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Politik: Haltung bewahren

Von Stephan-Andreas Casdorff

Gibt es keine Hoffnung? Gibt es kein Entrinnen, gleichsam nur die Unausweichlichkeit des Schicksals? Mitsamt seiner Schläge? Wer nach London schaut, auf die Verwüstung der Stadt und von Tausenden von Seelen, der mag es annehmen, und wird doch im zweifachen Wortsinn eines Besseren belehrt. London: Es ist ein Schauplatz der Hoffnung. Die Briten: Sie sind Vorbild, VorBild der Art, wie wir alle in Zukunft dem Terror trotzen können. Mindestens ein bisschen.

Richtig, ja, mehr als London getan hat zur Sicherheitsvorsorge, kann nicht getan werden, soll das Leben nicht zum Erliegen kommen. Leben ist, das in dieser Stunde zur allgemeinen Erinnerung, gerade in dieser Stadt mehr als Überleben. Es pulsiert, wieder, die Londoner fahren im Untergrund und gehen wieder an Deck der Busse, Mengen quellen wieder heraus aus den Stationen und vermitteln dieses Bild, gewollt, unpathetisch und umso beeindruckender: Wir kommen heraus aus dem Schlund der Angst. Die BBC dreht, und ihre Kameras zeigen: nicht Stoizismus, sondern das, was Herfried Münkler, Kenner der asymmetrischen Kriegführung, der Bedrohung des Alltags durch Terror, als heroische Gelassenheit beschreibt. Sie sollten wir nach London zur Strategie erklären.

So betrachtet war das Bild derer, die sich in Gleneagles trafen und hinter Premier Tony Blair versammelten (wie ein Mann), passend. Sie wirkten wie eine Demonstration – von Macht über den Moment. Denn das wollen die Attentäter, gleich, woher sie stammen, ja mit ihren Anschlägen auf den Urgrund der Globalisierung, auf die Mobilität, erreichen: dass Stillstand herrsche. Und Stillstand ist in dieser Welt schnell gleichgesetzt mit Rückschritt. Rückschritt aber kann sich niemand leisten. Wer nicht mobil ist, verliert, weil der Radius enger wird – wenn das erreicht werden sollte, dann haben die Attentäter nicht mit der, sagen wir, geistigen Mobilität der Führer der von ihnen gehassten westlichen Industrienationen gerechnet.

Die Macht über den Moment zu behalten, bedeutet, innezuhalten. Innezuhalten, um nachzudenken über die Zeitläufte, das auch, aber vor allem über das, was jetzt gerade wichtig ist, und wie sich das nachfolgende Handeln auswirken kann auf Zukünftiges. Vom Ende her zu denken – wenn das in diesem Moment gelingt, dann ist Kontrolle gewonnen. Das Mienenspiel mag kontrolliert sein, wegen der in alle Welt gesendeten Bilder ist das vielleicht sogar ein notwendiger Anspruch, wichtiger aber bleibt, dass die Botschaft sagt: Wir wissen, was wir zu tun haben. Und was die G8 taten, ist richtig. Ihr Radius blieb groß. Es wurde weiter verhandelt im Sinne der Welt; im Sinne Afrikas, das darbt, und im Sinne des einen Klimas, das die Hülle für diese eine Erde ist. Die G8 erfüllen ihre Aufgabe. Das auf dem Weltwirtschaftsgipfel zu dokumentieren in Bild und Ton, ist das wichtigste Kommuniqué.

Und doch darf der Moment nicht einfach beendet sein. Es geht nun darum, das Momentum zu nutzen, dass das Aneinanderrücken der Großen sein kann. Die nun mögliche Selbstvergewisserung, die großen, schrecklichen, gemeinsam erlebten tragischen Ereignisse folgt, kann eine neue Form der Abwehr des Terrors fördern. Um Begriffe von Lord Dahrendorf abzuwandeln: Die Attentäter geben eine radikale, einfache Antwort auf die Komplexität der Welt. Und sie verbreiten Schrecken. Die Ängste der Menschen im Alltag sind von anderer Art. Führt alles das, was wir, was die da oben tun, nicht zu weit? Die Aufgabe der Politik muss sein, die Komplexität des Geschehens nicht zu bestreiten, sondern immerfort den Versuch zu unternehmen, den davon betroffenen Menschen Fortgang und Fortschritt zu erklären. Dabei geht es nicht um ein mediales Event. Erläuterung ist mehr als Pose. Vielmehr hängt vom Erfolg der Politiker der Fortbestand der Zivilgesellschaft ab, wie wir sie kennen.

Das britische (Under-)Statement ist auf seine Weise asymmetrisch erfolgreich. Gelassen zu bleiben, ist heroisch. Nicht zu übertouren, auch. Das ist unsere Waffe.

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