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Hamburg: Union der Abgänge: Was Schule macht

Althaus, Oettinger, Koch, Wulff, Rüttgers - die Reihe setzt sich fort. Möglicherweise verliert Angela Merkel ihren nächsten Landesfürsten. Denn Hamburgs Regierungschef Ole von Beust steht offenbar vor dem Rücktritt. Warum?

Obwohl auch in Hamburg Ferien sind, sollte sich an diesem Sonntag alles um die Schule drehen. Die Hanseaten stimmen darüber ab, ob es, wie vom schwarz-grünen Senat vorgeschlagen und von der Opposition unterstützt, künftig eine Primarschule bis Klasse sechs geben soll. Doch längst steht nicht mehr die Schule im Mittelpunkt, sondern der Regierungschef, Ole von Beust (CDU). Sein Rücktritt scheint so gut wie sicher – unabhängig vom Ausgang des Referendums.

Wieso ist ein Rücktritt wahrscheinlich?

Vor allem, weil ihn niemand mehr ausschließt. Alle, sogar die Bundeskanzlerin, verweisen auf eine Sitzung des Landesvorstandes an diesem Sonntag. Auch der Hamburger CDU-Landesgeschäftsführer Gregor Jaecke. Da sei alles möglich. Gesprächsbedarf gibt es laut Jaecke genug, aber das Gebot der Ordnung sei nun mal, dass Beust sich zuerst erkläre. Ein Dementi von Rücktrittsabsichten klingt anders. Aus dem Umfeld ist zu hören, dass von Beust seinen Rücktritt auf den 25. August terminieren will, dem Datum der ersten Bürgerschaftssitzung nach der Sommerpause. Dort kann dann ein Nachfolger gewählt werden, der, geht es nach der Union, Christoph Ahlhaus heißt. Dafür ist dem bisherigen Fraktionschef Frank Schira der Parteivorsitz vor einigen Wochen zugefallen.

Seit Wochen wird auch aus Unionskreisen immer wieder darauf hingewiesen, dass der 55-Jährige amtsmüde sei. Die Grünen sollen ihn überredet haben, nicht im Vorfeld des Volksentscheids zurückzutreten. Schließlich wäre das Bild verheerend, wenn der oberste Fürsprecher der Schulreform vorher von Bord gehen würde. Jetzt könnte Beust mit einem Rücktritt unmittelbar vor Ergebnisbekanntgabe des Referendums einen Kompromiss finden: Er hätte den Wahlkampf des Volksentscheids nicht gestört und könnte doch scheinbar unabhängig von dieser Abstimmung gehen.

Warum wirkt Beust so amtsmüde?

Viele sehen den Grund dafür in seiner Persönlichkeitsstruktur. Ole, so hat ihn seine Großmutter immer gerufen. Weshalb er mit 18 Jahren auch seinen Namen Carl-Friedrich Arp Ole Freiherr von Beust geändert hat. Ole, das klingt nett. Und mit Sympathie hat Beust Wahlen für die CDU in Hamburg gewonnen. Das galt jahrelang als unmöglich in der sozialdemokratisch geprägten Hansestadt. Aber Beust geht auf die Menschen zu, ohne ihnen zu nahezukommen. Er duzt. Auf den Plakaten im Wahlkampf 2008 stand „Dein Bürgermeister“. Überparteilichkeit signalisiert das, Nähe und Zusammenhalt. Was er politisch will, ist schwieriger einzuschätzen. Gestartet ist er 2001 nicht als Netter, sondern mit einem Hardliner an der Seite: Ronald Schill, dem Rechtspopulisten. Dieses Bündnis ging nach vielen Skandalen in die Brüche, nur Beust hat kaum Kratzer davongetragen. Im Gegenteil. Er sicherte der CDU 2004 die absolute Mehrheit in der Bürgerschaft. Vier Jahre später setzte er ein neues parteipolitisches Signal: Er formte das erste schwarz-grüne Bündnis auf Landesebene. Einen Liberalen könnte man ihn also nennen – ohne zu wissen, ob nun national-liberal wie mit Schill, konservativ-liberal wie zu Zeiten der CDU-Alleinherrschaft oder wie jetzt grün-liberal.

Er hält das Politische von sich fern. Und so entwickelt sich ein Widerspruch: Ole von Beust, in dessen Leben sich so viel um Politik gedreht hat, der mit 16 zur Jungen Union gegangen ist und mit 23 Jahren seinerzeit der jüngste Bürgerschaftsabgeordnete war, sagt: „Politik macht mir viel Freude, aber meine Glücksgefühle sind nicht kausal abhängig von Politik.“

Und viel Spaß macht ihm seine Politik derzeit nicht. Ernüchterung ist in den schwarz-grünen Politikalltag des Bürgermeisters eingetreten. Der Katalog der Unzufriedenheit ist lang: rutschige Bürgersteige, Straßen voller Frostschäden im vergangenen Winter, immer wieder brennende Autos und Gewalttaten, eine immer teurer werdende Elbphilharmonie, die Erhöhung von Kita-Beiträgen und schließlich der zermürbende Glaubenskrieg um die richtige Schulform. Beust hat sich immer wieder auf die Insel Sylt zurückgezogen – so auch in der Woche vor dem Referendum. Dünnhäutiger ist er geworden, greift Widerstände mit einer Schärfe an, wie er es früher nie gewagt hätte. Ein Sklave seines Terminkalenders hat er sich zuletzt genannt.

Was wird mit Schwarz-Grün?

Ein mögliches Scheitern des schwarz-grünen Bündnisses wäre vor allem für die Grünen kein gutes Signal. Insbesondere, weil es den parteiinternen Kritikern dieser Konstellation Auftrieb geben würde und die Bildung künftiger schwarz-grüner Bündnisse, vielleicht sogar auf Bundesebene, erschweren würde.

Und ein Scheitern ist nicht ausgeschlossen. Denn dass diese Koalition überhaupt zusammengekommen ist, hing stark mit der Person Ole von Beust zusammen. Die Grünen loben seinen integrativen Führungsstil. Den hat Ahlhaus nicht. Die Atmosphäre zwischen den Koalitionspartnern wäre durch einen Beust-Rücktritt auf jeden Fall belastet. Krista Sager, Hamburger Bundestagsabgeordnete der Grünen, zeigt sich befremdet über die Absichten des Ole von Beust. Grundsätzlich sei ein Führungswechsel innerhalb der Legislaturperiode schwierig genug, sagte Sager dem Tagesspiegel. Und mit Blick auf die Debatte um die Schulreform sagt sie: „Ich verlasse als Kapitän das Schiff, wenn es im Hafen ist, aber doch nicht mitten auf hoher See bei stürmischem Wetter.“

Die Hamburger SPD, die in Umfragen vor der CDU liegt, beobachtet die Unruhe genau. Olaf Scholz, SPD-Chef in Hamburg, fordert bereits Neuwahlen: „Die Hamburger Bürgerinnen und Bürger werden es nicht gerne sehen, wenn jetzt einfach ein neuer Bürgermeister eingesetzt würde, ohne sie zu fragen.“

Was ist Christoph Ahlhaus für ein Typ?

Auf jeden Fall ist er anders als Beust. Ahlhaus gehört zum wertkonservativen Flügel der Partei, als Hardliner gilt er. Und ein Wunschkandidat der Grünen ist er nicht. Diese könnte sich eher mit CDU-Sozialsenator Dietrich Wersich anfreunden. Immerhin könnte Ahlhaus mit seinen 40 Jahren zweitjüngster Nachkriegs-Bürgermeister in Hamburg werden. Jurist ist Ahlhaus, wie viele andere Bürgermeister auch, aber kein Hamburger, sondern er kommt aus Heidelberg, wo er auch eine Zweitwohnung hat. In diesem Zusammenhang machte er Schlagzeilen, als er für eine Villa in Hamburg und die Wohnung in Heidelberg rund eine Million Euro Steuergelder für Sicherheitsmaßnahmen in Anspruch nahm. 2001 kam Ahlhaus zur Hamburger CDU. Drei Jahre später wurde er Bürgerschaftsabgeordneter. 2008 ernannte ihn Beust zum Innensenator.

Was würde ein Beust-Rücktritt für Angela Merkel bedeuten?

Von Beust wäre Nummer sechs innerhalb eines Jahres. So viele CDU-Ministerpräsidenten sind in dieser Zeit zurückgetreten oder wurden abgewählt – ein Aderlass für die Union. Und Beust ist für Merkel wichtig, weil er tief in die sozialdemokratische Wählerschicht hinein wirkt – ähnlich wie sie auch. Er hat das erste schwarz-grüne Regierungsbündnis zuwege gebracht, was auch für die Bundeskanzlerin eine Machtoption ist. Lange war Beust, Mitglied im CDU-Bundesvorstand, ein wichtiger Verbündeter von Merkel. Sie soll ihn nach der Bundestagswahl im vergangenen Jahr auch als Ministerkandidat auf der Liste gehabt haben. Aber er wollte lieber in Hamburg bleiben. Auf der Suche nach einem neuen Bundespräsidenten vor wenigen Wochen wurde der präsidial regierende Erste Bürgermeister nicht mehr berücksichtigt. Von Beust war darüber wohl nicht erfreut. Zumindest spricht seine offene Kritik vor wenigen Tagen am Führungsstil seiner Duzfreundin Angela Merkel dafür. Er gab ihr auch einen Rat: Sie solle mal mit der Faust auf den Tisch hauen. Nur ist Beust selbst nicht der Typ Faustkämpfer, eher das Modell Rückzug.

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