den Linden nicht so auskennen, kurz zu erläutern: Wenn ein Politiker früher einem von uns Pressemenschen etwas vertraulich gesteckt hat, haben wir ihn in unserem Bericht zu seinem eigenen Schutz als „Kreis“ getarnt. Je brisanter die Information, desto weiter der tarnende Kreis; „Regierungskreise“ umfassen eine gute Hundertschaft potenzieller Plauderer, da kommt so schnell keiner der wahren Quelle auf die Spur.

Seit einiger Zeit beobachten wir aber einen evolutionären Prozess. Eine neue Spezies verdrängt den guten alten Kreis aus seinem angestammten Lebensraum. Es sind dies der „Umkreis“ und seine Unter-Abart, der „engste Umkreis“. Scheinbar dem Kreis verwandt, handelt es sich in Wahrheit um völlig andere Arten. Anders als ihr Vorgänger taugen sie nicht zur Tarnung, im Gegenteil. Der Umkreis selbst sehr geselliger Spitzenpolitiker umfasst maximal sieben Personen. Der „engste Umkreis“ – so ungefähr ein halber Meter – besteht im Regelfall aus Luft. Die saugt der Reporter dann also ein, und sie bläht ihm auch sehr schön den Brustkorb, auf dass der Leser und der Chefredakteur sehen mögen, was für wichtige Leute er kenne. Informationen aus engsten Umkreisen wirken infolgedessen stets etwas aufgeblasen.

Der evolutionäre Prozess aber schreitet unaufhaltsam fort. In die Freifläche vor dem Kanzleramt, wo Springbrunnen aus Stein- und Rasenflächen sprudeln, wird gerade in einem riesigen Halbkreis ein Edelstahlband eingelassen. Wir haben das Halbrund zunächst für das Denkmal des namenlosen Regierungskreises gehalten. Doch das Ding dient anderen Zwecken. Künftig brauchen Journalisten, die nichts wissen, aber damit protzen wollen, sich nur noch an den Zaun vor das Kanzleramt zu stellen. Dort sprechen sie das Gerücht des Tages halblaut vor sich hin. Und danach können sie guten Gewissens schreiben: „…wie in Regierungshalbkreisen verlautete!“

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