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Politik: Hans von Herwarth wollte vor dem Hitler-Stalin-Pakt warnen - nur die Amerikaner nahmen ihn ernst

Wie könnte man ein deutsch-sowjetisches Bündnis und damit den Zweiten Weltkrieg verhindern? Diese Frage trieb im Frühsommer 1939 den jungen Hans von Herwarth um, der als Botschaftsrat an der Deutschen Botschaft in Moskau zum Zeugen geheimer deutsch-sowjetischer Gespräche geworden war.

Wie könnte man ein deutsch-sowjetisches Bündnis und damit den Zweiten Weltkrieg verhindern? Diese Frage trieb im Frühsommer 1939 den jungen Hans von Herwarth um, der als Botschaftsrat an der Deutschen Botschaft in Moskau zum Zeugen geheimer deutsch-sowjetischer Gespräche geworden war. Getrieben von der Sorge um den Frieden in Europa, entschloss sich Herwarth, die Franzosen und die Briten über die deutschen Pläne und die Geheimverhandlungen zu informieren.

Das war, der Botschaftsrat von Herwarth wusste es, nichts anderes als Verrat - Landesverrat. Das Todesurteil wäre ihm sicher gewesen, wenn die Kontakte, wie er in seinen Erinnerungen ("Zwischen Hitler und Stalin") schrieb, "ans Licht gekommen wären".

Herwarth selbst glaubte im Rückblick, dass weder die französische noch die britische Regierung "die Tragweite der Informationen über die Geheimverhandlungen erkannt" hätten. Für ihn gab es jedoch keinen Zweifel, dass ein Arrangement Hitlers mit Stalin einen deutschen Überfall auf Polen begünstigen und am Ende einen schrecklichen, großen Krieg in ganz Europa auslösen werde. Deshalb wandte sich Herwarth nun an seinen amerikanischen Kollegen Charles Bohlen. Der Amerikaner nahm die Warnungen ernst. Er verstand, dass die USA auf die Briten einwirken und deren Beschwichtigungspolitik gegenüber Hitler bremsen sollten.

Die Öffentlichkeit erfuhr von all dem erst im Jahre 1980, als Bohlen in seinen Memoiren einen jungen Deutschen namens "Johnny" als wichtigen, zuverlässigen Warner vor dem großen Krieg hervorhob. Im Auswärtigen Amt in Bonn wusste man, dass dieser "Johnny" mit Hans von Herwarth identisch sein müsse. Unter diesem Vornamen kannten ihn die Kollegen. Kaum jemand hatte indes in ihm, dem Diplomaten mit den tadellosen Umgangsformen, einen zu höchstem Risiko bereiten Mann des Widerstandes gegen Hitler vermutet, der am 20. Juli beteiligt war.

Man erfuhr nämlich aus Herwarths Erinnerungen, dass er mit dem Grafen Stauffenberg eng verbunden war - dass die Bombe, die Hitler töten sollte, für einige Tage im Hauptquartier des Heeres unter dem Bett des Rittmeisters von Herwarth lag. Bei Kriegsbeginn hatte es Herwarth ziemlich eilig gehabt, aus dem Auswärtigen Dienst auszuscheiden und wieder bei seinem alten Regiment Dienst zu tun. Auch wegen seiner jüdischen Großmutter fühlte er sich damals als Reserveoffizier bei der Wehrmacht sicherer als im Auswärtigen Amt. Sicherer? Hätten seine Mitverschwörer nicht auch unter der Folter geschwiegen, Herwarth hätte das Jahr 1944 nicht überlebt.

Charles Bohlen dürfte bei Kriegsende dafür gesorgt haben, dass Herwarth der Aufenthalt in einem Gefangenenlager erspart blieb. In der bayerischen Staatskanzlei fand er nach Kriegsende seinen ersten Arbeitsplatz. Der zum Bundeskanzler gewählte Konrad Adenauer holte ihn als Protokollchef nach Bonn. Die junge Bundesrepublik Deutschland profitierte von dem Vertrauenskapital, das sich Herwarth bei den Amerikanern erworben hatte.

Hans-Heinrich Herwarth von Bittenfeld starb im Alter von 95 Jahren. In der Traueranzeige des Auswärtigen Amtes waren am vergangenen Wochenende die zahlreichen Ämter des Verstorbenen aufgezählt. Eher beiläufig erfuhr man, dass der Botschafter und Staatssekretär a.D. "aktiv am Widerstand gegen das NS-Regime beteiligt" gewesen sei.

Karl Moersch

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