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Hans Joachim Schellnhuber: "Die Diktatur des Jetzt überwinden"

Der Physiker und Klimaberater der Regierung, Hans Joachim Schellnhuber, spricht im Interview über die Katastrophe in Fukushima und die Folgen für Deutschland.

In Fukushima sind drei Atomkraftwerke außer Kontrolle geraten. Sie sind selbst Physiker. Kann es ganz sichere Atomkraftwerke geben?

Ich könnte jetzt natürlich etwas vom niemals verschwindenden Restrisiko daherphilosophieren. Wobei ein Risiko versicherungstechnisch als Eintrittswahrscheinlichkeit mal Schadenshöhe berechnet wird. Diese Größe ist also selbst bei minimaler Wahrscheinlichkeit wegen der ungeheuren Schadenswirkungen einer Reaktorkatastrophe riesig. Aber die direkte Antwort auf Ihre Frage ist vermutlich Ja, wenn man sich auf Kraftwerke der fünften oder sechsten Generation bezieht, möglicherweise thoriumbasiert oder nach dem Kugelhaufenprinzip konstruiert.

Wo wäre der qualitative Unterschied zu den heutigen Kernkraftwerken?

Eine Kernschmelze könnte nicht mehr passieren, und vor allem würde man die Produktion von Plutonium – das tatsächlich ein Stoff der Hölle ist – vermeiden. Physikalisch gesehen könnte man übrigens sogar Atommüll komplett entschärfen. Aber das wäre ungeheuer energieaufwändig.

Könnte ein solches sicheres Kraftwerk denn wirtschaftlich betrieben werden?

Nein, kann es nicht, wenn man alle Kosten ehrlich einpreist. Wenn man wirklich keine radioaktiven Rückstände hinterlassen würde, wenn man die gesamten Entwicklungskosten einrechnete und angemessene finanzielle Rückstellungen für den GAU, dann würde es schlicht zu teuer. Bestenfalls eine Luxustechnologie für wenige Industriestaaten, die Kernenergie mit Fortschritt gleichsetzen wollen. Es geht aber darum, bald neun Milliarden Menschen nachhaltig mit Energie zu versorgen. Dann muss man natürlich fragen, ob Investitionen in alternative Quellen nicht wirtschaftlich und politisch akzeptabler wären. Die vorliegenden wissenschaftlichen Szenarien zeigen: Sie wären es.

Ist eine Energieversorgung ohne Kernkrafttechnik denkbar?

Seit dem Krieg haben viele Länder auf Kernfusion und Kernspaltung gesetzt. Dabei benötigt die Kernfusion eine atemberaubend komplexe Technologie: es heißt nicht umsonst alle zehn Jahre, dass wir in etwa 50 Jahren so weit seien. Aber genau diese Arbeit nimmt uns die Sonne ab, ein natürlicher Fusionsreaktor ohne Nebenwirkungen, unerschöpflich und kostenlos. Ähnliches gilt für die Erdwärme. Unser Planet ist im Innern nicht deshalb warm, weil da noch Resthitze aus der Entstehungszeit der Erde vor vier Milliarden Jahren ist. Sondern es gibt einen permanenten radioaktiven Zerfall natürlicher Substanzen, der uns die Erde angenehm, und wiederum ohne Nebenwirkungen, temperiert. Wir brauchen kein Gorleben, sondern bloß eine Wärmepumpe, um diese Kernspaltung zu nutzen. Es ist doch absurd, dass wir das, was die Natur perfekt bereitstellt, schlechter nacherfinden wollen.

Noch mal zurück zu Fukushima. Die Bundeskanzlerin hat von einer Zäsur gesprochen. Ist es eine?

Politisch könnte es eine Zäsur sein. Tschernobyl war in gewisser Weise auch ein tiefer Einschnitt, der zu einem Umdenken geführt hat. Aber er hat die Kerntechnologie keineswegs beerdigt. Ob das diesmal geschehen wird, ist zumindest zweifelhaft. Aber ich könnte mir vorstellen, dass das Erdbeben, das die ganze Krise ausgelöst hat, auch ein politisches Erdbeben darstellt. In einigen Ländern werden möglicherweise Kernkraftwerke, wie sie heute und in absehbarer Zeit verfügbar sind, gesellschaftlich nicht mehr durchsetzbar sein. Auf Deutschland jedenfalls trifft diese Aussage mit einiger Wahrscheinlichkeit zu.

Was meinen Sie mit politischem Erdbeben?

Nun, was geschieht denn bei einem Erdbeben? Es verhaken sich zwei tektonische Platten. Dadurch wird Spannung aufgebaut, die steigt und steigt, bis sie sich entlädt, und eine Platte über die andere schiebt. So was Ähnliches könnte jetzt politisch passieren. Bisher hatten wir zwei Lager, die sich ineinander verhakt haben, das alternative nachhaltige Energiemodell und das fossil-nukleare ökonomische Modell, das sich selbst für realpolitisch hält. Es kann gut sein, dass sich die nachhaltige Energieversorgung jetzt über die alte Platte schiebt. Auf irreversible Weise.

Haben Sie etwas Neues gelernt durch Fukushima?

Wir haben überhaupt nichts Neues gelernt. Wir erinnern uns nur an Dinge, die wir schon wussten. Die Annahmen waren schon immer, dass es in 10 000 Jahren Betriebszeit durchschnittlich eine Kernschmelze geben würde. Weltweit gibt es 434 Atomkraftwerke. So gerechnet passiert eine Kernschmelze alle 25 Jahre. Es ist fast schon erschreckend, wie genau diese Statistik zielt. Tschernobyl explodierte im April 1986.

Wie hoch schätzen Sie das Schadenspotenzial eines kompletten GAUs in einem dicht besiedelten Industrieland?

Da sind schnell fünf Billionen Euro beisammen, was die Politik völlig ausgeblendet hat. Müsste das entsprechende Risiko seriös versichert werden, käme man auf eine Jahresprämie von 200 Milliarden Euro! Wenn ich strikt wirtschaftlich argumentiere, ist das also eine No-Go-Technologie. Das haben viele schon lange gesagt, es hat nur keinen interessiert.

Wie steht es um den internationalen Klimaschutz?

Schon vor den Geschehnissen in Japan steckten wir da in einer Sackgasse. Die Meinung der meisten Beteiligten ist, dass wir in den nächsten Jahren keinen ambitionierten internationalen Klimaschutzvertrag bekommen, und dass es ihn auch nie geben wird. Alle setzen auf Green Growth (=grünes Wachstum. d.Red).

Was ist daran schlimm?

Das Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Alle Volkswirtschaften wachsen fröhlich weiter, vom Nordpol bis zum Südpol, in Ost und West. Und ganz nebenbei bringt diese Expansion auch noch Klimaneutralität. Das ist hochgradig naiv gedacht.

Warum naiv?

Nun, die Formel lautet: Der Süden wächst und ist zufrieden. Der Norden wird grün und ist auch zufrieden. Aber in der Realität bedeutet „Green Growth“ vor allem „Growth“. Dieses Wachstum wird an einigen Stellen tatsächlich grün sein, aber in der Fläche schwarz – tiefschwarz wie Kohle und Öl. Uns allen sollte klar sein, dass es nicht um ein paar ökologische Einsprengsel gehen kann, sondern um eine große Transformation.

Welchen Nutzen können die zwei Kommissionen bringen, die die Kanzlerin nun drei Monate lang die Sicherheit der Atomkraftwerke und ihre ethische Vertretbarkeit untersuchen lassen will?

Dass die Reaktorsicherheitskommission sich die einschlägigen technischen Fragen noch genauer vornimmt, ist nach so einem Ereignis nur vernünftig. Denn man kann die Atomkraftwerke ja nicht über Nacht wegzaubern. In ihrem Bauch liegen nun mal Plutonium und andere hübsche Substanzen. Damit muss man verantwortlich umgehen. Die Ethikkommission ist eine spannende Idee. Denn natürlich hat die Politik nun erkannt, dass sie ein Akzeptanzproblem hat. Und dass es darum geht, einen breiten, ehrlichen Dialog über unsere Zukunft zu führen. Es geht um nichts weniger als einen neuen Gesellschaftsvertrag für die Moderne. Diese Ethikkommission kann das natürlich nicht leisten. Aber sie könnte Vorstellungen entwickeln, wie sich ein Bürgerdiskurs über die künftige Energieversorgung organisieren ließe.

Gab es denn nach dem rot-grünen Atomkompromiss einen solchen gesellschaftlichen Konsens?

Das war kein gesellschaftlicher Konsens. Es war ein Deal zwischen der Regierung und der Atomindustrie. Dass Schwarz- Gelb aber selbst diesen Minimalkonsens so schnell wieder zur Disposition stellte, hat die Akzeptanz nicht gerade erhöht. Wenn die Natur in Japan nicht verrückt gespielt hätte, wäre die Regierung damit vermutlich davongekommen.

Wie sollte ein neuer Konsens jetzt erarbeitet werden?

Ich mache dazu zwei Vorschläge. Dafür werde ich sicher Prügel bekommen, aber hoffentlich, weil ich damit einen Nerv treffe. Erstens: Das Prinzip der Nachhaltigkeit könnte ins Grundgesetz geschrieben werden. Das wäre dann ein Maßstab, auf den in konkreten Streitfällen die Verfassungsrichter zurück greifen können.

Und zweitens?

Wir müssen die Diktatur des Jetzt überwinden, also die umfassende Plünderung von Zukunft und Vergangenheit, nur um im winzigen aktuellen Zeitfenster materiell unbeschwert leben zu können. Diese Gegenwartsfixierung ist auf ihre Art undemokratisch, denn sie geht auf Kosten unserer Nachkommen, die ihre Stimme noch nicht erheben können. Deshalb sollte ein bestimmter Anteil der Parlamentssitze, vielleicht fünf oder zehn Prozent, für solche Parlamentarier vorgehalten werden, die sich nur um die Interessen künftiger Generationen kümmern. Also Ombudsleute für die Zukunft.

Denken Sie dabei auch an den Bundespräsidenten?

Absolut. Der Bundespräsident könnte seine parteiübergreifende Autorität nutzen, um die Debatte über einen neuen Gesellschaftsvertrag anzustoßen. Er sollte die treibende Kraft werden, auch deshalb, weil er die nötige Distanz zum politischen Alltagsgeschäft hat. Er kann glaubwürdig in die Rolle des ehrlichen Makler in einem Dialog über die Zukunft unserer Gesellschaft hineinwachsen. Das wäre eine noble Aufgabe.

Weiß der Bundespräsident Christian Wulff schon von Ihrem Plan?

Eigentlich steht es mir nicht zu, dem Bundespräsidenten Ratschläge zu erteilen. Aber als Bürger dieses Landes darf ich ihm einen Brief schreiben und eine Anregung unterbreiten. Ob er diesen Brief tatsächlich lesen wird oder ihn sogar beantwortet, kann ich natürlich nicht vorhersagen.

Das Interview führten Dagmar Dehmer und Lutz Haverkamp.

ZUR PERSON

HOCHBEGABTER

Geboren 1950 in Ortenburg, Bayern. Studium der Physik und Mathematik mit einem Hochbegabten-Stipendium an der Universität Regensburg. Promotion in Theoretischer Physik im Jahr 1980, Habilitation 1985.

GRÜNDER

1991 Gründungsdirektor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), seit 1993 regulärer Direktor des PIK und Professor für Theoretische Physik an der Universität Potsdam.

BERATER

Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Wissenschaftlicher Chefberater der Bundesregierung in Fragen des Klimawandels und der internationalen Klimapolitik während der G8- und EU Ratspräsidentschaften Deutschlands im Jahr 2007. Mitglied der Sachverständigengruppe „Energie und Klimawandel“ des Präsidenten der EU-Kommission José Manuel Barroso.

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