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Politik: Hamas ist überall

Wie die Terrororganisation Palästinenser in der Haft unterstützt – und den Alltag im Gaza-Streifen bestimmt

Von Charles A. Landsmann,

Beit Hanoun

Saher al Kafarne ist ein Held – oder auch nicht. Je nach Betrachtungsweise. Er ist Palästinenser, war in israelischer Haft und ist nun frei. Er gehört zu den 334 palästinensischen Häftlingen, die Israel am Mittwoch freigelassen hat. Für seine neun Kinder, für die Einwohner der bis vor kurzem von Israel besetzten Stadt Beit Hanoun im nördlichen Gaza-Streifen, für sie alle ist er seit seiner Freilassung ein Held, der einen Heldenempfang verdient hat. Aus seiner eigenen Sicht ist er das nicht, vielmehr ein unschuldiges Opfer unbegründeter israelischer Verdächtigungen gegen seinen Schwager. Das israelische Militärgericht hat ihn wegen des Besitzes illegaler Waffen angeklagt.

„Ich schwöre bei Allah, ich hatte keine Waffen.“ Da sitzt er nun in seiner guten Stube, einfach, aber sauber gekleidet in brauner Hose und beigem Hemd. „Bleicher, magerer geworden, mit viel mehr weißen Haaren als vorher", wie ihn Walid, sein Ältester, der 17-Jährige, beschreibt. 20 Jahre hat er in ganz Israel als Maler gearbeitet, erzählt er. Am 8. Februar 2001, als er auf dem Weg zur Arbeit in Israel den Checkpoint Erez passieren wollte, wurde er aus der Schlange der Wartenden geholt, nach dem Namen gefragt, zur Seite genommen und mit verbundenen Augen ins nahe Ashkelon zum Verhör gebracht. „70 Tage habe ich keine Sonne, keinen Himmel gesehen.“ Permanent habe es Verhöre gegeben. „Einmal dauerte das 36 Stunden ohne Unterbrechung, selbst zur Toilette haben sie mich gefesselt gebracht.“

Gefragt geworden sei er nur nach seinem Doppelschwager, dem Bruder seiner Frau und Ehemann seiner Schwester, nicht nach Waffen. Schließlich sei er vor Gericht gestellt und zu drei Jahren Haft verurteilt worden – wegen Waffenbesitzes für seinen Schwager. „Jetzt habe ich ihm gesagt, natürlich im Scherz, dass ich wegen ihm im Gefängnis saß. Er hat darauf ebenfalls lachend gesagt, dass auch er keine Waffen besitze, aber die Israelis ihn immer noch suchten." Ganz offensichtlich hätten die Israelis von einem Kollaborateur falsche Informationen erhalten. Er verdächtige aber niemanden: „Ich würde ihn töten und wäre bereit, dafür ins Loch zu gehen. Nicht weil er mich verpfiffen hat, sondern weil er unwahre Sachen über mich erzählt hat.“

Draußen, bei der Einfahrt zum staubigen Weg, der zu seinem blitzsauberen Haus führt, hängen auf beiden Seiten unübersehbar zwei grüne Hamas-Flaggen. Auf der Hauswand und der Umfassungsmauer des Vorplatzes prangt jeweils eine dicke rote „Hamas“-Inschrift. „Hamas gratuliert seinem Sohn für die Freilassung", steht mit schwarzer Farbe geschrieben, und „Gefängnis terrorisiert uns nicht. Willkommen dem befreiten Gefangenen“.

Doch Saher al Kafarne, der dem weitaus größten Clan in Beit Hanoun angehört, ist kein Islamist. Er gesteht jedoch offen seine Sympathie für die Islamistenbewegung ein – weil diese seiner Familie während seiner Haft mit Lebensmitteln „und allem anderen Notwendigen“, mit Geld und Gratis-Schulunterricht und kostenlosem Kindergartenbesuch geholfen hat.

Er ist nach seinen Aussagen genauso wenig Hamas-Aktivist wie fünf andere Angehörigen seiner Sippe, die noch immer in Haft sind und die zur nationalistischen Fatah beziehungsweise zur postmarxistischen PFLP gehören. Nur einer aus dem Kafarne-Clan, der sich in Haft befindet, sympathisiert mit der Hamas.

„Lieber hätte ich meine restlichen vier Monate Haft noch verbüßt, und die hätten dafür einen Langjährigen freigelassen“, meint der freigelassene Häftling. Er gesteht aber auch ein: „Natürlich bin ich froh, draußen zu sein. Wer sitzt schon gerne im Gefängnis?" Doch „die ganze Freilassungssache ist doch nur eine Show für die Medien. Die haben doch im Westjordanland vor allem Autodiebe freigelassen. Israel spielt mit uns: Wer noch Jahre drinnen bleiben muss, der bleibt in Haft. Nur wer noch wenig Zeit zu verbüßen hatte, kam frei.“

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