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Kriminalbeamte am 29. Januare 2016 bei der Spurensicherung in Villingen-Schwenningen (Baden-Württemberg) vor einer Flüchtlingsunterkunft.

© dpa

Handgranaten-Anschlag in Villingen-Schwenningen: Tote! Terror! Hätte ja sein können

Ahnungslos, aber betroffen: Wenn Politiker zu schnell urteilen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Moritz Schuller

Vor zwei Wochen wurde nachts eine Handgranate auf das Gelände einer Flüchtlingsunterkunft in Villingen-Schwenningen geworfen. Sie landete neben einem Container des Sicherheitsdienstes, ohne zu explodieren. Die Flüchtlinge wurden woanders untergebracht, die Handgranate wurde noch nachts kontrolliert gesprengt.

Die Reaktion darauf war eindeutig. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte: „Also das ist wirklich unfassbar, dass jetzt schon mit Handgranaten – quasi mit militärischen Waffen – auf Asylsuchende losgegangen wird.“ Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) twitterte: „Das ist Terrorismus.“ Anton Hofreiter, der Fraktionsvorsitzende der Grünen, erklärte, Deutschland müsse „diesen neuen rechten Terror sehr ernst nehmen“, und der CDU-Spitzenkandidat in Baden-Württemberg Guido Wolf schrieb auf Facebook: „Das ist ein Anschlag gegen die Menschlichkeit.“ Und Stephan Burger, Erzbischof von Freiburg, sagte im Interview: „Es ist letztlich kein Anschlag auf die Flüchtlingsunterkunft, sondern auf Flüchtlinge, auf Menschen, die bei uns Schutz suchen.“

Ich weiß von nichts, stehe aber auf der richtigen Seite

Vor drei Tagen gab die Tuttlinger Polizei bekannt: Es wurden vier Tatverdächtige festgenommen, „vor dem Hintergrund der bisherigen Ermittlungen … ergaben sich keine Anhaltspunkte für eine fremdenfeindliche Tat“. Die Polizei vermutet, dass Konflikte zwischen den „im Schwarzwald- Baar-Kreis tätigen Sicherheitsdiensten“ Ursache für den Anschlag sein könnten.

Es ist leicht und nicht falsch, all diesen Politikern politisch korrekten Übereifer vorzuwerfen. An dem Fall zeigt sich jedoch vor allem ein grundsätzliches Dilemma der Politik: dass sie sich sofort nach solchen Ereignissen meint, positionieren zu müssen, ohne die Ermittlungsergebnisse abwarten zu können. Auch zur Nachricht, dass ein Flüchtling in Berlin gestorben sei, hatten sich viele geäußert, bevor diese sich dann als falsch erwiesen hatte. Damals sagte die Integrationssenatorin Dilek Kolat: „Ich habe noch keine Informationen, aber ich bin natürlich unendlich traurig.“ Das ist eine fast absurde Zuspitzung des Dilemmas: Ich bin ahnungslos, aber betroffen, ich weiß von nichts, stehe aber auf der richtigen Seite.

Angesichts der weiter gestiegenen Zahl von Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte ist das Risiko, mit dem Verdacht falschzuliegen, leider auch nicht hoch. Das verführt zu einer schnell dahingesprochenen Warnung vor dem „neuen rechten Terror“, die sich wie in diesem Fall als falsch erweist. Das brandmarken zu können, ist, was den Rechtspopulisten Zulauf bringt. Gleichzeitig ist die Erwartung der Öffentlichkeit an Politiker, sich zu äußern, auch sehr hoch. Kretschmann hätte kaum schweigen können.

Es besteht jedoch ein Unterschied zwischen einem fremdenfeindlichen Angriff und einem Machtkampf im Rockermilieu, zwischen einem toten Flüchtling und einer Falschmeldung. Diesen Unterschied zu betonen, ist gerade in einer hoch polarisierten Atmosphäre wichtig – er wird jedoch zunehmend verwischt.

,Anschlag auf die Menschlichkeit‘

Der Freiburger Erzbischof rechtfertigt sich ähnlich: Weil es „tatsächlich leider immer wieder zu fremdenfeindlichen Vorfällen und Übergriffen“ kommt, hat „die grundsätzliche Einschätzung von Erzbischof Stephan Burger nichts an ihrer Gültigkeit verloren“, schreibt sein Sprecher auf Anfrage.

Guido Wolf sagt heute: „Ich habe damals ganz bewusst von einem ,Anschlag auf die Menschlichkeit‘ gesprochen und somit jede Verbindung zu einem möglicherweise fremdenfeindlichen Hintergrund vermieden.“

Auch Boris Pistorius bleibt bei seiner Einschätzung: Es „besteht kein Zweifel daran, dass – unerheblich aus welcher Motivation heraus oder vor welchem Hintergrund – ein Handgranatenwurf auf eine Flüchtlingsunterkunft eine Tat ist, die zutiefst verwerflich ist und zurecht nach den Maßgaben des StGB hart bestraft wird. Außerdem nimmt der Täter mindestens billigend in Kauf, dass Menschen sterben könnten. Und eben genauso gehen auch Terroristen vor.“

So werden aber alle Unterschiede verwischt, wenn die Motivation keine Bedeutung mehr hat. Tote, Terroristen, Fremdenfeinde – es hätte ja so sein können. Doch das ist etwas anderes als die Realität. Grundsätzlich recht behalten zu wollen, im konkreten Fall, aber falsch zu liegen – das erweckt den Eindruck, dass das Urteil von den Tatsachen losgelöst ist.

Eine frühere Version enthielt eine Passage über Christopher Lauer. Die wurde wegen eines ungenau wiedergegebenen Zitats gelöscht.

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