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Unverwechselbar: Hans-Dietrich Genscher im gelben Pullunder im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR

© dpa

Hans-Dietrich Genscher: Mit alter Leidenschaft für Europa

Bei der Präsentation des Buches "Hans-Dietrich Genschers Außenpolitik“ zeigte der ehemalige Minister am Mittwochabend in Berlin , dass er das internationale Geschehen noch immer intensiv verfolgt und bewertet.

Von Hans Monath

Bei den Gedenkfeiern zum 25. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin am Wochenende hatte er noch gefehlt. Doch am Mittwochabend saß Hans-Dietrich Genscher dann im unverkennbar gelben Pullunder auf einem Podium in der Hauptstadt. Der 87-Jährige hat eine Operation wegen eines schmerzhaften Brustbeinbruchs hinter sich – und war trotzdem ins ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR am Berliner Schlossplatz gekommen. Dort ging es um sein Lebenswerk und um die großen Themen, die ihn weiter umtreiben – um den Frieden, die Ordnung Europas, Deutschlands Rolle in Europa, das Verhältnis zu Russland und Wege aus der Krise, die auf bewährte Prinzipien zurückgreifen.
Doch zunächst saß Genscher in seinem Sessel und hörte zu bei der Präsentation des im Wissenschaftsverlag Springer erschienenen Sammelbandes „Hans-Dietrich Genschers Außenpolitik“, in dem nicht nur renommierte Wissenschaftler zu Wort kommen, sondern auch ehemalige Mitarbeiter des liberalen Chefdiplomaten, der das Auswärtige Amt von 1974 bis 1992 und damit immerhin 18 Jahre lang geleitet und geprägt hat.

Viele der Autoren, von denen viele Schlüsselpositionen des Ministeriums ausgefüllt haben oder noch ausfüllen, waren der Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung gefolgt und saßen im Publikum. Auf dem Podium vertreten waren neben Genscher dessen Nachfolger als Außenminister Klaus Kinkel und der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger. Moderator Gerd Appenzeller vom Tagesspiegel bedauerte, dass ein dritter liberaler Außenminister, nämlich Guido Westerwelle, wegen seinen Krankheitsfolgen nicht kommen konnte – und erntete mit seinen Genesungswünschen starken Beifall.
„Wo lag der Westen falsch?“, fragte Botschafter Ischinger in seinem Referat über die Ukraine-Krise selbstkritisch und forderte eine Internationalisierung der bilateralen Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine. Die nämlich seien „ein Holzweg“, weil in bilateralen Verhandlungen immer der Stärkere gewinne. Auch die russischen Interessen nahm der frühere Staatssekretär in den Blick. „Nach vorne weisen könnte uns der Vorschlag eines gesamteuropäischen Wirtschaftsraumes“, sagte er.

Hans-Dietrich Genscher fordert, europäisch zu denken

Als Genscher dann das Wort ergriff, war trotz manchmal brüchiger Stimme die Leidenschaft spürbar, mit der er das Geschehen verfolgt und bewertet. „Hier müssen wir einen neuen Anfang machen, Bilanz ziehen, was ist falsch gelaufen, was können wir uns geben“, forderte der Liberale und nahm Ischingers Vorschlag auf: „Warum nicht eine Freihandelszone? Wir bleiben hier sitzen am Rande und sagen nicht, wir versuchen so etwas auch mit Russland?“ Als Kritik an der Politik Angela Merkels und Frank-Walter Steinmeiers wollte der Liberale das Plädoyer für einen Neuanfang und für Rücksicht auf russische Interessen nicht verstanden wissen. „Ich denke, dass die gegenwärtige Bundesregierung diejenige ist im Kreis der europäischen Partner, die alles tut, dass die Chance offen bleibt. Nun geht es nur noch darum, die Chance zu nutzen.“

Klaus Kinkel: Wir müssen wieder mehr Empathie Russland gegenüber aufbringen

„Ich glaube, es hat seine Gründe, dass die großen alten Männer der Politik, Kissinger, Kohl, Gorbatschow und Genscher der Meinung sein, dass wir wieder mehr Empathie Russland gegenüber aufbringen müssen“, bilanzierte Kinkel, der die Suche nach einem Weg aus der Krise nicht als Entschuldigung des Moskauer Vorgehens in der Ukraine verstehen wollte – das nämlich sein „eine Sauerei“. Genscher hielt ein Plädoyer dafür, nicht in erster Linie deutsch, sondern europäisch zu denken. „Europa ist für mich, weil es aus der Geschichte gelernt hat und die Konsequenzen gezogen hat, eine gute Zukunftswerkstatt einer neuen Weltordnung, die gegründet ist auf gegenseitige Wertschätzung, auf die Würde der Völker und auf das Ziel, in Frieden die Probleme der Menschheit zu lösen.“ Es war ein Schlusswort, das viel Beifall fand.

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